Eine neue – anonyme – Erklärung des Vatikans hat Gläubige und die Mitglieder der Reformversammlung „Synodaler Weg“ in Aufruhr versetzt, gilt sie doch als deutliche Machtansage in Richtung Reformbestrebungen. Dabei betont diese Erklärung einerseits, was den meisten Mitgliedern bereits klar ist, und lässt andererseits einmal mehr „außen vor“, wie toxisch die bestehenden Strukturen in der Katholischen Kirche sind, weiß Julia Knop, Professorin für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Uni Erfurt und engagiertes Mitglied der ersten Stunde beim Synodalen Weg. Wir haben bei ihr nachgefragt: Wovor hat der Vatikan eigentlich Angst und wie wird seine Erklärung beim Synodalen Weg aufgefasst, Frau Professor Knop?
Am Nachmittag des 21. Juli 2022 publizierte das Vatikanische Presseamt eine „Note“, also eine Notiz, zum „Synodalen Weg“, dem Reformprozess der katholischen Kirche in Deutschland. In diesem 15-Zeiler, der weder Adresse noch Absender kennt, wird „klargestellt“: „Der Synodale Weg in Deutschland ist nicht befugt, die Bischöfe und die Gläubigen zur Annahme neuer Formen der Leitung und neuer Ausrichtungen der Lehre und der Moral zu verpflichten.“
Schnell schlugen die Wogen hoch. Vatican-News titelte: „Heiliger Stuhl zeigt deutschem Synodalen Weg Grenzen auf.“ Die Pressemeldungen überschlugen sich. Die vatikanische Notiz schaffte es bis in die Hauptnachrichten von ARD und ZDF. Konservative Kritiker des Synodalen Wegs zeigten sich „dankbar“ (so die Bischöfe Rudolf Voderholzer, Regensburg, und Gregor Maria Hanke, Eichstätt) über die Einlassungen aus Rom; denn „das Einheitsrisiko“ sei wirklich „virulent“ (so Bischof Bertram Meier, Augsburg). Bei einigen „klirrten“ sogar die Sektgläser angesichts des vermeintlichen „Finito!“ des Papstes, mit dem er „der nach deutsch-synodal-liberalem Gusto gebastelten neuen Kirche das Fundament entzogen“ (so Dorothea Schmidt von der „papsttreuen“ gegenreformerischen Gruppe Maria 1.0) habe. Ist der Reformprozess nun also vorbei, bevor er richtig angefangen hat?
Toxische Strukturen und lebensfeindliche Lehren der katholischen Kirche müssen korrigiert werden."
Das anonyme Statement des Heiligen Stuhls (nicht des Papstes) artikuliert und triggert einmal mehr eine – allerdings unbegründete – römische Sorge: nationale Alleingänge, ein Ausscheren der deutschen Katholik*innen aus der Weltkirche, Reformation 2.0. Bei den Deutschen weiß man schließlich nie. Hier begann die Trennung der evangelischen und der römisch-katholischen Kirche. Hier entstand die Altkatholische Kirche, die für einen Katholizismus mit Reform, aber ohne Papst steht.
Allerdings ist allen, die beim Synodalen Weg engagiert sind, klar, was Rom nun noch einmal klarstellen will: Dieser Reformprozess ist (kirchen-)rechtlich tatsächlich schwach. Seine Beschlüsse entfalten aus sich heraus keine Rechtswirkung. Der Synodale Weg will die Kirche im Rahmen der geltenden Bedingungen reformieren. Das geht nur mit den Bischöfen und mit der Weltkirche. Der Synodale Weg setzt dazu mit vorzeigbarem Erfolg auf Überzeugung und gute Erfahrungen. Seine Kraft liegt im Performativen. Insofern ist es zwar richtig, aber redundant, klarzustellen, dass die Synodalversammlung nicht kann, was sie gar nicht will, nämlich Gläubige und Bischöfe auf neue Formen der Leitung und eine Änderung der Lehre zu verpflichten. Der Synodale Weg will (und kann) keine Reformen erzwingen, sondern von ihrer Notwendigkeit und Realisierbarkeit überzeugen.
