Smart Pills – ist der englische Begriff für verschreibungspflichtige Pillen und Medikamente, die einen eigentlich gesunden Menschen „smarter“, also schlauer machen sollen. Immer mehr Studien wollen diesem gesellschaftlichen Phänomen nun auf den Grund gehen. Auch Prof. Dr. Guido Mehlkop von der Universität Erfurt hat ein Forschungsinteresse an Smart Pills.
Smart Pills – ist der englische Begriff für verschreibungspflichtige Pillen und Medikamente, die einen eigentlich gesunden Menschen "smarter", also schlauer machen sollen. Bei der Einnahme sollen sie leistungssteigernde Wirkungen haben, Emotionen wie Prüfungsangst positiv beeinflussen oder während des Lernens für eine Prüfung den Körper von anderen Bedürfnissen wie Essen oder Schlafen ablenken. In den vergangenen Jahren sind Smart Pills und das mit deren Einnahme verbundene Brain-Doping immer stärker in die Öffentlichkeit gerückt. Die gesellschaftliche Beurteilung des Brain-Dopings geht dabei auseinander: Einerseits wird es als richtiges Doping angesehen, also als Betrug, und andererseits als sogenanntes "Enhancement", also als legitime gesellschaftliche Verbesserung ähnlich einer Schönheitsoperation. Ein Missbrauch von Medikamenten ist es aber in jedem Fall. Und unter Studierenden und Wissenschaftlern tritt dieser Medikamentenmissbrauch scheinbar immer häufiger auf, getrieben von einer höher-schneller-weiter-geprägten Leistungsgesellschaft.
Immer mehr Studien wollen diesem gesellschaftlichen Phänomen nun auf den Grund gehen. Auch Professor Dr. Guido Mehlkop von der Universität Erfurt hat ein Forschungsinteresse an Smart Pills. Ihn interessiert dabei jedoch vor allem die soziologische Perspektive des Brain-Dopings. Als externer Mitarbeiter in einem Forschungsverbund beteiligte er sich an dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt "fairuse" der Universität Bielefeld. Das Projekt, das dort von Professor Dr. Martin Diewald und Sebastian Sattler geleitet wird, untersuchte Faktoren rund um das Studium, die irgendetwas Problematisches beherbergen, von Plagiat über "Aufschieberitis" bis hin zum Brain-Doping. Letzteres wollte Mehlkop im Rahmen dieses Projekts genauer erforschen und herausfinden, ob, warum und unter welchen Bedingungen gesunde Studierende und Wissenschaftler verschreibungspflichtige Substanzen einnehmen, die eigentlich Menschen mit Alzheimer-Krankheit, ADHS oder Narkolepsie helfen sollen. "Wir wollten mit einer sogenannten Vignetten-Studie den Entscheidungsprozess modellieren und die Gründe für diesen ‚Off-Label-Use‘ erfahren", sagt Mehlkop. Der Begriff Vignette, eigentlich ein Ausdruck für Etikett, Bild oder Siegel, steht im Forschungszusammenhang für eine kurze Situationsbeschreibung, die den Probanden, also den Beteiligten an einer Studie, gezeigt oder vorgelesen wird bevor die eigentliche Befragung beginnt. Dabei bleibt die Grundform der Geschichte immer gleich, aber die Details variieren. "Zum Beispiel wirkt die Pille in einer Geschichte gut, in einer anderen gar nicht", erklärt Mehlkop. "Durch die Variation solcher Details kamen wir in unserem Experiment auf insgesamt 6.561 unterschiedliche Geschichten. Davon wurden in der Online-Befragung etwa 600 zufällig ausgewählt."
An vier ebenfalls zufällig ausgewählten deutschen Universitäten beteiligten sich insgesamt 3.500 Studierende und 1.400 Lehrende. Das Forschungsdesign und die ersten Ergebnisse der Studie wurden in der Abschlusstagung des "fairuse"-Projektes im vergangenen Jahr vorgestellt. Auch erste wichtige soziologische Erkenntnisse hat die Auswertung, die noch immer anhält, gezeigt: "Wir konnten fünf wichtige Einflussfaktoren ausmachen, die entscheidend dafür sind, ob Menschen zu bestimmten Medikamenten greifen – drei Risikofaktoren und zwei Entscheidungsfaktoren", fasst der Professor zusammen. Zu den Risikofaktoren gehören demografische Variablen, individuelle Merkmale der jeweiligen Person und das soziale Umfeld. "Bei den demografischen Variablen ist auch der Studiengang von Bedeutung. Wir konnten zum Beispiel bei Studierenden der Ingenieurwissenschaften und der Kunst eine statistisch höhere Bereitschaft zum Brain-Doping feststellen, in anderen wurde ein signifikanter Effekt des Studiums der Veterinärmedizin gefunden", führt Mehlkop aus. Hinzu kommen die individuellen Merkmale eines Studierenden: Wer bereits Erfahrung mit solchen Medikamenten gemacht hat, wird eher noch einmal dazu greifen. Auch bei Studierenden mit Prüfungsangst oder "Aufschieberitis" (Prokrastination) ist die Bereitschaft höher. Studierende mit einer hohen intrinsischen Motivation gegenüber ihrem Studium, also diejenigen, die ihr Fach gern studieren, sich für die Inhalte sehr interessieren und Spaß am Studium haben, weisen dagegen eine eindeutig geringere Bereitschaft zum Brain-Doping auf. Ein dritter Faktor sei das soziale Umfeld eines Studierenden: Je mehr Studierende jemand kennt, die bereits Medikamente nehmen, desto höher ist das Risiko, selbst zu brain-dopen. "Das ist der sogenannte Ansteckungseffekt", sagt Mehlkop. "Entweder man denkt dann, die Pillen sind ungefährlich oder wirken gut, oder man will dazu gehören und cool sein. Es ist dann also eher der soziale Druck, der dazu führt, selbst zur Pille zu greifen." Dabei reiche es aber nicht, zu wissen, dass andere es ausprobiert haben, sondern die positive Beurteilung der "Nutzer" sei ausschlaggebend. Umgekehrt zum sozialen Druck zeigt die Studie auch, dass innerhalb eines Freundeskreises, der Brain-Doping stark ablehnt, der moralische Druck groß ist, nicht zur Pille zu greifen.
