Nachgefragt: "Das Tabu ist gebrochen, die katholische Kirche spricht über ihre Missbrauchsfälle. Und nun, Frau Prof. Knop?"

Gastbeiträge

Erst kürzlich trafen sich knapp 200 Bischöfe der Weltkirche im Vatikan zu einer Konferenz über die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche. Auch die deutschen Bischöfe haben im Rahmen ihrer Frühjahrsversammlung jüngst über die Konsequenzen der sogenannten MHG-Studie über „Sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ gesprochen. Mit einem Impulsvortrag war auch Julia Knop, Professorin für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt, dabei. Für ihren Beitrag und ihre konsequente Haltung erhielt die Erfurter Theologin viel öffentlichen Zuspruch. „WortMelder“ hat noch einmal nachgehakt: „Die Debatte um die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche stellt für selbige ganz sicher eine Zäsur dar. Und nun, Frau Prof. Knop?“

Prof. Dr. Julia Knop
Prof. Dr. Julia Knop

„Die genannte Studie, die im vergangenen September publik wurde, hatte ja bereits die Debatte der Herbstvollversammlung der Bischofskonferenz bestimmt. Auf der Frühjahrsvollversammlung wurde nun einerseits natürlich der Stand der Dinge in Fragen der Aufarbeitung und Aufklärung besprochen, aber darüber hinaus auch zu übergreifenden Themen gearbeitet: zu strukturellen Hintergründen, typisch katholischen Risikofaktoren, die Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt in der katholischen Kirche begünstigen können. Konkret ging es auf dem Studientag, in den ich mit besagtem Impuls eingeführt und den ich dann den Tag über moderiert habe, um die drei Themen ‚Macht‘, ‚priesterliche Lebensform (Zölibat)‘ und ‚kirchliche Sexualmoral‘. Diese Themen waren in der MHG-Studie benannt worden, sind aber, das wissen wir alle, seit Jahrzehnten in der Diskussion. Diese Diskussion wurde bisher von kirchlich-institutioneller Seite aber nicht zugelassen, sogar tabuisiert – mit teils verheerenden Folgen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Nun wurden sie in ihrem prekären, gefährlichen Zusammenhang auf die Tagesordnung gesetzt. Das war wirklich neu und allein das hat eine enorme Resonanz gefunden. Ich hoffe sehr, dass auch diejenigen Bischöfe, die die kirchliche Tradition der Tabuisierung dieser Themen gern fortgeschrieben hätten, am Ende des Tages dennoch froh waren, dass die Debatte endlich auch unter den deutschen Bischöfen eröffnet worden ist. Denn sie muss geführt werden. Es braucht tiefgreifende Analysen und strukturelle Konsequenzen und Korrekturen.

Die MHG-Studie hat grauenhafte und widerwärtige Untaten von Klerikern in einem Ausmaß ans Licht gebracht, dass die katholische Kirche in Deutschland jeglichen Kredit  verloren hat. Wir wissen, dass darin lediglich eine untere Schätzgröße priesterlicher Gewaltdelikte beziffert wurde. Diese Verbrechen sind, das muss man in der katholischen Kirche immer wieder betonen, keine priesterliche Sünden gegen die Keuschheit oder den Zölibat. Wir reden hier nicht von ’schwachen, gefallenen Priestern‘, sondern von Gewaltakten, die Kleriker in asymmetrischen Machtverhältnissen an Kindern, jungen Leuten und Ordensfrauen begangen haben. Es geht um physische und psychische, sexuelle und geistliche Gewalt durch Priester, um Gewalt und ihre Vertuschung im Raum und im Namen der Kirche. Die MHG-Studie hat systemische Risiken der Institution katholische Kirche, also spezifisch katholische Faktoren, identifiziert, die solche Gewalt von Klerikern begünstigen und seine Ahndung erschweren.

Sexueller Missbrauch liegt als solcher nicht in der ‚DNA‘ der Kirche. Sexueller Missbrauch hat vermutlich auch nicht unmittelbar, nicht ursächlich mit dem Zölibat zu tun. Allerdings müssen die Risikofaktoren eines verpflichtenden Zölibats für eine bestimmte Berufsgruppe genau untersucht werden. Sexueller Missbrauch hat gewiss nichts damit zu tun, dass Homosexuelle im katholischen Klerus weit überdurchschnittlich vertreten sind. Aber was mit der ‚DNA‘ der Kirche zu tun hat, was tief in ihr kirchliches Selbstverständnis eingeschrieben ist und offenkundig prekäre Folgen zeitigen kann, ist die religiöse Aufladung von Macht, die Immunisierung kirchlicher Deutungshoheit gegenüber Kritik und Korrektur, die dem Neuen Testament fremde Sakralisierung des Weiheamtes, die Auratisierung des Amtsträgers, die religiöse Stilisierung von Gehorsam, Hingabe und Opfer, die geistliche Überhöhung der zölibatären Lebensform samt ihrer institutionellen Kopplung mit kirchlicher Macht, eine unterschwellig immer noch enorm wirksame Dämonisierung von Sexualität, die Tabuisierung und Inkriminierung von Homosexualität und die merkwürdige Paradoxie asexueller Männlichkeit im zölibatären Priester, dessen Geschlecht aber immer noch für amtsentscheidend erklärt wird. Das sind systemische Risikofaktoren in der katholischen Ekklesiologie; wenn man so will: ideologische Grundlagen, die Amtsmissbrauch begünstigen können. Daran muss strukturell, aber auch theologisch gearbeitet werden.

