Meister Eckhart – Brückenbildner zwischen Frankreich und Deutschland, Vergangenheit und Gegenwart

Einblicke
Student mit Notebook vor Kirche

Meister Eckhart war einer der einflussreichsten Theologen Mitteldeutschlands und eine überragende Figur, die in Lehre und Predigt mit "patristischen" Bezügen Deutschland und Frankreich, insbesondere Erfurt, Paris, Straßburg und Köln, zu verbinden wusste und damit noch heute ihre gemeinsame Vergangenheit lebendig werden lässt. In einer Forschungskooperation analysierten Experten aus Frankreich sowie der Universität Erfurt die patristischen Quellen Meister Eckharts, die bisher nie systematisch erforscht worden sind. Prof. Dr. Markus Vinzent ist Leiter der Meister-Eckhart-Forschungsstelle am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt und war einer der Leiter des Projekts. Wir sprachen mit ihm über die vierjährige Forschung und die daraus gewonnenen Erkenntnisse.

Professor Vinzent, was war das Ziel Ihrer Forschung rund um das philosophisch-theologische Denken Eckharts?
Zum einen wollten wir herausfinden, welchen Traditionen Eckhart folgt, sei es eher den lateinisch-westlichen oder auch die in Übersetzung ihm zugänglichen Quellen der griechischen Kirchenväter. Gerade weil Eckhart als einer der kreativsten und innovativsten Denker des Mittelalters gilt, sollte das Studium seiner Quellen diese Annahme präzisieren.

Prof. Dr. Markus Vinzent

Können Sie etwas genauer auf die lateinisch-westliche Tradition und die griechisch-östliche Literatur, die Eckhart nutzte, eingehen? Inwieweit unterscheiden sie sich und was ist das Besondere an ihnen?
Einer der wichtigsten Unterschiede zwischen beiden Traditionen ist die Ontologie – oder die Lehre vom Sein. Während die westliche Tradition Sein substanziell beschreibt und sich in vielen Punkten Aristoteles anschließt, greift Eckhart aus dem östlichen Denken die Relationalität des Seins auf und entwickelt diese weiter. In dem Punkt nimmt er moderne Theorien wie die von Emanuel Levinas und anderen vorweg, indem er das Sein überhaupt nur als Relation begreift, und zwar als nicht-hierarchische Relation von Subjekten, die sich gegenseitig bestimmen. Oder nehmen wir das Beispiel "Zeit": Während Augustinus Zeit als etwas Substanzielles begreift, versteht Eckhart die östliche Tradition fortschreibend als "Nichts".

Welche Schwerpunkte konnten Sie in den Quellen herausfinden?
Tatsächlich hat sich herausgestellt, dass er nicht nur Augustinus und Aristoteles, vermittelt durch Thomas von Aquin und andere, aufgenommen hat und diskutiert, sondern, wenn auch zahlenmäßig seltener, dafür aber inhaltlich oft viel bedeutendere Quellen der griechischen Kirche integriert hat – Johannes von Damaskus, Maximus Confessor, Gregor von Nyssa, Origenes und andere.

Welche Rolle spielte die in der Universitätsbibliothek Erfurt bewahrte "Bibliotheca Amploniana" bei Ihrer Forschung?
Erfurt hat mit der "Bibliotheca Amploniana" die größte Sammlung der ältesten lateinischen Eckhart-Handschriften, an denen man gewissermaßen über die Schulter des Lehrers auf seinen Schreibtisch schauen kann, wie seine Texte von ihm – wenn auch vermutlich nicht mit seiner Handschrift, sondern der seiner Helfer – korrigiert, ergänzt, überarbeitet wurden, wie sie der damaligen Öffentlichkeit vorgestellt wurden und welche Reaktionen sie erfuhren. Erfurt ist überhaupt weltweit für die internationale Forschung der Ort, an dem authentische Orte des Wirkens Eckharts greifbar und erfahrbar werden. Außerdem besitzt diese Sammlung eine Fülle von älteren patristischen Quellen, aus denen er geschöpft hat.

