Das Bauhaus-Jubiläumsjahr 2019 verhalf den Frauen des Bauhauses zu neuer Aufmerksamkeit. Doch vieles liegt noch im Dunkeln: Von den rund 460 verzeichneten Studentinnen am Bauhaus sind beispielsweise nur von zwei Dritteln die Lebensdaten bekannt. Traditionelle Rollenvorstellungen, Heirat und Namenswechsel oder die vielfach schwierigen Lebensverhältnisse alleinstehender Frauen führten dazu, dass sie ihr künstlerisches Talent nicht immer frei entfalten konnten, ihr Werk nicht erhalten ist und ihre Lebenswege kaum Spuren in den Archiven hinterlassen haben. Insbesondere die nationalsozialistische Machtübernahme 1933 wirkte sich auf weibliche Bauhaus-Angehörige aus. Verfolgt durch das NS-Regime fanden einige den frühen Tod. Sie wurden im Exil Opfer stalinistischer Säuberung, starben aufgrund von Krankheit oder in den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs.
Ein neues Ausstellungsprojekt der Universität Erfurt und der Klassik Stiftung Weimar unter dem Titel „Vergessene Bauhaus-Frauen“ widmet sich nun der Erforschung dieser Schicksale, von denen mehr als 30 ab dem 1. Oktober 2021 im Bauhaus-Museum Weimar vorgestellt werden. „Die Erinnerung an die früh verschiedenen Bauhäuslerinnen trägt zur differenzierten Aufarbeitung der Bauhaus-Geschichte im Nationalsozialismus und Exil bei und verknüpft damit den Gender- und den zeithistorischen Diskurs“, erläutert Prof. Patrick Rössler, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Erfurt. Doch nicht alle Frauen wurden verfolgt, einige gingen sogar konform mit der neuen Ideologie und traten in die NSDAP ein: „Diese Lebenswege sind in ihrer Verschiedenheit aufzuzeigen, um dem falschen Eindruck vorzubeugen, es habe das eine, typische Frauenschicksal in den 1930er-Jahren gegeben“, sagt Dr. Anke Blümm (Uni Erfurt/Klassik Stiftung Weimar).
In loser Folge stellt „WortMelder“ einige der „vergessenen Bauhaus-Frauen“ einmal kurz vor. Heute: Hedwig Slutzky (07.01.1894 bis 07.12.1943). Sie war von 1922 bis 1923 am Bauhaus in Weimar.
„Ich sende Ihnen [...] , um sie näher über meine und meiner Frau Arbeiten zu informieren, was ich an Photographien unsrer Sachen gerade zur Hand habe. Leider habe ich weder Aufnahmen von den großen Wandschirmen meiner Frau für Hoetger [...], noch meines Wandbildes für die Odenwaldschule hier.“ 1920 schrieb der Künstler Ewald Dülberg (1888–1933) diese Zeilen an Walter Gropius. Er unterlag der irrigen Vorstellung, Gropius könne am neu gegründeten Bauhaus weitere Lehraufträge vergeben. Dülberg pries mit diesem Brief nicht nur seine Werke, sondern auch die seiner Frau, Hedwig Dülberg-Arnheim an. Die erwähnten, plastisch-farbig und expressionistisch bestickten Wandschirme mit deutlich asiatischem Einfluss hatte sie als 22-jährige für den Bildhauer Bernhard Hoetger erstellt und 1916 ausgestellt. In dieser Zeit hatte sie sich umfassend mit aufwändiger Stickerei befasst, Malerei in textilen Ausdruck übersetzt und war damit an die Grenzen dessen gegangen, was freie und angewandte Kunst bis dato trennten.