Macht – Zölibat – Sexualmoral: Keines der drei Themen des Studientags der Deutschen Bischofskonferenz ist neu. Aber neu ist, dass sie dort nun in ihrem destruktiven Zusammenhang wahrgenommen werden. Dass man sie nicht mehr als Lieblingsthemen der katholischen Linken oder liberaler Theologie abtun kann, die darin ihre antirömischen Reflexe bedienten. Neu ist, dass ihre Tabuisierung in der Kirche ein Ende hat. Neu ist die Erkenntnis, dass diese Themen im Zusammenhang besprochen werden müssen, damit ihre Problemtiefe wirklich erkannt wird. Neu ist die Anerkenntnis, dass eine ernsthafte kirchliche Selbstkorrektur, eine substanzielle Entwicklung nötig ist – deshalb die Rede von der Zäsur. Auch die Erkenntnis, dass für eine solche kirchliche Transformation theologische Expertise nötig ist, dürfte zumindest für einige Bischöfe neu sein. Vieles, was nun ansteht, wird ja seit langem intensiv in der wissenschaftlichen Theologie bearbeitet, wurde aber kirchlich nicht aufgegriffen oder wahrgenommen.

Die Themen Macht, Zölibat und Sexualmoral betreffen die Bischöfe dabei in mehrfacher Hinsicht; Themen und Personen sind hier eng miteinander verbunden: Die Bischöfe sind Kleriker, die mit einer enormen Machtfülle ausgestattet sind; sie sind zölibatspflichtig und vertreten das kirchliche Lehramt, das nicht nur Glaubens-, sondern auch (sexual-)ethische Fragen zu beurteilen beansprucht. Die Bischöfe stehen in persönlicher und in amtlicher Verantwortung. Sie können in den anstehenden Fragen nicht in die methodische Distanz des gepflegten akademischen Diskurses ausweichen. Sie sind nicht Beobachter, sondern Beteiligte. Denn sie repräsentieren eine Kirche, deren systemische Defekte offenkundig geworden sind. Sie stehen für eine Kirche, in der unzählige Biografien von jungen Leuten, von Eltern, von Ordensschwestern, von Hauptamtlichen, von Theologinnen und Theologen durch klerikalen Missbrauch von Amtsgewalt, durch sexuelle Übergriffe und geistliche Manipulation durch Priester, beschädigt, manchmal zerstört worden sind.

Der Studientag in Lingen war, auch wenn einige wenige Gäste und Referenten daran teilgenommen haben, im Wesentlichen ein inner-circle-Gespräch der Bischöfe. Ein solches Setting hat seine natürlichen Grenzen. Aber es war hilfreich, dass die katholischen Bischöfe über diese Fragen zuerst untereinander und miteinander gesprochen haben. Es war nötig, dass sie ihre Haltung zu den anstehenden Erneuerungsprozessen klären und eine gemeinsame Haltung zu tragfähigen Formaten dieser Prozesse entwickeln, um dann die offene, öffentliche, im besten Sinne kirchliche Debatte mittragen zu können. Sie wird in den Gemeinden, den Bistümern, der Wissenschaft, der Gesellschaft ja längst geführt, allen Versuchen kirchlicher Tabuisierung zum Trotz. Aber es darf auf kirchlicher Leitungsebene, das muss allen klar sein, eben nicht bei einem ‚closed shop‘ bleiben. Dies wäre nur ein weiteres Symptom der gravierenden Strukturkrise der katholischen Kirche. Die Debatte muss weiter geführt werden und sie muss in der ganzen Breite der Kirche geführt werden. Sie muss ernsthafte strukturelle und theologische Konsequenzen hervorbringen. Dafür braucht es verbindliche Formen. Wir dürfen gespannt sein, wohin der nun in Lingen angestoßene ’synodale Weg‘ die katholische Kirche in Deutschland führen wird.“