Nachgefragt: "Worum geht es bei dem EU-Vorschlag zu entwaldungsfreien Lieferketten, Karina Marzano?"

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Am 17. November 2021 hat die Europäische Kommission eine Verordnung über entwaldungsfreie Produkte vorgeschlagen. Die EU will damit globale Standards setzen und Anreize für den Übergang zu nachhaltigen Lieferketten in allen Erzeugerländern innerhalb und außerhalb der EU schaffen. Und: Eine solche Verordnung soll neben der illegalen auch die legale Abholzung eindämmen. Ein guter Grund für Karina Marzano, den Schritt der EU-Kommission als "bahnbrechend" zu bezeichnen. Die Doktorandin an der Willy Brandt School of Public Policy der Universität Erfurt und Fellow am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung Potsdam (IASS) beschäftigt sich in ihrer Forschung mit dem Zusammenhang von Klima und Handel. "WortMelder" hat bei ihr nachgefragt: "Was genau verbirgt sich hinter dem EU-Vorschlag zu entwaldungsfreien Lieferketten und was bedeutet er für rohstoffproduzierende Länder?".

Karina Marzano Franco
Karina Marzano Franco

"Der neue EU-Vorschlag beinhaltet zwei Hauptpunkte: Zum einen dürfen Rohstoffe und Produkte nicht von Flächen stammen, die nach dem 31. Dezember 2020 abgeholzt oder degradiert wurden, und zum anderen müssen sie in Übereinstimmung mit den Gesetzen des Produktionslandes hergestellt worden sein (Artikel 2.8 und 3). Wird eine dieser beiden Anforderungen nicht erfüllt, dürfen die Produkte nicht auf den EU-Markt gebracht werden.

Zur Umsetzung, Durchsetzung und Überwachung entwaldungsfreier Warenketten sieht der europäische Vorschlag eine Reihe von Mechanismen vor. Jedes Unternehmen (auch außereuropäische), das in der EU Soja, Rindfleisch, Palmöl, Holz, Kakao und Kaffee sowie daraus hergestellte Produkte (Artikel 1) verkauft, muss den Zugang zu Informationen gewährleisten, die den Zusammenhang zwischen Rohstoff und Land herstellen. Außerdem müssen die Unternehmen die geografischen Koordinaten des landwirtschaftlichen Betriebs angeben, auf dem die Rohstoffe angebaut wurden (Artikel 9). Und sie sind verpflichtet, Risiken zu analysieren, zu bewerten und zu reduzieren (Artikel 10). Darüber hinaus stuft ein von der Kommission betriebenes Benchmarking-System die Länder in niedrige, normale oder hohe Risiken ein (Artikel 27). Die Ermittlung des Risikos basiert auf Bewertungskriterien wie der Entwaldungsrate eines Landes, und Unternehmen, die Rohstoffe aus Hochrisikogebieten verkaufen, werden einer strengeren Prüfung unterzogen.

Die Kommission argumentiert, dass der Vorschlag gegen kein Land bzw. keine Ware ein Verbot verhängt. Dennoch werden Unternehmen ihre Tätigkeit wahrscheinlich von den Hochrisikoproduzenten weg verlagern, wenn es alternative, risikoarme Rohstoffproduktionsländer gibt. Und genau das ist das von der EU angestrebte Ergebnis: Sie will nachhaltige Maßnahmen der Exportländer fördern, in der Hoffnung, einen Kaskadeneffekt zu erzielen, der von den ländlichen Erzeugern bis hin zu den nationalen Regierungen reicht. Wie in dem Vorschlag dargelegt, zielt der Rechtsrahmen darauf ab, Anreize für den Übergang zu nachhaltigen Lieferketten in allen Erzeugerländern innerhalb und außerhalb der EU zu schaffen, was 'die EU zu einem glaubwürdigen globalen Standardsetzer machen würde'.