Natürlich geht es am Ende des Tages darum, Veränderungen in der Leitung, der Lehre und der Moral der Kirche zu implementieren. Toxische Strukturen und lebensfeindliche Lehren der katholischen Kirche müssen korrigiert werden. Machtmissbrauch muss wirksam unterbunden werden. Menschenrechtliche Standards dürfen nicht weiter unterboten werden. Rechtsstaatliche Prinzipien müssen auch in der katholischen Kirche gelten. Die strukturelle Diskriminierung von Frauen in der katholischen Kirche muss überwunden werden. Die diskriminierende kirchliche Lehre zu queerer Sexualität muss substanziell korrigiert werden. Aber es ist allen Synodalmitgliedern klar, dass es für solche Reformen, die die römischen Behörden fürchten und um jeden Preis unterbinden wollen, eine weltkirchliche Verständigung braucht. Schon deshalb hat niemand ein Interesse an einer nationalkirchlichen Abspaltung. Es kann auch kein Zweifel daran bestehen, dass die Themen, die in Deutschland vorgedacht werden, weltkirchlich relevant und virulent sind. In vielen Ländern der Welt sprechen sich gegenwärtig Katholik*innen deutlich für Geschlechtergerechtigkeit und eine Reform der kirchlichen Machtordnung aus: jüngst im katholischen Irland, in Australien und Amazonien. Auch der Anlass des Synodalen Wegs, der für die Vatikanische Note (mal wieder) nicht der Rede wert ist – sexualisierte Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und (Ordens-)Frauen und ihre Vertuschung durch (leitende) Kleriker der katholischen Kirche – ist weltweit virulent. Das zeigt ein Blick nach Chile und nach Polen, in die USA und in die Länder Afrikas.
Die Note aus dem Vatikan geht auf all dies nicht ein. Was die römischen Behörden und diejenigen, die diese Note mutmaßlich „angeregt“ haben, umtreibt, ist die Machtfrage: Wer darf wen wozu verpflichten, wer schuldet wem welchen „Gehorsam“? Diese Frage treibt Katholik*innen freilich schon länger nicht mehr um. Sie denken und leben und gestalten die Kirche vor Ort so, wie sie es für richtig halten. Sie leisten dabei keinen „Glaubensgehorsam“, sondern übernehmen Glaubensverantwortung.
Wem einmal klar geworden ist, dass es kein „weiter so“ geben darf, der akzeptiert auch kein Machtwort derer, die kirchlichen Reformbedarf immer noch leugnen."
Die vatikanische Note ist der Versuch eines Machtworts, der darauf zielt, die Stimmungslage durcheinanderzuwirbeln und den Reformkritikern in Deutschland, Rom und der Weltkirche den Rücken zu stärken. Sie ist ein Misstrauensvotum der Sonderklasse, dessen Autoren es nicht einmal nötig haben, Statuten, Texte und Beschlüsse des Synodalen Wegs zu lesen oder in direkte Kommunikation zu treten. Verhindern kann dieser Versuch eines Machtworts aber weder die laufenden Debatten noch die in ihnen gewachsenen Überzeugungen noch den Kulturwandel, der sich im Zuge des synodalen Prozesses bereits vollzieht. Was einmal gedacht und ausgesprochen wurde, ist in der Welt. Wer sich einmal von etwas Neuem hat überzeugen lassen, fällt nicht so einfach zurück ins Alte, zumal wenn dies sich als prekär erwiesen hat. Wem einmal klar geworden ist, dass es kein „weiter so“ geben darf, der akzeptiert auch kein Machtwort derer, die kirchlichen Reformbedarf immer noch leugnen.
Gut möglich, dass die vatikanische Note am Ende das Gegenteil dessen bewirkt, was sie bewirken wollte, und die Mitglieder des Synodalen Weges nicht blockiert, sondern zu einem „Jetzt erst recht!“ beflügelt.
Abb.: Synodaler Weg