Nachgefragt: "Warum könnte Deutschland auf Waffenexporte in Drittländer verzichten, Frau Prof. Zschoche?"

Gastbeiträge
Prof. Dr. Miriam Zschoche

Die Rüstungsexportpolitik Deutschlands ist ein viel und kontrovers diskutiertes Thema, gerade wenn es um Waffenlieferungen in sogenannte Drittstaaten geht, also Länder, die nicht der Europäischen Union (EU) oder der North Atlantic Treaty Organization (NATO) angehören bzw. die nicht der NATO gleichgestellt sind. Denn dabei wird hingenommen, dass Waffen an Diktaturen und Staaten, die Krieg führen oder Menschenrechte verletzen, geliefert werden. Ein häufig angeführtes Argument für die deutschen Rüstungsexporte in Drittstaaten ist, dass diese notwendig seien, um eine leistungsfähige Rüstungsindustrie im Land zu erhalten. Warum dieses Argument entkräftet werden kann und welche Alternativen es gibt, das hat Prof. Dr. Miriam Zschoche, Professorin für Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Strategisches und Internationales Management an der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Uni Erfurt, in einer neuen Studie für Greenpeace untersucht. „WortMelder“ hat bei ihr nachgefragt: „Warum könnte der Staat eben doch auf Waffenexporte in Drittländer verzichten und welche Alternativen gibt es für die Unternehmen, Frau Prof. Zschoche?“

"Deutschland ist eine der größten Exportnationen für Rüstungsgüter weltweit. Etwa die Hälfte der Exporte gehen in sogenannte Drittländer. Rüstungsexporte sind grundsätzlich genehmigungspflichtig durch den deutschen Staat. In Zukunft wäre es möglich, dass eine Exporterlaubnis in Drittländer generell verwehrt wird. Aufgrund hoher Kosten für Forschung und Entwicklung, die für einige Produktgruppen vorherrschen, können geringere Absatzmengen problematisch erscheinen. Auf der anderen Seite existiert eine Reihe von strategischen Optionen, die es erlauben, diesem potenziellen Problem entgegenzuwirken. Exemplarisch zeigt dies die Firma Heckler & Koch, die als eines der größten deutschen Unternehmen in der Rüstungsindustrie freiwillig nahezu vollständig auf den Export in Drittländer verzichtet und dennoch finanziell erfolgreich ist bzw. nach eigenen Angaben von dieser Strategie sogar profitiert. Doch wie könnten Unternehmen im Allgemeinen auf einen Exportstopp in Drittländer reagieren? Grundsätzlich können sinkende Einnahmen entweder durch höhere Umsätze in anderen Unternehmensbereichen (durch höhere Absatzmengen und/oder durch höhere Preise) und/oder durch Reduzierung der Kosten kompensiert werden. An dieser Stelle setzen die folgenden Überlegungen an:

Eine wichtige Maßnahme zur Erhöhung der Absatzmenge wäre die verstärkte Bedienung ziviler Abnehmer*innen im In- und Ausland. Die größten Unternehmen der Rüstungsindustrie in Deutschland sind stark diversifizierte Konzerne, die ohnehin schon zivile Märkte bedienen. Vergrößert ein Unternehmen seine Kapazitäten im zivilen Bereich, könnte dies zu Skalenerträgen bei bestehenden Produkten oder zu Produktinnovationen führen, die das Unternehmen insgesamt wettbewerbsfähiger machen. Diese Strategie wird zum Teil schon von Unternehmen der Rüstungsindustrie verfolgt. So nutzt, beispielsweise, ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) sein Know-how aus dem militärischen U-Boot-Bau, um innovative U-Boot-Systeme zur Wartung von Offshore-Windkraftanlagen anbieten zu können.

Eine weitere Option, um Umsatzrückgänge aufzufangen, ist die verstärkte Bedienung inländischer staatlicher Nachfrage. Die Ausstattung der Bundeswehr ist noch immer nicht optimal und bietet viel Entwicklungspotential. Auch in der EU gibt es aktuell Pläne, die militärischen Aktivitäten der Mitgliedstaaten stärker zu bündeln und auszubauen. Insofern ist es nicht unrealistisch anzunehmen, dass Deutschland seine Rüstungsausgaben in den nächsten Jahren weiter steigern wird, unter anderem auch, um das sogenannte NATO-Zwei-Prozent-Ziel oder etwaige europäische Ausgabenziele zu erreichen. Auch Ausgaben, die der inneren Sicherheit (etwa Ausrüstung der Polizei, des Zolls etc.) dienen, lassen sich hier aufführen.

Ein dritter Weg, um Umsätze zu steigern, wäre die Ausweitung der Auslandsaktivitäten in 'sicheren' Märkten, also in Ländern, die keine Drittstaaten sind. Unternehmen der deutschen Rüstungsindustrie generieren bereits jetzt große Exportumsätze mit Staaten, die nicht als Drittstaaten gelten. Die als 'sicher' eingestuften Märkte umfassen zurzeit 40 Länder. Wichtigste Absatzmärkte für einzelgenehmigte Ausfuhren waren dabei im Jahr 2020 Ungarn, die USA und das Vereinigte Königreich.

