Manch einer auf dem Campus kennt ihn sicherlich noch aus seiner früheren Tätigkeit als Akademischer Rat im Fachgebiet Grundschulpädagogik und Kindheitsforschung an der Universität Erfurt. Für alle anderen stellen wir ihn hier noch einmal vor, denn Ulf Sauerbrey ist zurück an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät und hat zum 1. März die Professur für „Kindheit und Jugend in digitalen Bildungswelten“ angetreten. Wir freuen uns, dass er da ist, und sagen: Herzlich willkommen zurück!
Als er durch das Verwaltungsgebäude geht, um seine Ernennungsurkunde in Empfang zu nehmen, strahlt Ulf Sauerbrey. Sagt hier und da "Hallo". Man sieht ihm an, dass er sich auf die Uni Erfurt und seine neue Professur freut. "Der wollte zurück", das spürt man deutlich. Was ihn an der Professur in Erfurt gereizt hat? Die Themenvielfalt in Forschung und Lehre. "Die Professur lehrt neben den erziehungswissenschaftlichen Studiengängen auch in der Primarpädagogik und im transdisziplinären Master-Studiengang Kinder- und Jugendmedien", sagt der 41-Jährige. "Auch wenn die Formel etwas abgedroschen klingt, weil sie so oft zu lesen und zu hören ist: Ich mag es, über den Tellerrand zu blicken und mit Studierenden verschiedener Studiengänge über pädagogische Perspektiven zu diskutieren – sei es in der Kindheits- und Jugendforschung, im Bereich der Medien- und Kommunikationswissenschaft oder eben auch ganz klassisch in der Erziehungswissenschaft und Primarpädagogik." Klar, auch die Nähe zum Wohnort seiner Familie in Thüringen habe bei seiner Bewerbung eine Rolle gespielt. Aber nach mehreren Jahren akademischer Arbeit an der Mecklenburgischen Seenplatte sei es auch einfach schön, wieder hierher zurückzukehren und mit einem eingespielten Team an der Professur zu arbeiten. Außerdem mag Ulf Sauerbrey Erfurt, den Charakter der "kleinen Großstadt", die es im möglich macht, nicht nur ein breites Angebot an (Sub-)Kultur zu nutzen, sondern auch innerhalb kurzer Zeit "auf dem Land" zu sein. Die Thüringer Landeshauptstadt werde übrigens auch von vielen seiner Kolleg*innen von anderen Hochschulen geschätzt, sagt Sauerbrey. Nicht zuletzt wegen der zentralen Lage in Deutschland: "Wenn es darum geht, wo Arbeitstreffen verschiedener Forschungsnetzwerke stattfinden können, kommen wir fast immer auf Erfurt, das durch Lage und Bahnanbindung für alle sehr gut erreichbar ist."
Das Thema Kindheit und Jugend in digitalen Bildungswelten und damit die Denomination seiner Professur findet der gebürtige Saalfelder insofern überaus spannend, als es sich nicht explizit auf eine einzige Teildisziplin der Erziehungswissenschaft richtet. "In meinem Magister-Studium mit zwei Hauptfächern – Erziehungswissenschaft und Neuere Geschichte – habe ich mich in solchen 'Grenzgängen' zwischen den Fächern bereits versucht. Später habe ich dann als wissenschaftlicher Mitarbeiter und als Hochschullehrer in den Bereichen der Allgemeinen Erziehungswissenschaft, der Sozialpädagogik, der Kindheitspädagogik, der Medienpädagogik, der historischen Kindheits- und Jugendforschung und eine Zeit lang auch im Bereich Gesundheit gelehrt und geforscht. Dabei hat mich das Themenfeld Kindheit(en) und Medien immer begleitet."
An der Universität Erfurt wird sich Ulf Sauerbrey nun vor allem der Grundlagenforschung widmen: "Mich interessiert, was Medien zu bestimmten Medien macht. Um das kurz zu erläutern: Es gibt Jugendliche, die schauen sich online Tutorials zum Schminken an oder lesen Ratgeber zum Thema Freundschaft. Manche tun dies aber nicht, weil sie zu den Themen Schminken oder Freundschaft einen Rat oder eine Anleitung suchen, sondern weil sie die darin enthaltenen Fallbeispiele und Tipps amüsant und unterhaltend finden. Und in Interviews haben uns Kinder berichtet, wie sie etwa die Unterhaltungsjugendserie ‚Dance Academy‘ auf YouTube nicht zur Unterhaltung schauen, sondern vielmehr als Lern- oder gar Ratgebervideo nutzen, um sich Tanzschritte anzueignen, indem sie bei den Tanzszenen immer wieder zurückgespult und so die Tänze durch Wiederholung und Nachahmung eingeübt haben. Bestimmte Kategorien, die eigentlich die Angebotsseite von Medien beschreiben sollen, werden also durch Kinder und Jugendliche auf die Seite der Inanspruchnahme transformiert. In Bezug auf Lebensräume kennen wir eine solche ‚Umnutzung‘ aus der Kindheitsforschung schon lange. Im Hinblick auf Mediensozialisation, -bildung und -erziehung ist das bislang von der Forschung aber zu wenig beleuchtet worden. Insbesondere zu Ratgebermedien, die ich in den vergangenen Jahren im Rahmen eines DFG-Netzwerks untersucht habe, werde ich weiter forschen. Und in der ´2023 auf dem Campus eröffneten medienpädagogischen Werkstatt ‚eduroom‘ werden wir uns an der Professur auch mit Bildungsmedien im Allgemeinen auseinandersetzen. Im Grunde sind das alles Brücken, die ich auch in die Medien- und Kommunikationswissenschaft schlagen möchte, die bei uns an der an der Philosophischen Fakultät angesiedelt ist. Ich freue mich schon auf diese transdisziplinäre Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen. Darüber hinaus werde ich aber auch in der Erfurter Fröbel-Forschungsstelle mitarbeiten, die 2022 von Prof. Dr. Andrea Schmid gegründet wurde. In der Forschungsstelle befinden sich historische Dokumente, u.a. zur Geschichte der Kindheit, die künftig digitalisiert werden müssen."