Was das für die rohstoffproduzierenden Länder bedeutet? Mit Blick auf Brasilien argumentiere ich, dass die Wirksamkeit der Verordnung von einer Kombination aus handelspolitischen, finanziellen, technologischen und kooperativen Maßnahmen abhängt. Brasilien ist ein wichtiger Rohstoffproduzent. Etwa 70 Prozent seiner Gesamtexporte sind Rohstoffe wie Soja, Eisenerz, Öl, Zellulose, Zucker, Mais, Rindfleisch, Hühner und Kaffee. Die Abholzung des Amazonasgebiets hat jedoch die nationale und internationale Aufmerksamkeit auf die Art und Weise gelenkt, wie Rohstoffe in dem Land produziert werden. Nur wenige Tage nach der Klimakonferenz 2021 'COP26' zeigten die Daten, dass die Abholzung im brasilianischen Amazonasgebiet den höchsten Stand seit 2006 erreicht hat. Ein anschauliches Beispiel ist der brasilianische Soja-Export- und Produktionssektor. Soja ist Brasiliens wichtigstes Exportprodukt. Das Land führt die Liste der größten Sojaproduzenten der Welt an. Die Sojaproduktion ist jedoch auch mit vielen Problemen verbunden wie Abholzung, Verlust der biologischen Vielfalt und Missachtung der Rechte indigener Völker.

Meiner Meinung nach könnte die EU-Verordnung hier durch vier zentrale Punkte effektiver werden:

  1. Unternehmen und Regierungen müssen technologische Maßnahmen zur Bekämpfung der Entwaldung ergreifen. Überwachungstechnologien wie Geolokalisierung, Satelliten und Blockchain erleichtern die Durchsetzung und Umsetzung von Regeln zur Nichtabholzung. Das erkennt auch die EU-Gesetzgebung an und verlangt folglich Geolokalisierungsdaten von den Betreibern. Geografische Informationen, die es erlauben nachzuvollziehen, von wo Produkte kommen, werden bereits von der Industrie und Zertifizierungsorganisationen bereitgestellt und zur Rückverfolgung der Rohstoffproduktion verwendet. In einer kürzlich in Science veröffentlichten Studie wurde außerdem deutlich, dass die 'faulen Äpfel der brasilianischen Agrarindustrie' eine genaue Adresse haben. Durch den Einsatz leistungsstarker Software fanden die Forscher heraus, dass nur zwei Prozent der Grundstücke im Amazonas und Cerrado für 62 Prozent aller potenziell illegalen Abholzungen verantwortlich sind. Diese Technologien ermöglichen es, die Politik auf die Hauptverantwortlichen für die Abholzung auszurichten.
  2. Wirksame Regelungen für eine entwaldungsfreie Rohstoffkette hängen von der Zustimmung Chinas ab. China ist ein großer Rohstoffverbraucher und sein Hauptanliegen ist die Lebensmittel- und Ernährungssicherheit. Schließlich verbraucht die EU nur zehn Prozent des in Brasilien produzierten Sojas. Der größte Teil der brasilianischen Produktion geht an die Futtermittelindustrie in China. Dies bedeutet, dass die EU allein nicht genug Einfluss auf die brasilianischen Interessengruppen hat. Die von der EU vorgeschlagenen bilateralen und multilateralen Dialoge mit anderen großen Verbraucherländern müssen China einschließen, um die weltweite Entwaldung wirksam zu bekämpfen. Tatsächlich wird in dem Vorschlag eine ständige Kooperationsstruktur mit China erwähnt. Einige Lektionen können von NRO gelernt werden, die ihr Advocacy-Modell überdacht und ihre Aktivitäten nach China verlagert haben. Die niederländische Organisation 'Solidaridad' beispielsweise bemüht sich um die Unterstützung einiger führender chinesischer multinationaler Unternehmen, beispielweise mittels einer chinesischen Leitlinie für nachhaltiges Soja, die 2020 entwickelt wurde.
  3. Um die Entwaldung in Rohstoffketten zu bekämpfen, sind auch finanzielle Maßnahmen erforderlich. Selbst in Süd-Süd-Wertschöpfungsketten wie im Fall der brasilianischen Sojaexporte nach China sind die Unternehmen immer noch auf Investitionen amerikanischer und europäischer Finanzinstitute angewiesen. Jüngste Ereignisse bestätigen dies: Im Jahr 2021 wurde der 'COFCO Soy Pledge' von dem chinesischen multinationalen Unternehmen COFCO als Antwort auf einen Kredit in Höhe von 2,3 Milliarden US-Dollar vorgestellt, der von 21 Banken gewährt wurde und an die Einhaltung von Umweltzielen gebunden ist. Bei diesen steht die Rückverfolgbarkeit der Produkte im Vordergrund. Nachhaltigkeitsbezogene Kredite sind ein wichtiger Bestandteil jeder Strategie, die darauf abzielt, das Verhalten von Unternehmen zu ändern. Obwohl der Vorschlag der Kommission nicht speziell auf den Finanzsektor und Investitionen abzielt, verweist er auf andere bestehende Initiativen wie die 'Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD)'.
  4. Schließlich müssen Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit, wie sie im EU-Vorschlag (Artikel 28) enthalten sind, umgesetzt werden. Eine Zusage von einer Milliarde Euro gibt es beispielsweise für sogenannte Waldpartnerschaften, die in den Partnerländern entwickelt werden sollen. Ziel dieser Partnerschaften ist es, die rohstoffproduzierenden Länder dabei zu unterstützen, die Bewirtschaftung der Wälder zu verbessern und sozioökonomische Chancen durch nachhaltige Wertschöpfungsketten zu schaffen, wobei den Bedürfnissen der vom Wald abhängigen Gemeinden und Kleinbauern Rechnung getragen wird. Der brasilianische Privatsektor, die Wissenschaft, lokale Gemeinschaften, Kleinbauern und andere entwickeln innovative Geschäftslösungen. Ihr Fachwissen und ihr Zugang könnten sicherlich von der finanziellen und technischen Unterstützung durch Waldpartnerschaften profitieren. Bei der Umsetzung dieser Partnerschaften können auch Lehren aus den Null-Abholzungsverpflichtungen von Agrar- und Lebensmittelunternehmen gezogen werden. In einem kürzlich erschienenen Artikel argumentieren Experten, dass strenge Vorschriften mit einem 'umfassenden Kapazitätsaufbau' und der 'Unterstützung alternativer ländlicher Entwicklungswege' kombiniert werden müssen. Diese Empfehlungen sind besonders wichtig bei anderen Rohstoffen, die in größerem Umfang von Kleinbauern bewirtschaftet werden, die in der Regel über ein niedriges Bildungsniveau und geringe finanzielle Mittel verfügen (die brasilianische Sojaproduktion wird überwiegend von kommerziellen Landwirten kontrolliert).