Der Titel des Forschungsprojekts lautet „Lehren und Predigen mit Patristischen auctoritates, Meister Eckhart, Brückenbildner zwischen Frankreich und Deutschland, Vergangenheit und Gegenwart“. Wie hat Ihrer Auffassung nach Meister Eckhart seinerzeit Brücken zwischen den beiden Nationen geschlagen?
Die Verbindung zwischen Frankreich und Deutschland war essenziell für dieses Projekt. Wie Erfurt bieten auch Straßburg und Paris herausragende Bibliotheken an Orten, an denen Meister Eckhart tätig war. In beiden Städten, wie in Erfurt ebenfalls, gab es Dominikanerkonvente, Stätten der höheren Ausbildung, und dort waren Frauen und Männer in diese frühhumanistische Bildung einbezogen. Die Sammlungen in Erfurt ergänzend, konnten wir über die Grenzen hinweg studieren, wie die lateinische Tradition und für Kleriker reservierte Bildung von Eckhart und anderen Lehrenden gerade für Frauen und Männer in den Städten durch Übersetzung ins Mittelhochdeutsche und volkssprachliche Auslegung zugänglich gemacht wurde. Die Präsenz von Eckhart in Paris und die Nähe seiner Gedanken, zu denen etwa von Margerite Porete, zeigt diese sprachen- und grenzüberschreitende gegenseitige Befruchtung, damals wie heute.

Bestehen diese Brücken auch in der Gegenwart fort?
Die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen der Universität Metz-Nancy besteht bereits seit Langem und konnte durch dieses Projekt weiter intensiviert werden. Wir arbeiten derzeit an der Übersetzung von Eckharts einschlägigen Texten ins Neuhochdeutsche und Französische, um für beide Sprachbereiche seine zum Teil noch unzugänglichen Texte verfügbar zu machen.

Inwieweit hat sich bei Ihrem Projekt die bereits zuvor bestehende deutsch-französische Kooperation für Ihre Forschung bewährt?
Diese Kooperation ergänzt sich wunderbar – die französische Seite hat seit Jahren einen Schwerpunkt auf der Mystikforschung der am Rhein angrenzenden Länder, dann auch eine Reihe der lateinischen Schriften Eckharts ins Französische übersetzt und kommentiert. Unsererseits konnten wir die Schriften beisteuern, die bislang unpubliziert und unerforscht waren, unter anderem eine erst vor wenigen Jahren neu aufgefundene mittelhochdeutsche Handschrift, die auf der Wartburg liegt.

Bei Ihrer Forschung sind Sie auch auf 79 bisher unerschlossene mittelhochdeutsche Predigten Eckharts gestoßen. Welche Bedeutung hat dies für Ihr Forschungsfeld?
Die Wiederentdeckung dieser bisher kaum oder gar nicht studierten Predigten Eckharts wird einmal das existierende Bild Eckharts erheblich nuancieren, aber auch ausweiten – gerade etwa, was die angesprochene Laienbildung in philosophischen und theologischen Fragen betrifft. Sie machen deutlich, warum Eckhart innerhalb der Institution der Prozess gemacht wurde – mit der Hauptanklage, dass er Laien in Dingen unterrichtete, die eigentlich den Spezialisten vorbehalten sein sollten. Eckhart, so wird deutlich, hat aber gerade einen Hauptsinn seines Handelns darin gesehen, diese Grenze zwischen Fachleuten und Laien zu überwinden und allen Zugang zu Quellen wie Überlegungen zu geben, um ihnen ein eigenes Urteil zu ermöglichen.

Bietet dies nun Perspektiven für weitere Forschungen?
Wir planen eine Reihe von neuen Forschungsprojekten in diesem Bereich und – neben der kritischen Aufarbeitung der genannten Predigten vor allem ganz im Sinne Eckharts – die Idee, diese und andere Texte der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dazu erarbeiten wir ein Projekt zur Digitalisierung der bisherigen Edition der Predigten, denen wir dann die neuen hinzufügen, so dass sie sowohl der Forschung als auch der Allgemeinheit frei zur Verfügung stehen. Auch hierzu soll es einen größeren Forschungsverbund geben, da diese Arbeit die Kapazität einzelner Forscherinnen und Forscher übersteigen würde.