„Wir wollen die Sammlung Perthes gemeinsam in die Welt hinaus tragen“

Vorgestellt

Der Forschungscampus Gotha der Universität Erfurt ist ab dem 1. Januar 2021 um eine zentrale wissenschaftliche Einrichtung reicher: Im neuen Jahr nimmt das „Forschungskolleg Transkulturelle Studien / Sammlung Perthes“ dort seine Arbeit auf. Zusammen mit ihrem Stellvertreter Prof. Dr. Wolfgang Struck wird Prof. Dr. Iris Schröder als Direktorin das neue Forschungskolleg in den kommenden fünf Jahren führen. „WortMelder“ hat mit ihr über ihre Pläne gesprochen…

Es ist geschafft, das Forschungskolleg geht im Januar an den Start. Im Vorfeld ist ja viel darüber diskutiert worden, wie man sich auf dem Forschungscampus Gotha neben der Forschungsbibliothek und dem Forschungszentrum am besten aufstellt, um die dort liegenden Schätze zu heben, zu erforschen und auch für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Was genau wird denn nun der Gegenstand der Arbeit des Forschungskollegs „Transkulturelle Studien / Sammlung Perthes“ sein oder anders gefragt: Mit welchen Fragen und Projekten werden Sie sich beschäftigen?
Prof. Dr. Iris Schröder: Das neue Forschungskolleg wird als zentrale wissenschaftliche Einrichtung die von der Forschungsbibliothek Gotha kuratorisch betreute Sammlung Perthes stärker mit den wissenschaftlichen Aktivitäten am Campus Erfurt verbinden; zugleich wird es aber auch die Sammlung als universitäre Sammlung weiter für die nationale wie internationale Scientific Community profilieren. Dafür wollen wir Mittel zur weiteren Erforschung der Sammlungsbestände einwerben – und auch für forschungsgeleitete Digitalisierung. Alles in allem ist das Ziel, die Forschungen zur Sammlung Perthes zu intensivieren und ihre Sichtbarkeit weiter zu erhöhen, schließlich handelt es sich um ein nationales Kulturgut, das große Aufmerksamkeit verdient.

Von der Sammlung Perthes ausgehend, wollen wir zugleich auch andere Gothaer Sammlungsbestände vom ausgehenden 18. bis zum 20. Jahrhundert in unsere Arbeit einbeziehen und darüber hinaus den Verbindungen, die sich aus der Sammlung heraus ergeben, nachgehen. Uns interessieren transkulturelle Studien, die globalhistorische Ansätze mit Ansätzen aus der historischen Wissensforschung, den Literatur- und Medienwissenschaften aber auch den Politikwissenschaften aufeinander beziehen. Konkret bedeutet dies, dass wir bereits vorhandene, aber auch neue thematische Forschungsfelder weiter erschließen. Ein Schwerpunkt wird sicher die Forschung zur Kartografie der Meere sein, die wir in unserem BMBF-Verbundprojekt begonnen haben, aber auch in neuen Projekten weiterführen wollen, z.B. mit der Ausstellung „Karten Wissen Meer“ im kommenden Frühjahr im Rahmen der „Gothaer Kartenwochen“. Der dazugehörige Bestand hat uns in seiner Fülle überrascht und in seiner Vielschichtigkeit und Aussagekraft unsere Erwartungen weit übertroffen.

Ein zweiter wichtiger Bereich wird in der historischen Forschung zu Afrika liegen. Hier haben wir in der Vergangenheit mit unseren äthiopischen Partnern bei der gemeinsamen Lektüre der Karten, die gerade im Falle Äthiopiens in Gotha in einer besonderen Dichte vorliegen, sehr viel Neues gelernt. Wir möchten diese Kooperation in neuen Forschungsvorhaben weiterführen; zugleich diese Kooperation aber auch ausweiten, und etwa Kolleg*innen aus Tansania oder Kamerun für die gemeinsame Arbeit gewinnen. Auch Westafrika und Südostafrika stehen auf dem Programm – wobei wir diese Arbeit als einen Beitrag zur Geschichte des „Kolonialismus in Thüringen“ verstehen, denn auch der Verlag Justus Perthes Gotha war eng in das koloniale Projekt verstrickt.

Es gibt darüber hinaus eine Fülle an weiteren Themen, die sich hoffentlich bald zu neuen Schwerpunkten entwickeln werden: die Verlagsgeschichte etwa, die wir in den kommenden Monaten auch im Rahmen eines kollaborativen Forschungsseminars zum Thema „Der Perthesverlag in den Umbrüchen des 20. Jahrhunderts“ vorantreiben wollen. Wir hoffen, dass wir Studierende für die Arbeit mit der Sammlung begeistern können, und freuen uns auf Master-Arbeiten und auf die hoffentlich auch daraus entstehenden Dissertationen. Prominent wird uns in der kommenden Zeit gewiss auch das Thema Sammeln beschäftigen: Hier werden wir eine Forschungsgruppe zu „Wissensdingen“, die wir mit Kolleg*innen aus Göttingen und Lübeck gestartet haben, weiterverfolgen und gemeinsam mit Erfurter Kolleg*innen an einem Graduiertenkollegsantrag zu den „Kulturtechniken des Sammelns“ arbeiten. Alles in allem freuen wir uns, wenn Nachwuchswissenschaftler*innen mit Ihren Forschungsideen zu uns kommen, die Fülle der Möglichkeiten ist groß und wir lernen mit jeder Person, die zu uns kommt, die Sammlung in neuer Weise kennen.