Einige der eben genannten Punkte gelten aber nicht ausschließlich für den EU-Vorschlag oder die brasilianische Sojaproduktion, sondern können dazu beitragen, das globale Ziel der Bekämpfung der Entwaldung zu erreichen. Folglich könnten sie auch für andere öffentliche und private Maßnahmen zur Vermeidung von Entwaldung sowie für andere rohstoffproduzierende Länder und andere Rohstoffe und daraus hergestellte Produkte gelten, einschließlich solcher, die noch nicht in den Anwendungsbereich des Vorschlags fallen, es aber in Zukunft sehr wohl tun könnten.

Das ultimative Ziel sollte die Umsetzung von Strategien für eine nachhaltige Entwicklung sein, die Umweltschutz mit sozioökonomischen Vorteilen verbinden und dabei besonders auf die Bedürfnisse der schwächsten Bevölkerungsgruppen achten. Dies erfordert Anstrengungen zur Diversifizierung und Stärkung der Wertschöpfungsketten durch biologische Vielfalt und technologische Innovation. Natürlich ist dafür auch erforderlich, dass Brasilien seine Klimapolitik wieder auf Kurs bringt."

Einen ausführlichen Beitrag über die Auswirkungen der Verordnung auf Brasilien finden Sie auf dem Blog des IASS Potsdam.

Foto: IASS/Lotte Ostermann

Weitere Informationen

Vorschlag der EU-Kommission zur Regulation entwaldungsfreier Produkte

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