Nachgefragt: „Was bedeutet die Umwandlung der historischen byzantinischen Kirche der Hagia Sophia in Istanbul in eine Moschee, Herr Prof. Makrides?“

Gastbeiträge

In der Rubrik „Nachgefragt“ liefert der „WortMelder“ regelmäßig Statements von Wissenschaftler*innen der Universität Erfurt zu aktuellen Themen. Diesmal blicken wir auf die berühmte Kirche der Hagia Sophia im heutigen Istanbul, Türkei, die am 24. Juli 2020 offiziell wieder als Moschee eingeweiht wurde. Dieses Ereignis ist auf eine große Medienresonanz gestoßen und hat zahlreiche, meistens kritische, Reaktionen hervorgerufen. „WortMelder“ hat bei Vasilios N. Makrides, Professor für Religionswissenschaft (Orthodoxes Christentum) an der Philosophischen Fakultät der Uni Erfurt, nachgefragt: „Was bedeutet die Umwandlung der historischen byzantinischen Kirche der Hagia Sophia in Istanbul in eine Moschee?“

Prof. Dr. Vasilios N. Makrides

„Zunächst einige Informationen zu diesem einmaligen Monument: Bei der Hagia Sophia handelte es sich erstmals um eine zwischen 532 und 537 im Auftrag des Kaisers Justinian I. erbaute Kirche in Konstantinopel. Sie war äußerst berühmt und zugleich das vielleicht bekannteste Markenzeichen der Hauptstadt des Byzantinischen (Oströmischen) Reiches. Wegen ihrer besonderen Baustruktur und gigantischen Proportionen galt sie architektonisch als eine außergewöhnliche und einzigartige Leistung für die damalige Zeit. Sie fungierte als Krönungskirche für Kaiser und als Kathedrale des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel. Der Name 'Hagia Sophia' gibt zu erkennen, dass sie der 'Weisheit Gottes' gewidmet war, deshalb wurde sie auch zum Muster für spätere Sophienkirchen. Für die gesamtorthodoxe Welt hat diese Kirche eine riesige und einmalige Bedeutung. Nicht zufällig findet sich das Bild der Hagia Sophia auf der Hauptseite der Website meiner Erfurter Professur. Nach der Eroberung Konstantinopels 1453 und dem Fall von Byzanz zu den Osmanen wurde diese Kirche erstmals in eine Moschee umgewandelt. Aber nach der Gründung der modernen Türkei 1923 unter Kemal Atatürk wurde sie am 1. Februar 1935 als Museum eröffnet. Diese Nutzungsänderung des Monuments führte unter anderem zur Entfernung des inzwischen gelegten Putzes über einige beeindruckende byzantinische Wandmosaike, die somit zum ersten Mal seit Jahrhunderten wieder sichtbar wurden. Seit 1985 gehört das Monument auch zum UNESCO-Weltkulturerbe. Selbstverständlich ist die vielfältige, ältere wie neuere, Literatur zu Hagia Sophia Legion. Neuerdings haben diverse interdisziplinäre Forschungen sogar versucht, die eindrucksvolle Atmosphäre in der Hagia Sophia während einer orthodoxen Liturgie und die damit verbundenen multisensorischen Effekte originalgetreu zu rekonstruieren.