Ob es eine Person gibt, die ihn in seiner beruflichen bzw. wissenschaftlichen Laufbahn besonders geprägt oder inspiriert hat, wollen wir von Ulf Sauerbrey wissen. Nun, das sei ja im 21. Jahrhundert so eine Sache, erklärt er: "Wissenschaften funktionieren heute ja kaum mehr nach einem einfachen ‚Lehrer-Schüler-Prinzip‘, sondern sind weitaus stärker Teamarbeit. Und das gilt irgendwie auch für die Rezeption wissenschaftlicher Vorarbeiten. Auch bei mir gab es nicht die eine Person, auf deren Schultern ich mich sinnbildlich gestellt habe, um besser ins Forschungsfeld sehen zu können. Was mich aber sehr stark in meiner Arbeit bis heute beeinflusst, sind Forschungszugänge und Theorien von Aloys Fischer, Wolfgang Sünkel, Klaus Prange und Gabriele Strobel-Eisele. Anders als viele Erziehungswissenschaftler*innen des 20. und 21. Jahrhunderts arbeiteten bzw. arbeiten sie grundlagentheoretisch bzw. deskriptiv an pädagogischen Sachverhalten und fragen dabei mit einer fast schon strengen Enthaltsamkeit nicht danach, was gute Erziehung oder was empfehlenswerter Unterricht ist. Sie suchen stattdessen Antworten darauf, was Erziehung der Sache nach ist, was Unterricht in seinen Tätigkeitsstrukturen charakterisiert, welche pädagogischen Handlungsformen identifizierbar sind und wie sich diese systematisieren lassen. Erst wenn solche Fragen nach den Grundtatsachen einer Disziplin geklärt sind, lässt sich meines Erachtens auch sinnvoll und zielführend nach Normen fragen, also z.B. danach, welche Ziele pädagogisches Handeln verfolgen und in welchen Formen es stattfinden sollte. Mit diesem Ansatz einer deskriptiven Grundlagenforschung möchte ich in den kommenden Jahren vor allem einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Medienpädagogik leisten. Dort gibt es zwar inzwischen mehrere Vorschläge dazu, wie etwa Medienerziehung oder Medienbildung praktisch stattfinden sollen. Die Fragen danach, was diese Sachverhalte jedoch grundlegend charakterisiert (was sie eigentlich sind), wurden bislang nicht durchweg zufriedenstellend beantwortet."
Neben der Medienpädagogik und der Bildungsmedienforschung wird Sauerbrey künftig vor allem im Bereich Kindheitsforschung lehren. Dort geht es um Forschungszugänge zu den Lebenswelten von Kindern und darum, Sensibilität für die Ausdrucksformen von Kindern und für Peer-Kulturen von Kindern zu entwickeln. Ein Thema wird dabei auch sein, wie rasch es geschieht, dass Pädagog*innen ihre eigene Kindheit zur unreflektierten Norm im Umgang mit heute Aufwachsenden machen (z.B. beim Umgang mit digitalen Medien), obwohl Kinder in der Gegenwart in einer teils deutlich anderen Umwelt leben als die Pädagog*innen selbst noch vor wenigen Jahrzehnten.
Und wenn der neue Kollege mal gerade nicht Professor ist – womit beschäftigt er sich dann? Ulf Sauerbrey lacht: "Wirklich ablegen kann ich meine Identität als Wissenschaftler im Privatleben nur schwer. Aber mein Alltag unterscheidet sich dennoch wahrscheinlich nur wenig von dem, was andere Menschen so in ihrem Privatleben tun. Ich koche gern und versuche, so viel Zeit wie möglich für meine Familie zu haben. Und wenn ich mal Zeit für mich allein finde, dann jogge ich gern oder fahre Fahrrad."