Die Corona-Pandemie führte dazu, dass globale Lieferketten unterbrochen oder sogar zusammengebrochen sind. Stillgelegte Produktionen, geschlossene Grenzen und Materialknappheit wirkten sich auf viele Wirtschaftszweige aus – auch auf den Bereich der Alternativen Energien und auf andere CO2-arme Technologien. Prof. Dr. Andreas Goldthau, Inhaber der Franz Haniel Professur für Public Policy an der Willy Brandt School der Universität Erfurt, erforscht die systemischen Auswirkungen der globalen Energiewende und schaut beunruhigt auf die derzeitigen Corona-bedingten Entwicklungen. WortMelder hat bei ihm genauer nachgefragt: "Welchen Einfluss hat die Pandemie auf die Energiewende und was ist seitens der Staaten zu tun, um sie auch unter den veränderten Umständen voranzubringen, Prof. Dr. Goldthau?".
"Eine der – wenigen – guten Nachrichten der Corona-Pandemie ist, dass die CO2 Emissionen sinken. Weltweit könnten wir 2020 einen bis zu 7 Prozent geringeren Ausstoß an Klimagasen haben als im letzten Jahr. Allerdings – und das ist die schlechte Nachricht – ist dies nur ein temporärer Einbruch. Denn prinzipiell ändert sich am von fossilen Ressourcen abhängigen Energiesystem ja nichts. Letzteres müssen wir also dekarbonisieren, um den Klimawandel aufzuhalten. Dafür benötigt es strukturelle, also langfristige Änderungen. Mit Blick nach vorn werden damit zwei Faktoren für die Energiewende wichtig sein.
Zum einen wird es darauf ankommen, wo das Geld der staatlichen Corona-Hilfsprogramme hinfließt. Denn die Investitionsentscheidungen von heute stellen strukturell Weichen für morgen. Gehen Subventionen beispielsweise in Verbrennungsmotoren oder Stromerzeugung aus Kohle, so werden diese Sektoren noch für Jahrzehnte schädliche Klimagase emittieren. Gehen sie dagegen in Technologien wie Wind- und Solarenergie, Speicher oder innovative Brennstoffe, so ist der langfristige Effekt eine Dekarbonisierung des Energiesystems. Schätzungen zufolge verteilt sich allerdings der überwältigende Teil der staatlichen Konjunkturpakete bislang auf CO2-intensive Sektoren. Weniger als 10 Prozent der weltweit von Regierungen aufgewendeten Finanzmittel ist „grün“. Zwar hat die EU einen klaren Fokus auf ein klimafreundliches Ankurbeln der Post-Corona-Wirtschaft gesetzt. Die USA und China jedoch nicht, ebenso wenig wie die meisten anderen G20 Staaten.
Zum anderen wird viel vom Schicksal globaler Lieferketten abhängen. Letztere geraten jüngst politisch stark unter Druck. So sind Regierungen im Zuge des von Corona verursachten Wirtschaftseinbruchs versucht, die Produktion von Gütern vermehrt zurück ins Land zu holen, um heimische Jobs zu schaffen. Das ist verständlich. Allerdings greifen sie damit in die komplexe internationale Arbeitsteilung ein. Gerade diese ist aber in vielen Sektoren essentiell, um Produkte erst wettbewerbsfähig zu machen. Ein Beispiel ist die Solarindustrie. Im vergangenen Jahrzehnt wurden hier Kostensenkungen von 90 Prozent erzielt. Im Ergebnis können Solarmodule weltweit zu bezahlbaren Preisen verbaut werden und machen den fossilen Stromerzeugern Konkurrenz. Wollen wir also den Klimawandel effektiv bekämpfen, so brauchen wir funktionierende Lieferketten. Eine Produktion zuhause um jeden Preis geht zulasten von Preisen und damit letztendlich auch des Klimas.
Was ist mit Blick auf die Energiewende zu tun? Regierungen sollten nicht allein auf den Beschäftigungseffekt ihrer Corona-Hilfsprogramme schauen, sondern auch den Aspekt der sogenannten CO2-Intensität mit einbeziehen. Das Prinzip muss sein, den Effekt staatlicher Investitionen auf zukünftige Klimaemissionen mitzudenken. Und Regierungen sollten nicht den kurzfristigen protektionistischen Reflexen nachgeben. Letztere sind mit Blick auf die Diskussion um Chinas Vormachtstellung in einigen Sektoren allzu verständlich. Jedoch sind offene Märkte der vielversprechendere Weg, technologische Lösungen für die Klimakrise zu finden – und zwar in einem Zeitraum, in dem sich diese noch beherrschen lässt."