Nachgefragt: "Was kann Unternehmenshandeln zu Resonanzerfahrungen und gelingenden Weltbeziehungen beitragen?"

Gastbeiträge

Die Welt verändert sich und mit ihr auch die Arbeitswelt. Wo die Zielvorgabe im Grunde seit der Aufklärung „höher, schneller, weiter“ lautete, funktioniert die reine Steigerungslogik heute längst nicht mehr überall. Und ist auch unter ethischen bzw. Nachhaltigkeitsgesichtspunkten vielfach nicht mehr haltbar. Die Ausbeutung der Erde zugunsten von Gewinnmaximierung zerstört über Kurz oder Lang unseren Lebensraum und macht die Menschen krank. Ressourcen sind begrenzt, das Klima verändert sich und auch Pandemien – wie zuletzt COVID – stellen unsere Gesellschaft vor enorme Herausforderungen. Wir müssen umdenken. Aber wie? Braucht es neue ethische Prinzipien – auch und gerade in Unternehmen? Und wie können diese dazu beitragen, dass auch unsere Kinder und Enkelkinder noch gelingende Weltbeziehungen erfahren können? Mit diesen Fragen beschäftigen sich apl. Prof. Dr. Bettina Hollstein und Prof. Dr. Hartmut Rosa vom Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt in einem Artikel, den sie jetzt unter dem Titel “Social Acceleration: A Challenge for Companies? Insights for Business Ethics from Resonance Theory“ im Journal of Business Ethics veröffentlicht haben. Sie skizzieren darin eine soziologische Perspektive auf Prozesse der sozialen Beschleunigung, die sich auf Organisationen auswirken und identifizieren Beschleunigungszyklen, die einen zunehmenden Druck auf Unternehmen ausüben und zu Entfremdungserfahrungen führen. „WortMelder” hat bei den beiden nachgefragt: „Was kann Unternehmenshandeln zu Resonanzerfahrungen und gelingenden Weltbeziehungen beitragen und wie müsste es dafür gestaltet sein?“

Zunächst einmal muss man festhalten, dass Erwerbsarbeit für viele Menschen eine wichtige Sphäre für Resonanzerfahrungen ist, denn durch Arbeit erfährt man sich als selbstwirksam, man bekommt Anerkennung (zumindest in Form einer Entlohnung, aber oft auch durch Kund*innen, Kolleg*innen oder Vorgesetzte) und man verändert sich und seine Arbeitswelt. Aber Unternehmen sehen sich einem Beschleunigungsdruck ausgesetzt, der sich aus einem Wettbewerbssystem ergibt, das die Leistung und Überlebensfähigkeit von Unternehmen anhand von Wachstumsraten und anderen statistischen Größen im Vergleich zu anderen Unternehmen misst (Benchmarking). Die Steigerung der Produktivität, z.B. durch Verringerung der Arbeitsdauer pro Leistung, spielt eine wesentliche Rolle bei der Steigerung der Effizienz. Diese Effizienzorientierung wird insbesondere durch Managementstrategien zur Maximierung des sogenannten Shareholder Value (Aktionärswert) vorangetrieben. Dies hat zu einer Produktivitäts- und Wachstumssteigerung geführt, die den modernen westlichen Gesellschaften in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen nie dagewesenen wirtschaftlichen Wohlstand beschert hat. Neben dieser effizienzgetriebenen Beschleunigung bestehender Geschäftsprozesse sind Unternehmen jedoch auch gezwungen, sich immer schneller "neu zu erfinden", um den wachsenden Ansprüchen einer breiteren Palette von Stakeholdern (Interessens- bzw. Anspruchsgruppen) zusätzlich zu den Aktionären gerecht zu werden. Diese Steigerungslogik führt zu vielen ungewollten Nebeneffekten, insbesondere bei den Beschäftigten (Stress, Arbeitsunzufriedenheit, Krankheiten) aber auch der Umwelt.

Die Stakeholder-Theorie (eine Theorie aus dem Bereich der Wirtschaftsethik) verweist in diesem Kontext auf die unterschiedlichen Ansprüche der Stakeholder (also der Anspruchsgruppen an ein Unternehmen, wie z.B. die Beschäftigten), die erfüllt werden müssen, damit Unternehmen ihre "licence to operate" behalten, also als legitime Akteure in der Wirtschaft agieren können. In unserem Beitrag haben wir uns mit den Möglichkeiten beschäftigt, durch eine resonanztheoretische Perspektive neue Impulse für die Stakeholder-Theorie zu gewinnen. Dabei geht es darum, von einer Steigerungslogik zu einer Anpassungslogik zu kommen, das heißt, dass Unternehmen sich an neue Situationen immer wieder anpassen müssen, aber nicht im Modus der Steigerung und des Wachstums. Eine Orientierung an den konkreten Problemen in bestimmten Situationen ist dann der Auslöser für Anpassungsprozesse, nicht der Zwang zu einem ständig steigenden Umsatz, Gewinn, Bruttosozialprodukt usw. Statt des normativen Anspruchs einer Wachstumsorientierung soll eine Orientierung am „guten Leben“ erfolgen, d.h. eines guten Lebens mit und für andere in gerechten Institutionen, orientiert an den Prinzipien Freiheit, Würde, Wahrhaftigkeit und Verletzlichkeit, wie das Jacob Dahl Rendtorff in Anlehung an Paul Ricoeur formuliert hat.