Den musealen Status hielt die Hagia Sophia bis vor Kurzem. Jedoch wurde sie, nach einem Beschluss des Obersten Verwaltungsgerichts am 10. Juli 2020, auf Anordnung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan am 24. Juli 2020 mit dem ersten Freitagsgebet wieder in eine Moschee umgewandelt. Sowohl die Absicht als auch die Realisierung dieses Plans wurden international von vielen Seiten (religiösen, politischen, kulturellen usw.) kritisiert – unter anderem als unvereinbar mit den Wertprinzipien der liberalen Demokratien der westlichen Welt. Für die türkische Seite war dies aber ein notwendiger Schritt, insbesondere mit Blick auf die offizielle islamische Identität des Landes. 'Wir stellen einen Fehler richtig. So einfach ist das', sagte Erdoğan. Solche divergierenden Einschätzungen dieser Entscheidung sind nachvollziehbar. Ohnehin war die Wiedernutzung der Hagia Sophia als Moschee oftmals ein Thema in der jüngsten türkischen Geschichte. Zweifelsohne ist die Türkei ein souveräner Staat und eine solche Entscheidung gehört zu ihren inneren Angelegenheiten. Jedoch hätten auch die potenziellen Konsequenzen eines solchen Schrittes mitberücksichtigt werden sollen, zumal es sich um ein Denkmal des UNESCO-Weltkulturerbes handelt, das von übergreifender religiöser und kultureller Bedeutung ist. Dass viele religiöse Gebäude generell über die Zeit eine vielfältige Nutzung erfuhren, ist religionshistorisch keine Seltenheit, sondern eher die Regel. Bei der Hagia Sophia handelt es sich aber um kein beliebiges Monument, sondern um die wichtigste Stätte des Orthodoxen Christentums par excellence, die gleichzeitig für die Weltchristenheit von eminenter Relevanz ist. Insofern erscheint ihre Rückumwandlung in eine Moschee problematisch aus verschiedenen Perspektiven: 

Zuerst sollte diese Entwicklung im Rahmen der jüngsten politischen Situation in der Türkei unter Präsident Erdoğan (insbesondere nach dem gegen ihn gescheiterten Putschversuch von 2016) betrachtet werden, dessen Führungsstil oftmals als autoritär und undemokratisch kritisiert wird, was zu kontinuierlichen Spannungen mit der Europäischen Union (EU) und generell mit der westlichen Welt führt. Die Türkei ist zwar Mitglied der westlichen Allianz und hat einen EU-Beitrittsstatus, wobei ihre strategische Position zwischen der westlichen und der islamischen Welt sie zu einem willkommenen Gespräch- und Kooperationspartner für viele Staaten und Bündnisse international macht. Jedoch betreibt sie zur Zeit eine teilweise unabhängige, multilaterale internationale Politik, die deutlich neo-osmanische Allüren aufweist. Unter anderem beabsichtigt sie, sich als die stärkste Macht in der breiteren ostmediterranen Region zu etablieren und eine Führungsrolle in der islamischen Welt zu übernehmen, was etliche Reaktionen nicht zuletzt aus der islamischen Welt selbst hervorgerufen hat. Inwieweit diese Pläne für die türkische Seite realisierbar sind, insbesondere mit Blick auf das 2023 zu feiernde 100-jährige Jubiläum der Türkischen Republik, bleibt abzuwarten. Sehr wichtig ist aber die Entscheidung um die Hagia Sophia im Rahmen der stufenweise verlaufenden Re-Islamisierung der Türkei unter Erdoğan zu betrachten, die gleichzeitig einen Bruch mit dem säkularen Erbe Kemal Atatürks bedeutet. Auch wenn ein solcher Bruch nicht zum offiziellen Diskurs gehört, deuten alle Entwicklungen unmissverständlich darauf hin. Nicht zu vergessen ist schließlich, dass Erdoğan die AKP-Partei leitet, welche generell eine klare pro-islamische Agenda vertritt, die sie wiederum, wie es scheint, trotz etwaiger Reaktionen, unbedingt zu realisieren anstrebt.     