Zur Steigerung der Absatzmengen der Unternehmen im Markt kann es schließlich kommen, wenn es weniger Unternehmen im Markt gibt, das heißt, wenn durch Unternehmenszusammenschlüsse eine Marktkonzentration stattfindet. Aus Unternehmenssicht sind Zusammenschlüsse eine sehr effektive Strategie, um auf schrumpfende Märkte zu reagieren.

Direkt an die Marktkonzentration anknüpfend, lässt sich als weitere Kompensationsstrategie die Erhöhung der Preise nennen. Unternehmenszusammenschlüsse können ein Grund für steigende Preise sein, sind aber nicht der einzige Grund. Da der Staat für viele Produkte der Rüstungsindustrie der einzige Abnehmer ist, herrschen hier eher bilateral abgesprochene Preisfestsetzungen vor, die sich an der Kostensituation der Bereitstellung orientieren. Höhere Produktionskosten durch geringen Absatzmengen könnten – zumindest kurzfristig – an verbleibende Abnehmer*innen weitergegeben werden.

Eine mittel- und langfristige Strategie, um höhere Preise am Markt zu erzielen, ist die Entwicklung von leistungsfähigeren Produkten. Rüstungsgüter sind in der Regel hochtechnologische Produkte, die viel Potenzial für Weiterentwicklungen bieten. Gelingt es einem Unternehmen, durch technische Innovationen leistungsfähigere Produkte anzubieten, kann es dafür höhere Preise erzielen. Vermutlich wäre es sinnvoll, wenn der deutsche Auftraggeber Leistungssteigerungen gezielt durch Innovationsförderung unterstützt.

Eine dritte Strategie, um höhere Preise am Markt zu erzielen liegt in der Diversifikation: Das Unternehmen bietet neue Produkte in neuen Märkten an. Die Innovation besteht in diesem Fall nicht darin, bestehende Produkte zu verbessern, sondern völlig neue Verwendungsmöglichkeiten zu schaffen. Da der zivile Markt um ein Vielfaches größer als der militärische Markt ist, wäre insbesondere eine Diversifikation in den zivilen Bereich sinnvoll. So bietet etwa die Cyber-Technologie ein großes Anwendungsfeld; Bedrohungen durch Cyber-Angriffe sind nicht nur Staaten ausgesetzt, sondern auch privatwirtschaftliche Unternehmen.

Kosten können ein weiterer Stellhebel sein, um Einbußen im Export zu kompensieren. Das bestehende System der Rüstungsexportkontrolle in Deutschland ist komplex und für die exportierenden Unternehmen mit einem hohen administrativen Aufwand verbunden. Insbesondere Genehmigungen von Exporten in Drittländer sind mit einer hohen Unsicherheit verbunden, da in diesen Ländern die menschenrechtliche Risikoeinschätzung durch die Bundesregierung besonders schwierig ist und sich kurzfristig ändern kann. Ein prinzipielles Verbot von Exporten in Drittstaaten würde die Planungssicherheit für die Unternehmen erhöhen und den administrativen Aufwand der Ausfuhren reduzieren.

Kosten könnten ebenfalls eingespart werden, wenn Unternehmen sich durch vertikale Desintegration auf ihre Kernkompetenz konzentrieren. Wie bereits erwähnt, sind viele Rüstungsgüter hochtechnologisch, demnach wissensintensiv. Hier liegt in der Regel auch die Stärke der deutschen Unternehmen: in der Entwicklung neuer Technologien und deren Anwendung in Produkten. Daher wäre es eine Option, die Fertigung an Unternehmen im In- und Ausland auszulagern, also andere Unternehmen damit zu beauftragen. Die dadurch gesparten Kosten für Fertigungskapazitäten können etwa in die Forschung und Entwicklung investiert werden. Einsparungen ließen sich ebenfalls realisieren, wenn Unternehmen Kooperationen im Forschungsbereich bilden. Zahlreiche Beispiele aus der Automobil- oder Pharmabranche zeigen, dass Unternehmen, die gezielt an der Erforschung spezieller Technologien bzw. Lösungen beteiligt sind, schneller und kostengünstiger innovative Produkte an den Markt bringen können.

Insgesamt gibt es also eine Reihe von strategischen Maßnahmen, die einen Exportstopp in Drittländer kompensieren könnten. Die beschriebenen Optionen schließen sich nicht gegenseitig aus; vielmehr wäre es möglich, dass sie in Kombination eine noch stärkere Wirkung entfalten. Welche Maßnahmen für das einzelne Unternehmen am sinnvollsten sind, liegt im Ermessensspielraum der jeweiligen Entscheider*innen in den Unternehmen. Kurz- und mittelfristig können eine höhere staatliche Nachfrage bzw. finanzielle Mittel zur Innovationsförderung die strategische Neuausrichtung der Unternehmen unterstützen. Langfristig würde sich der Markt wahrscheinlich verändern und tendenziell noch stärker auf Technologieführerschaft abzielen."

Weitere Informationen:

Inhaberin der Professur für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkten Strategisches und Internationales Management
(Staatswissenschaftliche Fakultät)
C03 - Lehrgebäude 1 / Raum 0066