Unter dem Titel "Wer hat Verständnis für die 'Querdenker'?“ haben Tilman Klawier (Universität Hohenheim) und Fabian Prochazka (Kommunikationswissenschaftler an der Uni Erfurt) eine neue Studie vorgelegt. Sie ist das Ergebnis einer repräsentativen Befragung im Rahmen eines Lehrforschungsprojekts mit Studierenden. "WortMelder" hat bei Jun.-Prof. Dr. Fabian Prochazka nachgefragt: „Welche Rolle spielen eigentlich soziale Medien für die Querdenker und Querdenker-Sympathisanten?“
Moderne politische Bewegungen sind ohne soziale Medien kaum mehr denkbar. Facebook, Instagram, Twitter und zunehmend auch Instant-Messenger wie Whatsapp und Telegram sind zentral für ihre Vernetzung und Mobilisierung. Die „Querdenker“ sind hier keine Ausnahme. Im Umfeld der Querdenken-Bewegung hat sich allerdings ein ganzes alternatives Informations-Ökosystem herausgebildet, das weit über die Organisation der Bewegung hinausgeht. Alternativmedien wie „Rubikon“ und Personen wie Wolfgang Wodarg erzielen in sozialen Medien hohe Reichweiten mit ihrer Kritik an Corona-Schutzmaßnahmen und verbreiten häufig Verschwörungstheorien und Fehlinformationen. Das kann dazu führen, dass Menschen relevanten Informationen über die Pandemie misstrauen, sie falsch interpretieren oder leugnen. So kann die gesellschaftliche Bewältigung der Pandemie untergraben werden: Wer an Corona-Verschwörungstheorien glaubt, ist etwa weniger bereit, sich impfen zu lassen oder Schutzmaßnahmen einzuhalten.
Noch weiß man jedoch wenig darüber, welche Reichweite und gesellschaftliche Relevanz solchen Alternativmedien und Influencer*innen tatsächlich beizumessen ist. Mein Kollege Tilman Klawier von der Universität Hohenheim und ich haben uns dieses Thema deshalb Anfang des Jahres genauer angesehen: In einer repräsentativen Befragung im Rahmen eines Lehrforschungsprojekts mit Studierenden haben wir untersucht, wer eigentlich Verständnis für die Querdenker hat und wie sich diese Gruppe informiert. Dabei ist zunächst auffällig, dass die Querdenker nur geringen Rückhalt in der Bevölkerung haben: Nur zwölf Prozent der Befragten haben eher oder volles Verständnis für ihre Proteste – wir nennen sie die Querdenker-Sympathisanten. Da diese Gruppe aber insbesondere in sozialen Netzwerken sehr aktiv und laut ist, erscheinen die gesellschaftlichen Mehrheitsverhältnisse oft anders.
Querdenker-Sympathisanten nutzen deutlich stärker soziale Medien, um sich über aktuelle politische Ereignisse zu informieren. Besonders beliebt ist Telegram: Diesen Messenger nutzt rund ein Viertel der Querdenker-Sympathisanten mindestens wöchentlich, in der Gesamtbevölkerung sind es nur neun Prozent. Klassische Medien (Fernsehen, Radio, Zeitung) werden aber immer noch von mehr als 80 Prozent zumindest wöchentlich genutzt (gegenüber 90 Prozent bei allen Bürgern). Auch Kritiker der Corona-Maßnahmen aus dem verschwörungstheoretischen Milieu wie Wolfgang Wodarg, Bodo Schiffmann oder Sucharit Bhakdi sind bekannt und beliebt: Rund ein Fünftel bis ein Viertel der Querdenker-Sympathisanten kennt diese Personen, während in der Gesamtbevölkerung nur knapp unter zehn Prozent mit diesen Namen etwas anfangen können. Den genannten drei „Stars“ der Szene folgen auch zwischen 10 und 15 Prozent der Querdenker-Sympathisanten in den sozialen Netzen. Eine geringere Rolle spielen hingegen die vor allem medial immer wieder diskutierten Michael Wendler, Xavier Naidoo und Attila Hildmann. Sie ziehen durch ihre Prominenz viel Aufmerksamkeit auf sich, die „Influencer“ der Querdenker sind jedoch andere.
In der Gesamtschau zeigt sich: Unter den Querdenker-Sympathisanten sind alternative Informationsquellen und soziale Medien zwar deutlich populärer als in der Gesamtbevölkerung, allerdings informiert sich auch hier nur eine Minderheit bei alternativen Medien. Journalistische Medien sind nach wie vor die primäre Informationsquelle. Entgegen der populären These der ‚Filterblase‘ driften die Sympathisanten der Querdenker also nicht ausschließlich in homogene Informationswelten ab, wo ihre eigene Meinung bestärkt wird. Vielmehr werden soziale Medien vor allem ergänzend zu klassischen Medien genutzt. Die Forschung zeigt jedoch einhellig, dass in solchen Gruppen der intensive Kontakt mit meinungskongruenten Inhalten Einstellungen noch weiter verstärken kann und auch zur Radikalisierung beiträgt. Denn auch wenn die Querdenker-Sympathisanten nach wie vor journalistische Medien nutzen, vertrauen sie ihnen kaum. Auf sozialen Netzwerkseiten können sich Kritiker der Corona-Maßnahmen hingegen ein Informationsrepertoire zusammenstellen, das ihre Meinung perfekt widerspiegelt und das einen Gegenentwurf zum medialen und gesellschaftlichen Mainstream darstellt. Erleichtert wird dieser Prozess durch algorithmische Personalisierung der Plattformen.
Wichtig ist aber auch ein weiterer Punkt: Bei Weitem nicht alle Personen mit Sympathie für die Querdenker nutzen soziale Medien bzw. informieren sich dort auch bei alternativen Quellen. Damit sind soziale Medien zwar ein Baustein, aber sicher nicht allein ausschlaggebend für den Erfolg von Bewegungen wie den Querdenkern. Unsere Studie zeigt auch, dass die Querdenker-Sympathisanten durch die Corona-Pandemie ihre wirtschaftliche Zukunft bedroht sehen und wenig Vertrauen in Politik, Wirtschaft und Medien haben. Sie halten das politische System in Deutschland für ungerecht, sind nicht der Meinung, dort wirksamen Einfluss üben zu können und äußern ein stärkeres Gefühl der Orientierungslosigkeit und Undurchschaubarkeit gesellschaftlicher Entwicklungen. Für diese grundlegenden Probleme mangelnder Repräsentation, Wertschätzung und Vertrauen müssen Zivilgesellschaft und Politik Antworten finden – ohne dabei die rechtspopulistischen Positionen der AfD zu normalisieren, der knapp 40 Prozent der Querdenker-Sympathisanten nahestehen.
Soziale Medien und die dortigen Algorithmen tragen also sicher bei einem Teil der Querdenker und ihrer Sympathisanten zur Radikalisierung und Polarisierung bei. Aber Medien wirken immer nur vor dem Hintergrund der jeweiligen Voreinstellungen und sozialen Kontexte – es greift also zu kurz, das Internet oder soziale Medien allein für die Querdenker-Bewegung verantwortlich zu machen.