Nachgefragt: "Welche Chancen bietet der 'synodale Weg' für nachhaltige Veränderungen in der katholischen Kirche, Frau Prof. Knop?"

Gastbeiträge

Die katholische Kirche hat ein Imageproblem. Selbiges kostet sie nicht nur Mitglieder, sondern auch Glaubwürdigkeit und damit gesellschaftliche Relevanz. Als Reaktion auf den Missbrauchsskandal, der seit 2018 in zunehmendem Ausmaß bekannt wurde, beschloss die deutsche Bischofsversammlung im Frühjahr dieses Jahres den sogenannten „synodalen Weg“. Er soll Reformprozesse in der katholischen Kirche in Deutschland anstoßen und damit zur Erneuerung der Kirche beitragen. Vorbereitet wird der „synodale Weg“, der ab Frühjahr 2020 als ein Reformdialog umgesetzt werden soll, derzeit durch mehrere Arbeitskreise. Sie widmen sich einschlägigen Themen wie „Sexualmoral“, „Priesterliche Lebensform“ und „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“. Am Arbeitskreis zum Thema „Macht, Partizipation und Gewaltenteilung“ ist auch die Erfurter Dogmatikerin, Prof. Dr. Julia Knop, beteiligt. „WortMelder“ hat bei ihr nachgefragt: Welche Chancen sehen Sie dafür, dass die katholische Kirche mit dem „synodalen Weg“ ihre verlorengegangene Glaubwürdigkeit wiedererlangen kann und welchen Beitrag können Sie als Theologin und Mitglied im Arbeitskreis dazu leisten?

Prof. Dr. Julia Knop
Prof. Dr. Julia Knop

Der synodale Weg, der nun in der katholischen Kirche in Deutschland beginnen soll, ist ein Experiment, dessen Chancen sich erst noch erweisen müssen. Die Fallhöhe ist groß, der Erfolgsdruck auch. Es hat in der Vergangenheit bereits eine Reihe von offiziellen Dialogen gegeben, zuletzt, 2011 bis 2015, den Gesprächsprozess ‚Im Heute glauben‘. Viele Katholikinnen und Katholiken haben sich beteiligt. Sie haben Interesse und Kompetenz, Zeit und jede Menge Arbeit investiert. Anlass waren Meldungen über sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen durch Priester, die 2010 an die Öffentlichkeit kamen. Die Bischöfe diagnostizierten eine tiefgreifende Vertrauenskrise, der sie durch eine neue Gesprächskultur begegnen wollten. Für viele mündete dieses Gespräch aber in Enttäuschung, weil die wirklich ‚heißen Eisen‘ in der Kirche nicht angefasst wurden und strukturelle Konsequenzen verhalten blieben.

Die Erschütterung, die 2018 auf die MHG-Studie folgte, scheint ungleich größer zu sein. Zwar konnten die Erkenntnisse über das Ausmaß sexualisierter Gewalt durch Priester eigentlich nicht mehr überraschen. Unwiderlegbar wurde nun aber, dass es typisch katholische Faktoren gibt, die klerikalen Missbrauch wenn nicht begünstigen, so doch auch nicht verhindern, und Vorbeugung, Aufklärung und Ahndung systemisch erschweren. Manch einer sprach von einem ‚toxischen Kern der Kirche‘. Neben erheblichem Verbesserungsbedarf in der Personalakten- und Prozessführung wurde ein prekärer amtlicher Umgang mit Macht moniert, auf institutionalisierte Homophobie und massiven Entwicklungsbedarf der kirchlichen Sexualmoral im Allgemeinen, der priesterlichen Lebensform (Zölibat) im Besonderen, verwiesen.

Keines dieser Themen ist neu. Dieser Reformbedarf wird von den Gläubigen seit Jahrzehnten benannt. Die Debatte wurde jedoch institutionell tabuisiert oder unterbunden. Diese Themen hätten mit der Gottes- und Glaubenskrise unserer Tage nichts zu tun, ja, sie würden instrumentalisiert, um eine neue Kirche aus der Taufe zu heben, in der anstelle des Wortes Gottes die Ideen liberaler Zeitgeister das Sagen haben sollten. Nachdem nun die MHG-Studie aber diese ‚alten‘ Themen als systemisch wirksame Gefährdungsfaktoren für sexualisierte Gewalt durch Priester identifiziert hat, müssen sie auf den Tisch. Ein wesentlicher Teil der Gottes- und Glaubenskrise, die Kirchenmänner gern beklagen, ist offenkundig hausgemacht: Er ist Ausdruck einer gravierenden Krise des kirchlichen Amtes.