Hedwig Arnheim wurde 1894 als Sohn des Arztes Felix Arnheim und seiner Frau Lisbeth geboren. Sie waren jüdischer Herkunft, jedoch konfessionslos, und Hedwig wurde getauft. Ab 1914 studierte sie an der Hamburger Kunstgewerbeschule Akt- und Porträtzeichnen bei Ewald Dülberg, den sie 1915 heiratete. 1918 kam die Tochter Esther Maria zur Welt. Das Ehepaar ging von 1919 bis 1920 an die Odenwaldschule nach Oberhambach, wo beide unterrichteten. Beide waren in dieser Zeit Teil der Darmstädter Sezession, deren Ausstellungen in der Presse besprochen wurden. Bezeichnend für die damalige Zeit: Michel stellte ausführlich die freien Werke der Künstler vor, zum Schluss widmete er drei Sätze den zwei Künstlerinnen. Immerhin lobte der Autor Hedwig Dülberg sehr: „An kunstgewerblichen Dingen sind diesmal nur Stickereien da. In sehr entwickelter, stilistischer Weise geht Hedwig Dülberg-Arnheim vor, mit außerordentlicher Reife der Technik menschliche Figur überlegen bezwingend.“
Nach dem Scheitern der Ehe und der Scheidung von Dülberg 1921 kam Hedwig Arnheim ans Weimarer Bauhaus, um hier ein Jahr weiterzustudieren. Wieso sie den Kontakt zum Bauhaus suchte, ist nicht bekannt. Sie nahm am Grundkurs bei Itten teil und war ein weiteres Semester Lehrling der Webereiwerkstatt. Sie lernte hier den Werkmeister Naum Slutzky (1898–1965) kennen, den sie 1923 heiratete. Naum Slutzky war Teil des Wiener Ittenkreises um Singer, Dicker und Wottitz. Mit Singer und Dicker ging das Paar zunächst nach Berlin, um an den Werkstätten Bildender Kunst mitzuarbeiten, kurze Zeit später hielten sie sich in Wien auf. Doch im Oktober 1924 brachte sie die wirtschaftliche Not ins Arnheim’sche Elternhaus nach Hamburg. Hedwig Slutzky scheint in dieser Zeit als Inneneinrichterin und Schneiderin gearbeitet zu haben. Auch diese Ehe scheiterte, 1927 trennten sie sich, 1930 erfolgte die Scheidung.
Nach 1933 geriet der Vater Arnheim mit seiner Arztpraxis immer mehr unter Druck. Hedwig Slutzky emigrierte 1936 nach Südfrankreich, wo sie kurzzeitig von 1936 bis 1938 mit einem anderen, aus Hamburg stammenden Bauhäusler liiert war, Henry Gowa (1902–1990). 1943 wurde sie als Jüdin verraten, kam zunächst ins Durchgangslager Drancy, am 7. Oktober 1943 wurde sie nach Auschwitz deportiert, was höchstwahrscheinlich ihrem Todesdatum entspricht.
Heute hat sich der größte Bestand an Werken von Hedwig Slutzky im Museum für Kunstgewerbe Hamburg erhalten: Diverse Stickbilder, Aktzeichnungen, Holzschnitte, Lithografien dokumentieren ihre fruchtbare künstlerische Entwicklung in der Zeit von 1912 bis in die 1920er-Jahre. Werke aus der späteren Zeit sind nicht bekannt.
Die Ausstellung "Vergessene Bauhaus-Frauen. Lebensschicksale in den 1930er- und 1940er-Jahren" zeigen die Universität Erfurt und die Klassik Stiftung Weimar vom 1. Oktober 2021 bis zum 4. Januar 2022 im Bauhaus-Museum Weimar.
„Vergessene Bauhausfrauen“
Teil 1: Margarete Schall – „Die Schule verliert eine ihrer wertvollsten Lehrkräfte“
Teil 2: Frida von Düring – Bauhausstudierende? Bauhausgegnerin!
Teil 3: Helene von Heyden – Entrechtung einer Mannheimer Malerin
Teil 4: Hedwig Slutzky – An den Grenzen von Malerei und Kunstgewerbe