Zweitens: Diese Entwicklung um die Hagia Sophia wird zudem das Verhältnis zur orthodoxen Welt künftig belasten, auch wenn die Türkei mit mehrheitlichen orthodoxen Staaten unterschiedliche Beziehungen pflegt (z.B. kooperativ zu Russland, konfliktreich zu Griechenland) und als Verfechterin von Religionsfreiheit und den Rechten von religiösen Minderheiten auftritt. Generell hatten Muslime mit orthodoxen Christen historisch ein anderes, teilweise auch positives Verhältnis als mit westlichen Christen, nicht zuletzt aufgrund der geographischen Nähe und ihrer Koexistenz, die zu zahlreichen Verflechtungen auf mehreren Ebenen führten. Jedoch waren orthodoxe Christen in der Türkei im Laufe des 20. Jahrhunderts wegen des steigenden Nationalismus erheblichen Diskriminierungen und teilweise Verfolgungen ausgesetzt. Zudem liegt in Istanbul dauerhaft bis heute der Sitz des Ökumenischen Patriachats von Konstantinopel, der einzigen Institution, die den Fall von Byzanz überlebte und die im Rahmen der o.g. türkischen Politik in großer Mitleidenschaft gezogen wurde (siehe Heft 6 der 'Erfurter Vorträge zur Kulturgeschichte des Orthodoxen Christentums' unter dem Titel Das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel und die türkische Religionspolitik, Erfurt 2007, von Heinz Ohme). Es wurden bereits früher Ansichten innerhalb radikaler türkischer Kreise geäußert, das Ökumenische Patriarchat sei aus der Türkei zu vertreiben, denn es stelle ein 'Trojanisches Pferd' für die nationalen Interessen der Türkei dar. Wird es zu einem solchen Schritt künftig noch kommen? Angesichts der stärker werdenden Islamisierungswelle im Lande lässt sich dies nicht komplett ausschließen, selbst wenn das Ökumenische Patriarchat große und tatkräftige Unterstützung international, unter anderem von Seiten der USA, genießt. Natürlich ist hier nicht die Rede von einer Umwandlung der Hagia Sophia wieder in ihren Urzustand, nämlich in eine orthodoxe Kirche unter dem Mantel des Ökumenischen Patriarchats.  Jedoch wäre es sicherlich ein gutes und positives Zeichen für alle Seiten, wenn die Hagia Sophia ihren musealen und religionsunabhängigen Charakter als Begegnungs- und Dialogort verschiedener Religionen, Völker und Kulturen weiterhin beibehalten hätte, was die internationale Gemeinschaft mit Bedauern und Empörung größtenteils und wiederholt in jüngster Zeit betont hat.   

Drittens: Es wird auch befürchtet, dass diese Entscheidung die immerhin angespannten Beziehungen zwischen Christentum und Islam sowie den bilateralen Dialog in verschiedenen Kontexten belasten wird. Ohne Zweifel gießt sie bedauerlicherweise der anti-islamischen Front Öl ins Feuer, die nicht nur in Europa, sondern auch in anderen Teilen der Welt an Bedeutung und Einfluss gewinnt und die den Islam und dessen ständigen Expansion als eine ernsthafte Bedrohung empfindet. Der italienische Rechtsnationalist Matteo Salvini hat dies bereits getan, als er zusammen mit Anhängern vor dem türkischen Konsulat in Mailand protestierte. Wie bekannt, hat auch Deutschland die Spuren dieser breiten anti-islamischen Mobilisierung in den vergangenen Jahren am eigenen Leib erlebt. Die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee wird deshalb bereits von vielen nicht nur als respektlos und provokativ betrachtet, sondern auch als Beweis dafür angeführt, dass der Islam als feindliche Religion ständig expandieren will und zwar auf Lasten des Christentums und anderer Religionen. Dass die christliche Seite bei den Beziehungen zum Islam – historisch gesehen – überhaupt keine makellos reine Weste hat, spielt dabei keine Rolle oder wird einfach vergessen. Auch wenn die türkische Seite diesen Schritt gemäß diversen Überlegungen als durchaus legitim und gerechtfertigt erachtet, lautet das Hauptgegenargument: In Istanbul und in der breiteren Umgebung gibt es bereits Tausende von Moscheen, deshalb war die Rückumwandlung der Hagia Sophia in eine zusätzliche Moschee völlig unbrauchbar, nicht zuletzt angesichts des hohen symbolischen Wertes dieses besonderen und einzigartigen historischen Monuments, das idealerweise weiterhin als Symbol der Religions- und Kulturbegegnung dienen sollte.“

Prof. Dr. Vasilios N. Makrides