Die Ausgangssituation für kirchliche Gespräche hat sich deshalb in den vergangenen Monaten verschärft. Es geht längst nicht mehr nur darum, Kleriker und normale Gläubige an einen Tisch zu bringen. Eine gute Gesprächskultur kann kein Ziel, sie muss Voraussetzung des synodalen Weges sein und seine Formate bestimmen. Die Themen, die ergebnisoffen, aber verbindlich traktiert werden sollen, sind exakt die Themen, die in der MHG-Studie angemahnt worden sind: Es wird um priesterliche Macht, kirchliche Sexualmoral und den Zölibat gehen. Dazu haben sich die deutschen Bischöfe in ihren letzten beiden Vollversammlungen im September 2018 und März 2019 bekannt. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, das gemeinsam mit der Bischofskonferenz den Prozess verantwortet, hat – erfolgreich – zusätzlich die Behandlung der Frauenfrage zur Bedingung gemacht. Denn wenn schon die Themen des synodalen Weges einseitig von den Bischöfen definiert würden, wären alle vertrauensbildenden Maßnahmen vergebliche Liebesmüh.

Was kann ein synodaler Weg leisten? Welche Aufgaben stehen an? Zunächst muss es darum gehen, ein belastbares Format zu entwickeln. Beteiligte Gruppen (Bischofskonferenz, katholische „Laien“, Vertreter/innen der Orden, der Berufsverbände, der akademischen Theologie usw.) müssen benannt werden, die ihre Delegierten bestimmen. Deren Kompetenzen und Aufgaben und natürlich die Formate der Beschlussfassung müssen abgestimmt werden: Wer ist stimmberechtigt? Ist eine ‚Bischofsmehrheit‘ statthaft? Worüber können überhaupt Beschlüsse gefasst werden? Dazu werden derzeit Statuten erarbeitet. Außerdem wird sondiert, wie möglichst viele Gläubige sich auf digitalem und analogem Weg einbringen können. Erste Arbeitsgruppen, sogenannte Foren, wurden bereits gebildet. Sie sollen das Anforderungsprofil der vier Themen bestimmen und ausloten, was auf deutscher Ebene nötig und möglich ist.

Es steht substanzielle theologische Arbeit an. So zeichnet sich beispielsweise im Forum ‚Macht, Partizipation und Gewaltenteilung‘ bereits jetzt ab, dass es nicht ausreicht, auf eine bessere Ausbildung von Amtsträgern hinzuwirken, in der theologischen Konzeption und in den rechtlichen Bestimmungen des kirchlichen Amtes aber alles beim Alten zu lassen. Die derzeitigen Probleme der katholischen Kirche gehen längst nicht nur auf den Missbrauch an sich guter Ideen zurück oder darauf, dass labilen Kaplänen ihr Amt ‚zu Kopfe gestiegen‘ ist. Es gibt auch gefährliche amtstheologische Modelle, die eine prekäre Amtsausübung befördern und sogar religiös überhöhen. Kirchlich normative Konzepte des Priesteramtes können, selbst wenn sie ’normgerecht‘ realisiert werden, anderen zum Schaden gereichen. Nicht nur die Praxis, auch die Theorie des kirchlichen Amtes muss deshalb auf den Prüfstand. Korrektur- und Entwicklungsbedarfe müssen benannt, Konzepte entsprechend fortgeschrieben werden.

Das macht den synodalen Prozess für Theologinnen und Theologen so spannend und herausfordernd. Zugleich wird man nüchtern sehen müssen, dass die Spielräume der Kirche in Deutschland, strukturelle Reformen und eine echte theologische Erneuerung zu initiieren, eng sind. Das liegt nicht nur an mangelndem gutem Willen einzelner deutscher Bischöfe. Es liegt vor allem an der zentralistischen Organisation der Weltkirche, die in den Pontifikaten von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. massiv verstärkt worden ist. Den Ermutigungen von Papst Franziskus, den Ortskirchen größere Freiräume zuzugestehen, damit sie den Bedarfen vor Ort durch Reformen vor Ort rasch und nachhaltig Rechnung tragen können, müssen erst noch Taten folgen. Bisher wurde unter Verweis auf die Weltkirche, die ganz andere Sorgen habe und nicht über den Kamm einer lauen deutschen Kirche geschoren werden dürfe, mancher Reformimpuls im Keim erstickt. Doch es geht kein Weg an einer ernsthaften, theologisch wie strukturell belastbaren kirchlichen Erneuerung vorbei. Die Probleme sind zu groß; das Zeitfenster für nachhaltige Reformen vermutlich klein.“