"Insgesamt heißt das jetzt aber nicht, dass ein angehender Ingenieur mit Prüfungsangst und Brain-Dopern im Bekanntenkreis unbedingt auch dopt", betont Mehlkop. "Denn es gibt noch weitere Entscheidungsfaktoren. Zum einen haben wir herausgefunden, dass Studierende sehr sensibel sind, was die Wirkung und den Preis der Substanzen angeht." Dabei spiele nicht nur die Höhe der Leistungssteigerung bei einer Einnahme eine Rolle und welcher Preis für diese Wirkung als gerechtfertigt empfunden wird, sondern vor allem die Höhe und Wahrscheinlichkeit von Nebenwirkungen. "Eine Pille kann noch so leistungssteigernd wirken, wenn die Wahrscheinlichkeit von Nebenwirkungen da ist, schreckt das bereits viele ab", erläutert Mehlkop. Der zweite Entscheidungsfaktor, den das Forschungsteam ausmachen konnte, ist die individuelle ethische Einstellung zu Medikamenten und Drogen. Natürlich gebe es ein radikales Lager, die der Ansicht sind, es sei die Pflicht eines Wissenschaftlers, Ergebnisse hervorzubringen: "Und wenn dies durch die Einnahme eines Medikaments ohne weitere Nebenwirkung erreicht oder verbessert werden kann, dann sei auch die Einnahme leistungssteigender Substanzen legitim. Diese nebenwirkungsfreien Medikamente gibt es aber nicht." Insgesamt gebe es unter Wissenschaftlern starke Argumente gegen Medikamente und Drogen: "Zum Beispiel der Leitsatz, Wissenschaft solle nüchtern erfolgen. Die meisten Wissenschaftler haben starke moralische Vorstellungen und so ist die Wahrscheinlichkeit eines Medikamentenmissbrauchs bei ihnen sehr gering", sagt Mehlkop.
Dafür sprechen auch die Zahlen der Studie: Danach haben lediglich 2,8 Prozent der befragten Studierenden Smart Pills bereits ausprobiert. 4,5 Prozent würden es ausprobieren, wenn die Pille gut ist. Unter den Lehrenden wurde vor allem der Einfluss auf die Bereitschaft zur Einnahme untersucht und die erwies sich als deutlich geringer als bei den Studierenden. Der wichtigste soziologische Effekt, den Mehlkop bei der Auswertung der Studie entdeckte, ist jedoch ein Filtereffekt: "Die ethische und moralische Einstellung eines Studierenden oder Wissenschaftlers interagiert mit seiner Kosten-Nutzen-Einstellung. Menschen, die aus ethisch-moralischen Gründen diese Pillen ablehnen, denken gar nicht über den Preis und die Wirkung nach. Für diejenigen, die gegenüber leistungssteigernden Substanzen keine grundlegende Ablehnung empfinden, ist das aber schon von Bedeutung, die denken tatsächlich über die Kosten-Nutzen-Relation nach".
Und Professor Mehlkops persönliches Fazit zum Brain-Doping? "Die Einnahme leistungssteigernder Substanzen für gesunde Menschen ist unnötig. Ihre Wirkung liegt im Zufallsbereich und eine signifikante Leistungssteigerung konnte in der überwiegenden Mehrzahl der mir bekannten medizinischen Studien bislang nicht nachgewiesen werden. Außerdem ist es für Laien so gut wie unmöglich, die richtige Dosierung zu finden, denn wenn man zu wenig nimmt, dann sind sie erst recht wirkungslos. Wenn jemand zu viel einnimmt, kann das Medikament abgesehen von den Nebenwirkungen schnell auch die gegenteilige Wirkung haben."
Damit bleiben ein gutes Zeitmanagement und eine gründliche Auseinandersetzung mit Prüfungsstoff oder Forschungsgegenstand wohl immer noch die besten Mittelchen für den Erfolg in Studium und Wissenschaft.