Die fortschreitende Digitalisierung der Gesellschaft lässt immer neue Formen der Datennutzung und der kommunikativen Interaktion zu. Nutzer können nicht nur Inhalte rezipieren, sondern sich selbst in Medien präsentieren und Inhalte produzieren. Doch Cybermobbing und Hate-Speech, aber auch Big-Data und die Verwendung von Algorithmen und Social Bots werfen auch neue ethische Fragen auf. „WortMelder“ hat bei Sven Jöckel, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Erfurt, nachgefragt: „Brauchen wir eine neue, ‚digitale Ethik‘, Herr Professor Jöckel?“
„Das ist eine spannende Frage, die man erstmal provokativ mit ’nein‘ beantworten könnte. Zunächst einmal gilt, dass das vermeintlich ‚Digitale‘ und das ‚Analoge‘ gar nicht so unterschiedlich sind, wie man meint. Online- und Offline-Lebenswelt, wenn man das der Einfachheit halber mal so nennen will, sind zunehmend miteinander verschränkt. Wir managen unsere Freundschaften online, wir kommentieren das Leben nicht mehr nur in der Kneipe, sondern auch auf Facebook oder Instagram. Da brauchen wir eher normative Regeln, die das Leben in einer vernetzten digitalen Welt regeln, als solche, die spezifisch für die Online-Welt sind. Nehmen wir ein Phänomen wie Cyperbullying: Jemand wird online verleumdet, bloßgestellt oder genötigt. Wir sehen hier etwas, was sich genauso auch in der Offline-Welt abspielt, was oftmals seine Wurzeln in dieser hat und nun online eine neue Prägnanz entwickelt. Oftmals sind es auch die gleichen, oder zumindest ähnliche Personen, die online und offline zum Opfer oder auch zum Täter oder zur Täterin werden. Sollten hier offline andere Regeln gelten als online? Nein, denn, was ich nicht will, dass es offline geschieht, sollte so auch nicht online geschehen. Gleiches gilt für Hasskommentare und dergleichen: Wer beleidigt und hetzt, hetzt online wie offline und hierfür braucht es Regeln. Oftmals geht jedoch der Blick dafür verloren, dass online auch Regeln gelten, man fühlt sich freier und unkontrollierter. Ich kann pöbeln und keiner weiß, dass ich es bin. Ich kann eine neue Eskalationsstufe schalten, die ich im Gespräch vielleicht nicht wählen würde – dies ist ein Problem, aber kein Grund, hier nach anderen Regeln zu rufen.
Komplexer wird es jedoch, wenn wir digitale Ethik weiterfassen und uns nicht mehr nur die Frage stellen, wie wir unser alltägliches Leben, unser Miteinander regeln wollen, sondern wenn es auch um die Frage geht, was soll, darf der Staat, was dürfen Unternehmen – oder auch, was darf die Forschung mit Hilfe digitaler Daten anstellen. Hier entstehen in der Tat vollkommen neue ethische Fragestellungen, z.B. was Algorithmen dürfen sollte und was nicht, wie wir mit künstlicher Intelligenz umgehen, wie selbsthandelnde Maschinen Entscheidungen treffen sollen – vieles spannende Frage für die Zukunft (und Gegenwart).“