Im Rahmen des COFUND-Fellowship-Pogramms forschen regelmäßig Wissenschaftler aus aller Welt am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt. Unter ihnen ist aktuell auch Giulia Pedrucci, die hier zum Thema “Mothering and (Wet)Nursing: A Metadisciplinary Study on Parenting Strategies in the Greek and Roman Worlds” arbeiten wird. „WortMelder“ stellt sie hier kurz vor…
Mutterschaft und Stillverhalten – das sind Themen, die auf den ersten Blick für die akademische Forschung ungewöhnlich erscheinen. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, hierzu zu arbeiten?
Ursprünglich habe ich über Göttinnen geforscht, die als Mütter dargestellt wurden oder Mütter waren. Da stellte sich für mich die Frage, ob diese antiken Göttinnen auch als stillende Mütter dargestellt wurden und, generell, welche Einstellung man zum Stillen von Kindern in der Antike hatte. Dabei wurde es mir schnell wichtig, nicht nur natürliche Mütter zu betrachten sondern meine Forschungen auch auf die Mitglieder der antiken Gesellschaft auszuweiten, die „mütterliche Funktionen“ übernehmen, wie zum Beispiel Ammen, Hebammen, Lehrer, Väter und andere Familienmitglieder, die in der Antike einen wesentlich größeren Einfluss auf die Erziehung von Kindern hatten als heute. Ich denke, dass es damals um jedes Kind herum ein ganzes Netzwerk von Beziehungen gegeben hat, das Mutter und Kind unterstützt hat. Es scheint so, als ob im antiken Rom vor allem die Schwester der Mutter, also die Tante des Kindes, einen wesentlichen Einfluss auf die Erziehung eines Kindes hatte.
Und womit wollen Sie sich speziell in Erfurt beschäftigen?
Am Max-Weber-Kolleg werde ich mich vor allem mit antiken Ritualen beschäftigen, bei denen es um Frauen und Kinder geht und die im Bereich des Heiligtums durchgeführt wurden. Dabei gehe ich von Votivstatuen aus, die Frauen und Kinder zeigen und frage: Wer hat sie in das Heiligtum gestellt und warum?
Was hat sie besonders an einem Forschungsaufenthalt am Max-Weber-Kolleg in Erfurt gereizt?
Am Max-Weber-Kolleg geht es mir vor allem um die Menschen, denen ich hier begegnen werde und schon begegnet bin. Die Gruppe, die sich mit „Urban Religion“ beschäftigt, wird mir helfen, den Unterschied zwischen ländlichen und städtischen religiösen Orten für meine Forschungen besser zu definieren. Außerdem geht es in meinen Forschungen um gelebte antike Religion, ein Thema, das am Max-Weber-Kolleg einen großen Raum einnimmt. Mit einzelnen Forscherinnen werde ich über etruskisches Material sprechen, was eventuell in meine Forschung einfließen könnte, oder auch über die Frage der nicht-biologischen Mutterschaft in mittelalterlichen Klöstern. Interessant für meine Forschung sind auch alle Herangehensweisen, die die Resonanztheorie Hartmut Rosas nutzen. Am engsten werde ich jedoch mit Emiliano Urciuoli, Asuman Lätzer-Lasar und Jörg Rüpke zusammenarbeiten, die mir schon jetzt wichtige Anstöße für mein Thema gegeben haben. Außerdem reizt mich das interdisziplinäre Arbeiten am Max-Weber-Kolleg und die konstruktive Art und Weise, an der hier Kritik geäußert wird. Die meisten, mit denen ich ins Gespräch gekommen bin, haben ein Interesse daran, meine Forschungen kennen zu lernen und zu reflektieren, mit mir ins Gespräch zu kommen und mir konstruktiv weiterzuhelfen.
Hat Ihr Forschungsthema, das sich hauptsächlich mit antiken Vorstellungen beschäftigt, auch einen aktuellen Bezug?
Natürlich. Mir geht es immer wieder darum, wie Mutterschaft durch religiöse Autoritäten beeinflusst wird, auch und besonders durch männliche Autoritäten. Männer haben bestimmte Vorstellungen von der Mutterschaft, die sie bewusst oder unbewusst auf Mütter übertragen. Das habe ich auch in meiner eigenen Biografie erlebt. Ich habe zwei Kinder, die im Abstand von acht Jahren geboren sind. Beide Male erklärten mir Ärzte und andere Autoritäten aus der von Männern geprägten Medizin, wie ich mein Stillverhalten ausrichten sollte, wie lange ich zu stillen habe, und was es bedeutet, in dieser Hinsicht eine „gute Mutter“ zu sein. Seltsamerweise hatte sich im Verlauf von nur acht Jahren die Einstellung zum Stillen sehr verändert. Beispielsweise rieten mir eben diese männlichen Autoritäten zu einem längeren bzw. kürzeren Stillen und versuchten, meine Mutter-Sein mit ihrem medizinischen Wissen zu beeinflussen. Die Kommunikation mit meiner eigenen Mutter und Großmutter zu diesem Thema war ebenfalls schwierig, denn ihre und meine Erfahrungen waren grundlegend verschieden. Mir ist es wichtig zu zeigen, dass Mütter ihren eigenen Weg finden müssen und selbst herausfinden dürfen, was es heißt, eine Mutter zu sein. Die Vielfalt der antiken Ideen über die Mutterschaft ist dafür ein Beispiel. Zu diesem Thema werden Olivera Koprivika und ich im Juli 2018 auch den internationalen Workshop “Breastfeeding(s) and Religions: A Cross-Cultural and Interdisciplinary Perspective from Antiquity to Present” an der Universität Erfurt organisieren.
Im COFUND-Fellowship-Programm geht es auch um Intersektoralität. Jeder Forscher soll ein Projekt anstoßen, bei dem die eigenen Forschungen in die Gesellschaft hineingebracht werden. Was haben Sie konkret vor?
Ich habe beobachtet, dass sowohl in der Antike als auch in der Moderne Frauen oft dafür verurteilt werden, dass sie ihre Kinder nicht „auf die richtige Art und Weise“ erziehen. Wer aber entscheidet, was die „richtige Art und Weise“ für die Kindererziehung ist? Schon in der Antike gab es Versuche, Frauen für falsche Erziehung verantwortlich zu machen und ihr Stillverhalten sowie ihre gesamte Einstellung zur Mutterschaft den gesellschaftlichen Normen anzupassen, die sich jedoch stetig veränderten. In meinem intersektoralen Projekt wird es darum gehen, die Stillfreundlichkeit von Apotheken in Erfurt zu untersuchen und anzuregen, dass Apotheken stillende Frauen in ihrem Vorhaben unterstützen. Eine Apotheke, die mit mir kooperieren will, habe ich sogar schon gefunden.
Haben Sie auch private Pläne für ihren Aufenthalt in Erfurt?
Weil mein jüngeres Kind mit nach Erfurt gekommen ist, entdecke ich Erfurt gerade auf besondere Weise und aus der Perspektive eines Kleinkindes. Wir besuchen die Spielplätze in der Umgebung, waren schon im Zoo und im EGA-Park, haben das Karussell auf dem Domplatz ausprobiert. Mir gefallen hier vor allem die Grünanlagen und Parks. Mit den verkehrsberuhigten Zonen und den vielen grünen „Oasen“ in der Stadt nehme ich Erfurt als ausgesprochen kinderfreundlich wahr. Und das genieße ich.