Die 60. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) war vor allem geprägt von den Konflikten in der Ukraine und in Gaza und dem offen ausgetragenen Streit innerhalb der NATO. Die Nachricht vom Tod Alexei Nawalnys überschattete gleich zu Beginn die diesjährige Konferenz, zu der sich mehr als 450 hochrangige Entscheidungsträger*innen und prominente Meinungsführer*innen aus der ganzen Welt zusammenfanden. Mit dabei: Prof. Dr. Andreas Goldthau, Direktor der Willy Brandt School of Public Policy der Universität Erfurt. Für unseren Forschungsblog "WortMelder" gibt er einen Einblick in die Themen der Konferenz und zieht eine Bilanz...
Öffentliches Schaulaufen, geopolitischer Pulsmesser, diplomatisches Speed Dating und ein Marktplatz an Ideen – die Münchner Sicherheitskonferenz ist vieles gleichzeitig. Die Themenvielfalt ist ebenso unüberschaubar wir die Vielzahl der Formate, die von Town Hall Meetings über Bilaterals, Night Caps bis hin zum sportlichen Security Cup reichen. Was nehmen wir aus dem diesjährigen Treffen mit? Vier Elemente stechen heraus:
Vertreter*innen von Nicht-OECD-Ländern waren präsent und demonstrierten klar, dass die Weltpolitik asiatischer, südamerikanischer und afrikanischer wird
Zum Ersten war es eine Konferenz, in der der "Globale Süden" einen sichtbaren Platz hatte – und ihn auch einforderte. Vertreter*innen von Nicht-OECD-Ländern waren präsent und demonstrierten klar, dass die Weltpolitik asiatischer, südamerikanischer und afrikanischer wird. Damit einhergingen ein großes Selbstbewusstsein und der Anspruch zur Gestaltung, auch in Abgrenzung zu "dem Westen". Subrahmanyam Jaishankar, der Außenminister Indiens, machte dies überdeutlich auf einem Panel mit Annalena Baerbock und Antony Blinken, als er auf die Zusammenarbeit seines Landes mit den BRICS-Staaten angesprochen wurde. Sein lapidarer Kommentar: "Indien hat multiple Optionen. Warum sollte das ein Problem sein? Es ist smart".
Der Klimawandel beeinträchtigt die Wasserversorgung in Regionen mit hohem Bevölkerungswachstum in Asien und Afrika, was neben Fragen grenzüberschreitenden Ressourcenmanagements die Gefahr verstärkter klimainduzierter Migration aufwirft.
Zum Zweiten machte die Konferenz die Vielzahl an überlappenden Krisen überdeutlich, die wichtige globale öffentliche Güter gefährden oder ihre Schaffung unmöglich machen. Zu den Kriegen in Gaza und der Ukraine gesellen sich Krisen wie im Roten Meer oder die anhaltenden Spannungen um Taiwan. Der Klimawandel beeinträchtigt die Wasserversorgung in Regionen mit hohem Bevölkerungswachstum in Asien und Afrika, was neben Fragen grenzüberschreitenden Ressourcenmanagements die Gefahr verstärkter klimainduzierter Migration aufwirft. Gezielte Desinformation und der Aufstieg von KI treffen auf ein globales Superwahljahr. Die Liste ist endlos. Zu allem Überfluss schickt sich in den USA zudem Donald Trump an, ins Weiße Haus zurückzukehren – dieses Mal mit einem wohl deutlich besser vorbereiteten Team. Dies fordert nicht nur die Einheit der NATO heraus, sondern es fügt der multiplen Krisensituation eventuell eine weitere Komplexitätsebene hinzu, die sie nicht mehr navigierbar macht. Das Ergebnis: kollektive Ratlosigkeit unter den Teilnehmer*innen.
Angesichts der innenpolitischen Spannungen, und der möglichen Wahl Trumps, aber auch mit Blick auf eine außenpolitische Prioritätensetzung der USA auf den asiatisch-pazifischen Raum wurde jedoch unmissverständlich klar, dass die Europäer*innen keine andere Wahl haben werden, als dies [Anm. d. Redaktion: weitere Militärausgaben] zu ermöglichen.
Zum Dritten: Wenn es eines weiteren Weckrufs für Europäer*innen bedurfte, sich um die Sicherheit ihres Kontinents zu kümmern, dann wurde dieser auf der MSC gesendet. Sicherlich bemühten sich die Vertreter*innen der Biden-Administration redlich, die wachsenden Zweifel an der weiteren Unterstützung der USA für die Ukraine zu zerstreuen. Allerdings waren sich Demokraten und Republikaner auf der MSC einig: Der Anteil der USA von fast 70 Prozent an den Gesamtausgaben der NATO ist nicht nachhaltig. Europa muss sowohl bei den Verteidigungsausgaben als auch bei der Waffenproduktion und der Unterstützung Kiews "mehr tun". Nun ist dies als Forderung sicherlich nicht neu. Angesichts der innenpolitischen Spannungen, und der möglichen Wahl Trumps, aber auch mit Blick auf eine außenpolitische Prioritätensetzung der USA auf den asiatisch-pazifischen Raum wurde jedoch unmissverständlich klar, dass die Europäer*innen keine andere Wahl haben werden, als dies zu ermöglichen.
Die Diskussion mit den drei russischen Aktivistinnen verdeutlichte nicht nur den großen Mut, den politische Arbeit in einem Land benötigt. [...] Sie zeigte auch, wenn es einen Wandel in Russland geben wird, so wird dieser von Frauen ausgehen.
Zuletzt: Neben dem Krieg im Nahen Osten war Russland allgegenwärtig. Der Tod Alexei Nawalnys wurde von vielen als ein klares Signal des Kremls Richtung München interpretiert, nur Stunden bevor die Staats- und Regierungschefs dort zusammenkamen. Der Auftritt Julija Nawalnajas sorgte für einen, in der Weltpolitik sicherlich seltenen, emotionalen Moment. Was analytisch bleibt: "Rogue Russia", wie es die Eurasia-Analysten in ihrem Risikobericht von 2023 bezeichneten, bleibt auch die kommenden Jahre einer der größten sicherheitspolitischen Unsicherheitsfaktoren. Eines der beeindruckendsten Panels der gesamten Konferenz war das Townhall-Meeting mit Zhanna Nemtsova, Irina Shcherbakova und Ekaterina Schulmann. Die Diskussion mit den drei russischen Aktivistinnen verdeutlichte nicht nur den großen Mut, den politische Arbeit in einem Land benötigt, in dem das bloße Niederlegen von Blumen für den getöteten Nawalny als Widerstand gegen die Staatsgewalt gewertet wird. Sie zeigte auch: Wenn es einen Wandel in Russland geben wird, so wird dieser von Frauen ausgehen. Das war, neben den vielen sehr ernüchternden Einsichten, dann doch ein hoffnungsvoller Gedanke, den man von der Sicherheitskonferenz mitnehmen konnte.