Beinahe täglich gehen derzeit Menschen auf die Straße, um gegen den erstarkenden Rechtsextremismus in Deutschland zu demonstrieren. Erst am vergangenen Samstag hat das Erfurter Bündnis „Auf die Plätze!“ dazu aufgerufen, die Stimme gegen Rechts zu erheben und für ein demokratisches Deutschland zusammenzustehen. Und dabei zieht es inzwischen auch Menschen auf die Straßen, die das Demonstrieren bislang immer anderen überlassen haben. Immer wieder wird dabei auch die Frage nach einem Verbot der vom Verfassungsschutz in Teilen als gesichert rechtsextrem eingestuften Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) laut – und dies nicht nur angesichts der im September bevorstehenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Eine Petition der Initiative „Campact“ fordert nun, dem Thüringer AfD-Chef Höcke als „wahrhaft gefährlichem Feind der freiheitlichen Demokratie" seine Grundrechte, etwa das aktive und passive Wahlrecht sowie die Bekleidung öffentlicher Ämter, zu entziehen. Dies ist nach Artikel 18 des Grundgesetzes dann möglich, wenn die Grundrechte „zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht" werden. Mehr als 1,2 Millionen Menschen in Deutschland haben diese Petition bereits unterschrieben. „WortMelder“ hat bei Jelena von Achenbach, Professorin für Öffentliches Recht und Grundlagen des Rechts an der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt, nachgefragt, wie die Chancen dafür stehen, dass Höcke tatsächlich diese Grundrechte verliert…
„Es ist richtig: Wer Grundrechte wie die Meinungs- oder Versammlungsfreiheit zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht, der verwirkt sie nach Artikel 18 des Grundgesetzes. Die Entscheidung darüber, ob dies der Fall ist, trifft das Bundesverfassungsgericht. Aber: Ein solches Verfahren sollte nur dann beantragt werden, wenn die Erfolgsaussichten wirklich gut sind. Denn, und darin sind sich viele Expert*innen einig: Im Fall von Björn Höcke würde das Scheitern einer solchen Klage die AfD eher weiter stärken. Man müsste dem Thüringer AfD-Chef also eine aktiv-aggressive Bekämpfung der Menschenrechte, der Demokratie oder des Rechtsstaates nachweisen können, um mit einer Klage Erfolg zu haben.
Ich denke, es sind wohl falsche Hoffnungen, die manche auf das Instrument der Grundrechtsverwirkung im Kampf gegen die AfD setzen. Wie schwierig ein solches Unterfangen ist, zeigt die Vergangenheit: Alle vier Verfahren, die bislang nach Art. 18 GG vor dem Bundesverfassungsgericht angestrengt wurden, sind gescheitert. Und dauerten überdies zwischen vier und acht Jahren – viel zu lang also, um vor der Thüringer Landtagswahl im Herbst eine Entscheidung zu erreichen.
Auch die jüngsten Urteile zum Parteiverbot sprechen dafür, dass bei der Aktivierung der ‚wehrhaften Demokratie‘ strengste Maßstäbe angelegt werden. Gerade als Grundrechtsgericht dürfte das Bundesverfassungsgericht mit einer Verkürzung des individuellen Grundrechtsstatus äußerst zurückhaltend sein. Hinzukommt aus meiner Sicht, dass es kein demokratisches Instrument des Demokratieschutzes ist, einzelne Personen von einem Grundrechtsschutz auszuschließen, der für alle gleichermaßen gilt. Dies schafft einen gegenüber dem Schutz der politischen Grundrechte als Menschenrechte reduzierten Rechtsstatus eines Einzelnen und damit eine Art verfassungsrechtliches ‚Feindstrafrecht‘, das im Grunde ein Misstrauen der Demokratie gegen sich selbst ausdrückt.
Auch wenn es für viele schwer zu ertragen ist – erst recht angesichts des Rechtsrucks in Deutschland (und Europa) sowie des jüngsten Treffens von rechten Aktivisten mit AfD-Funktionären, die nach Recherchen des Medienhauses ‚Correctiv‘ in Potsdam Pläne zur massenhaften Zwangsausweisung von in Deutschland lebenden Menschen geschmiedet haben: Gegen Hetze setzt unser demokratischer Staat das Strafrecht. Alles andere ist Meinungsfreiheit – die es aus gutem Grund zu schützen gilt und die eine starke Demokratie aushalten muss und kann.“