Die Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (GEBF) hat eine Stellungnahme zu alternativen Wegen zum Beruf der Lehrkraft verfasst, die seit mehreren Jahren in vielen Bundesländern eingeführt wurden, um dem Lehrkräftemangel zu begegnen. Diese alternativen Qualifikationswege seien mittlerweile keine „Notlösungen“ mehr, sondern verfestigten sich und hätten angesichts der steigenden Zahl an Teilnehmenden Auswirkungen auf das gesamte System der Lehrkräftebildung, heißt es in der Stellungnahme. „WortMelder“ sprach darüber mit Johannes Bauer, Professor für Bildungsforschung und Methodenlehre an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt, der an dem Statement mitgewirkt hat...
Herr Prof. Bauer, was genau ist die Kritik der GEBF an den alternativen Qualifikationswegen für Lehrkräfte?
Sie bemängelt, dass für die meisten der aktuell existierenden alternativen Qualifikationswege für Quer- und Seiteneinsteiger*innen keine Anbindung an Hochschulen besteht und ihnen damit eine explizite wissenschaftliche Orientierung fehlt. Das damit verbundene Unterlaufen etablierter Qualifikationsstandards scheint dabei übrigens spezifisch für den Beruf der Lehrkraft zu sein. Trotz des teils großen Mangels an qualifizierten Personen gibt es beispielsweise keine vergleichbaren alternativen Qualifikationsprogramme für Mediziner*innen oder Ingenieur*innen. Vermutlich träfen solche Programme auch auf wenig gesellschaftliche Akzeptanz.
Nun versucht z.B. auch das Land Thüringen massiv für den Lehrerberuf zu werben – u.a. mit der groß angelegten Kampagne „Erste Reihe“. Beim Hochschulinfotag der Universität Erfurt, die ja neben Grund- und Regelschullehrkräften auch für Förderschulen und berufsbildende Schulen ausbildet, waren beispielsweise in diesem Jahr Vertreter*innen des Bildungsministeriums vor Ort auf dem Campus und haben Fragen von Studieninteressierten beantwortet. Und auch bei den Gehältern ist inzwischen etwas passiert. Hat trotzdem niemand mehr Lust auf den Beruf oder warum fehlen so viele Lehrkräfte an den Schulen?
Das Problem ist, denke ich, wirklich vielschichtig. Es beginnt damit, dass sich Studieninteressierte zu selten für diejenigen Lehrämter und Fächer begeistern, in denen wirklich Mangel besteht. Zudem leckt die „Pipeline“ von der Ausbildung in den Beruf an mehreren Stellen: durch Studienabbruch, aber auch beim Übergang in den Vorbereitungsdienst und durch dessen Abbruch gehen angehende Lehrkräfte verloren. Das sind nur beispielhafte Faktoren unter vielen. Einfache Antworten gibt es hier leider nicht.
Mit den Alternativlösungen versucht man nun offenbar, die Lücke zu füllen und zum Beispiel mit Seiteneinsteigern den Unterricht abzudecken. Auch daran gibt’s ja Kritik. Aber sind diese Seiteneinsteiger nicht am Ende besser als gar keine Lehrer*innen?
Einerseits ist es natürlich absolut zentral, dass Unterricht überhaupt stattfindet. Andererseits können alternative Qualifikationswege dafür nicht die endgültige Lösung sein. Einen qualitativ hochwertigen Unterricht zu gestalten, ist eine extrem anspruchsvolle Aufgabe. Die Forschung zeigt, dass Lehrkräfte hierfür vielseitige professionelle Kompetenzen auf hohem Niveau benötigen. Das hat die Kultusministerkonferenz in ihren Standards für die Lehrkräftebildung ja auch selbst festgehalten. Ein großes Problem ist, dass alternative Qualifikationswege ins Lehramt diesbezüglich noch unzureichend überprüft sind. Sie müssen erst den Beweis erbringen, dass ihre Absolvent*innen zumindest mittelfristig vergleichbare professionelle Kompetenzen erwerben wie traditionell ausgebildete. Dafür braucht es aus meiner Sicht systematische empirische Begleitung und Evaluation, die bislang nicht stattfindet. Aus einer wissenschaftlichen Begleitung können auch neue Erkenntnisse darüber gewonnen werden, welche Qualifikationselemente effektiv und attraktiv sind. Sie tragen damit zur Bekämpfung des Lehrkräftemangels bei und können langfristig positive Impulse für das Bildungssystem setzen.
Was genau fordert denn nun die GEBF?
Unter Berücksichtigung der vorliegenden empirischen Forschung zur Lehrkräftebildung fordert sie, dass alle Lehrpersonen, die an Schulen unterrichten, die gleichen wissenschaftlichen Qualifikationen besitzen müssen. Vor diesem Hintergrund müssten die alternativen Qualifikationswege in Zusammenarbeit mit Hochschulen angeboten werden. Mit diesen Forderungen ist die GEBF übrigens keineswegs allein, auch andere Stellungnahmen zu alternativen Qualifikationswegen sehen das ähnlich. Basierend auf Modellversuchen hat die GEBF einen Vorschlag für einen Quereinstiegsmaster skizziert: Darin müssen die Kandidat*innen, je nach ihren individuellen Eingangsvoraussetzungen, fachwissenschaftliche, fachdidaktische und bildungswissenschaftliche Module studieren. Parallel werden sie an Schulen zunächst z.B. in der Ganztagsbetreuung eingesetzt und unterrichten ab dem dritten Semester unter Anleitung. Nach dem Studium folgt ein zeitlich verkürzter Vorbereitungsdienst. Zudem ist wichtig, dass Lehrkräften, die nach alternativen Modellen ausgebildet wurden, im weiteren Verlauf ihrer Berufstätigkeit gezielt Fort- und Weiterbildungen angeboten werden, um die professionellen Kompetenzen im Sinne der Standards für die Lehrkräftebildung aufzubauen. Auch in diese Programme wären Hochschulen einzubinden.
Nun wird ja an der Universität Erfurt gerade über das Modell eines dualen Studiums für das Regelschullehramt als ein zusätzliches Angebot zum regulären Master of Education Regelschule nachgedacht, um besonders den Bedarf an Regelschullehrer*innen in Thüringen abdecken zu können. Dazu ist die Uni seit einiger Zeit in Gesprächen mit dem Bildungsministerium. Ist das aus Sicht der GEBF dann also doch keine gute Idee?
Unsere Stellungnahme bezieht sich ja zunächst auf das Problem des Quer- und Seiteneinstiegs, während der geplante duale Studiengang ein grundständiges Angebot ist. Er erfüllt auch alle Kriterien, die wir in der Stellungnahme als grundlegend betonen. Prinzipiell finde ich es sinnvoll, in der Lehrkräftebildung mit neuen Modellen zu experimentieren, solange sie sich an den etablierten Qualifikationsstandards orientieren. Gleichzeitig gilt auch hier, dass man die Effekte und den Mehrwert systematisch empirisch überprüfen muss. Das betrifft einerseits die bereits angesprochene Kompetenzentwicklung der Studierenden. Andererseits stellt sich die Frage, ob man mit einem solchen Angebot insgesamt gesehen tatsächlich zusätzliche Studierende für das Regelschullehramt gewinnen kann. Das wäre allerdings ein großer Erfolg.