Auch Digitalisierungsprojekte stehen bei uns auf dem Programm: Derzeit läuft an der Thüringischen Universitäts- und Landesbibliothek Jena, mit Förderung der Thüringer Staatskanzlei ,das Pilotprojekt DISPLAY zur Digitalisierung großformatiger Objekte. In diesem Zusammenhang werden auch die Schulwandkarten der Sammlung Perthes digitalisiert, um sie später im Kulthura-Portal des Landes zu präsentieren. Last but not least hoffen wir, im Frühjahr ein weiteres großes Vorhaben starten zu können: die Digitalisierung des gesamten Kartenbestands zu Afrika und Asien, insgesamt gut 35.000 Karten. Wir werden dieses Projekt mit Transferformaten begleiten, einem wissenschaftlichen Blog und mit Veranstaltungen, und zwar sowohl in analogen als auch digitalen Formaten. Nicht zuletzt wollen wir damit die Sammlung „in die Welt hinaus tragen“, eine internationale Forschungsgruppe zum Thema Grenzen und Territorialität wird uns dabei begleiten. Ebenso hoffen wir natürlich, dass die Welt auch nach Gotha kommt – vor allem im Rahmen der Gothaer Stipendienprogramme.

Und welche Personen stecken hinter dem Forschungskolleg?
Es gibt eine Gruppe von Gründungsmitgliedern, die sich den Aufbau des Forschungskollegs zu eigen gemacht haben: Zu den Gründungsmitgliedern gehören die Erfurter Professor*innen Dr. Omar Kamil, Bernhard Kleeberg, Christiane Kuller, Wolfgang Struck (alle Philosophische Fakultät), Alexander Thumfart (Staatswissenschaftliche Fakultät) und ich. Hinzu kommen die Mitarbeitenden in den Forschungsprojekten und an der Professur für Globalgeschichte: Dr. Stefanie Klamm, Franziska Rantzsch, Dr. Felix Schürmann und Elena Stirtz sowie die Promovierenden aus dem Nachwuchskolleg „Wissensgeschichte der Neuzeit“, die zu Themen des 19. und 20. Jahrhunderts arbeiten. Natürlich werden im Laufe der Zeit neue Kolleginnen und Kollegen hinzukommen. Zum Beispiel können neben den ordentlichen Mitgliedern Gastwissenschaftler*innen aus dem In- und Ausland für die Dauer ihres Aufenthaltes an der Universität Erfurt oder einer projektbezogenen Kooperation den Status eines assoziierten Mitglieds („Fellow“) bekommen. Und natürlich sind wir eng mit der Forschungsbibliothek Gotha verbunden, der ja nach wie vor die bibliothekarisch-kuratorische Betreuung der Sammlung Perthes obliegt. Deshalb ist die Leiterin der Sammlung gemäß unserer Satzung auch Mitglied unseres Forschungskollegs.

Was werden die ersten Schritte nach der Einrichtung sein und welche mittelfristigen Pläne gibt es?
Wir haben gleich zu Anfang viel zu tun, da Forschungsprojekte, wie das Karten-Meere-Verbundprojekt weiterlaufen: Hier gestalten wir 2021 die „Gothaer Kartenwochen“ mit und arbeiten an dem wissenschaftlichen Abschlussband. Das große Digitalisierungsvorhaben zu den Karten Afrikas und Asiens, das wir im Frühjahr starten wollen, wird uns auch in Anspruch nehmen, ebenso die laufende Digitalisierung der Schulwandkarten und die genannten Initiativen zum „Sammeln“. Mittelfristig wollen wir die oben genannten Schwerpunkte weiter profilieren. Aber es werden auch noch andere Themen hinzukommen: Die Bestände zur thematischen Kartografie etwa werden uns vermutlich zu einem Projekt über das „Risiken kartieren“ bringen und das Archiv lädt gleichsam dazu ein, im Hinblick auf transkulturelle Verflechtungen die Selbstzeugnisforschung voranzutreiben. Außerdem werden die Verlagsgeschichte sowie Forschungen zum 20. Jahrhundert insgesamt künftig einen Schwerpunkt bilden.

Weitere Informationen / Kontakt:
Prof. Dr. Iris Schröder
E-Mail: iris.schroeder@uni-erfurt.de

Prof. Dr. Wolfgang Struck
E-Mail: wolfgang.struck@uni-erfurt.de