"Wissenschaft ist immer auch mit Unsicherheit behaftet"

Einblicke , Vorgestellt

Am Institute for Planetary Health Behaviour der Universität Erfurt (IPB) startet im November 2023 ein neues Forschungsprojekt unter dem Titel „UncertainTEAM Zielgruppengerechte Kommunikation wissenschaftlicher Unsicherheit in multiplen Krisen“. Darin untersucht das Forschungsteam, wie Journalismus und Wissenschaftskommunikation mit wissenschaftlicher Unsicherheit umgehen und wie man diese Unsicherheit zielgruppengerecht und mit Blick auf gesellschaftliche Krisen kommunizieren kann. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Projekt für die kommenden drei Jahre mit rund 600.000 Euro.

"Wissenschaft ist immer auch mit Unsicherheit behaftet: Es gibt Wissenslücken, Messungen sind unpräzise, es herrscht häufig kein Konsens zwischen Wissenschaftler*innen und grundsätzlich wissen wir nie, ob sich wissenschaftliche Ergebnisse nicht doch irgendwann als falsch herausstellen. Damit haben wir als Forscher*innen täglich zu tun und bekommen auch entsprechende Reaktionen aus der Bevölkerung zu unserer eigenen Forschung", erklärt Jun.-Prof. Dr. Fabian Prochazka, der Leiter des neuen Projekts. "Wir wollen nun herausfinden, wie man diese Unsicherheit am besten vermittelt." In allen am IPB beteiligten Disziplinen spielt das Thema eine zentrale Rolle: Die Soziologie etwa fragt nach den Bedingungen und Folgen gesellschaftlicher Unsicherheit, die Psychologie forscht zu ihrer Wahrnehmung und Bewältigung, Gesundheitskommunikation und Kommunikationswissenschaft forschen, wie Unsicherheit kommunikativ und medial vermittelt und verarbeitet wird und die Kolleg*innen aus der Bildungsforschung setzen sich mit der Vermittlung wissenschaftlicher Unsicherheit vor allem im Bildungsbereich auseinander.

Für Fabian Prochazka persönlich ist in diesem Forschungsprojekt eben diese interdisziplinäre Zusammenarbeit reizvoll: "Wir verbinden fünf Disziplinen und binden gleichzeitig auch das Erfurt Laboratory for Empirical Research (ErfurtLab) mit methodischer Expertise ein. Das Besondere dabei ist, dass wir erstmals systematisch untersuchen, wie verschiedene gesellschaftliche Gruppen zu wissenschaftlicher Unsicherheit stehen und welche Formen der Kommunikation in welcher Gruppe welche Effekte haben. Wie vermittelt man etwa wissenschaftliche Unsicherheit an Wissenschaftsskeptiker, ohne einen Vertrauensverlust weiter zu befeuern? Oder wie kann man bei Menschen, die der Wissenschaft blind vertrauen, ein kritisches Bewusstsein und Verständnis für Unsicherheiten schaffen? Dafür verbinden wir Grundlagenforschung mit angewandten Fragestellungen und wollen auch ganz konkrete Handlungsempfehlungen für die Kommunikation wissenschaftlicher Unsicherheit evidenzbasiert ableiten."

Zum Forschungsteam gehören neben Jun.-Prof. Dr. Fabian Prochazka auch die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter Finja Augsburg und Holger Futterleib, Prof. Dr. Guido Mehlkop, Dr. Eva Thomm, Prof. Dr. Johannes Bauer, Prof. Dr. Cornelia Betsch, Dr. des. Sabine Best und Dr. Mirjam Jenny, Prof. Dr. Tilmann Betsch, sowie Prof. Dr. Babette Brinkmann (TH Köln). Begleitet werden sie bei ihrer Arbeit von Praxispartnern wie z.B. dem Science Media Center. Ihr gemeinsames Ziel ist es, herauszufinden, wie die Bevölkerung wissenschaftliche und gesellschaftliche Unsicherheit wahrnimmt und welche gesellschaftlichen Gruppen wie mit ihr umgehen. Parallel untersucht das Team, wie Wissenschaftsjournalist*innen und Kommunikator*innen mit Unsicherheit umgehen, wie sie diese darstellen und warum sie bestimmte Arten der Darstellung wählen. Prochazka: "Basierend darauf wollen wir unterschiedliche Darstellungsweisen wissenschaftlicher Unsicherheit entwickeln, die wir in Experimentalstudien auf ihre Effekte hin prüfen werden. Im Ergebnis werden wir dann Empfehlungen für eine gelingende Kommunikation wissenschaftlicher Unsicherheit abgeben können. Solche Kommunikation „gelingt“ für uns, wenn sie 1) ein Verständnis von wissenschaftlicher Unsicherheit als wichtigen und produktiven Teil von Wissenschaft schafft, 2) die Akzeptanz wissenschaftlicher Ergebnisse erleichtert und 3) informiertes, kritisches Vertrauen in Wissenschaft und ihre Vermittler fördert."

Das Forschungsteam arbeitet dafür mit einem Mehrmethodendesign, das zunächst eine große Repräsentativbefragung umfasst, um gesellschaftliche Gruppen und ihren Umgang mit Unsicherheit zu identifizieren. Parallel werden qualitative Interviews geführt und Gruppen-Workshops mit Journalist*innen und Wissenschaftskommunikator*innen veranstaltet, die zum einen Erkenntnisse über deren Verständnis von Unsicherheit liefern sollen, zum anderen aber auch die Kriterien „guter“ Kommunikation von Unsicherheit zu vermitteln. Workshops mit Bürger*innen sollen dies anschließend reflektieren, bevor erste „Prototypen“ für verschiedene Darstellungsweisen wissenschaftlicher Unsicherheit entwickelt werden. Abschließend erstellt das Forschungsteam dann verschiedene Darstellungsweisen und Formate für die Vermittlung von Unsicherheit und prüft in Experimentalstudien, wie diese wahrgenommen werden und wirken.

Den Fortgang und die Ergebnisse seiner Arbeit wird das Team um Fabian Prochazka regelmäßig auf wissenschaftlichen Tagungen vorstellen und in Zeitschriften veröffentlichen. Darüber hinaus ist ein „Werkzeugkoffer Unsicherheit“ geplant, der die zentralen Erkenntnisse für Kommunikator*innen aufbereitet und konkrete Empfehlungen gibt, wie man wissenschaftliche Unsicherheit mit Blick auf unterschiedliche Zielgruppen am besten vermittelt.

Ansprechpartner:

Inhaber der Juniorprofessur für Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt interpersonale Kommunikation im Kontext der Digitalisierung
(Seminar für Medien- und Kommunikationswissenschaft)
C18.02.21
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