Darüber hinaus sind die Artikulation, Wahrnehmung, Konsultation und Aushandlung widerstreitender Ansprüche verschiedener Stakeholder Kommunikationsprozesse, die ihrerseits Zeit benötigen und damit dem Beschleunigungsgebot grundsätzlich widersprechen. Die in der Stakeholder-Theorie entwickelten Stakeholder-Dialoge sind deliberative Prozesse, die Zeit brauchen und damit dem Beschleunigungsgebot moderner Gesellschaften widersprechen.

Die Stakeholder-Theorie zielt darauf ab, die berechtigten Ansprüche der Anspruchsgruppen im Rahmen von Stakeholder-Dialogen auszugleichen. Durch die Anerkennung von Mitarbeitenden und Nachhaltigkeitsaktivisten (die sich für Ökosysteme einsetzen) als Stakeholder, deren Forderungen gehört werden sollten, wird die Voraussetzung für soziale Resonanz geschaffen, die auf erfolgreichen Beziehungen zu Stakeholdern als zuhörenden und antwortenden Subjekten aufbaut. Institutionelle Strukturen, wie z. B. explizite Verhaltenskodizes, sind für die soziale Resonanz von großer Bedeutung, da sie Hierarchien schaffen und sowohl die Machtverhältnisse als auch den Zugang zu Positionen mit Vertretungsmacht definieren.

Solche institutionellen Strukturen finden sich z.B. in der Art und Weise, wie Regelungen für Homeoffice oder Videokonferenzen in Unternehmen gestaltet sind. Wenn Videokonferenzen immer mit einem fünfminütigen "Smalltalk" beginnen und enden – mit der Frage nach privaten Stressfaktoren, dem Austausch positiver Erfahrungen, dem Erzählen eines Witzes oder einfach dem gemeinsamen Hören eines Musikstücks –, kann dies die Fähigkeit des Einzelnen befördern, soziale Resonanz zu erfahren. Ein anderes Beispiel wäre die regelmäßige Organisation eines Freiwilligentages für das gesamte Unternehmen, um die natürliche Umgebung des Unternehmens zu verbessern – ein Ereignis, das sich nicht nur auf die soziale Resonanzachse, sondern auch auf die materielle Resonanzachse (also die konkrete Arbeitsumgebung) auswirken kann.

Der konkrete Zweck eines Unternehmens ist wichtig für die Sinndimension und schafft ein Gefühl der Resonanz mit dem (individuellen) guten Leben und dem Gemeinwohl. Forschungen zu moralischem Stress haben gezeigt, dass die Förderung von Diskussionen über ethische Fragen am Arbeitsplatz die Wahrnehmung der Mitarbeiter für das Arbeitsklima erhöht und rollenbezogenen moralischen Stress reduziert. Stakeholder-Dialoge können dazu dienen, implizite Vorstellungen über das gute Leben und das Gemeinwohl sowie den potenziellen Beitrag des Unternehmens zu deren Verwirklichung auszudrücken. Stakeholder-Dialoge mit Mitarbeitenden sollten sowohl existenzielle Aspekte des Unternehmens (seinen Zweck) als auch die der Mitarbeitenden ansprechen.

Unseres Erachtens bedarf es eines grundlegenden Umdenkens in der Wirtschaft, das vielleicht nur schwer zu realisieren ist. Möglicherweise kann dies nur durch eine globale Krise erreicht werden, die zu einer Unterbrechung gut eingeführter Routinen führt. Die Rolle von Routinen und die Möglichkeiten, sie in verschiedenen organisatorischen und wirtschaftlichen Kontexten zu verändern, müssen weiter erforscht werden. Andererseits gibt es bereits Sozialunternehmer in verschiedenen Nischen, die versuchen, die auf Beschleunigung basierenden Wirtschaftsprozesse in Frage zu stellen. Die Zukunft wird zeigen, welche Ergebnisse ihre Bemühungen zeitigen werden.

Sowohl kreative Handlungsanpassungen als auch Paradigmenwechsel sind grundsätzlich immer möglich, und Stakeholder-Dialoge sollten als Unterbrechungen der beschleunigten Routinen des Geschäftsalltags gesehen werden, die zeitliche Möglichkeiten zur Reflexion und kreativen Neuausrichtung eröffnen. Der letzte Aspekt der Unkontrollierbarkeit scheint dabei für die Wirtschaftsethik von besonderer Bedeutung zu sein, da die Stakeholder-Theorie als Theorie des Managements von der grundsätzlichen "Machbarkeit" von Managementprozessen ausgehen muss. Die Resonanztheorie verweist zugleich auf die Unverfügbarkeit von Resonanzbeziehungen, die man befördern kann, aber niemals erzwingen.

(Prof. Dr. Hartmut Rosa & Apl. Prof. Dr. Bettina Hollstein)