In seinem Schreiben „Amoris Laetitia“ hat sich Papst Franziskus jetzt zu den Themen Familie und Sexualmoral geäußert. Durch seine Äußerungen im Vorfeld hat der Papst große Erwartungen bezüglich des Papiers geweckt. WortMelder hat nachgefragt, bei Josef Römelt, Professor für Moraltheologie und Ethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt. „Bedeutet das Papier einen Wandel in der Katholischen Kirche, Herr Prof. Römelt?“…
„Amoris Laetitia, ‚Freude an der Liebe‘, hat Papst Franziskus sein Schreiben genannt, das in diesen Tagen veröffentlicht worden ist und mit dem er die Ergebnisse der Bischofssynoden zur Familie aus den beiden letzten Jahren zusammenfasst. Gemeint ist damit das Glück der Intimität, das Menschen in der sexuellen Begegnung erfahren können. Die tiefe Vitalität und Erfüllung, die von dieser Begegnung ausgeht.
Am Anfang des Textes steht eine biblische Betrachtung. Sie ist fasziniert von der Aussage auf den ersten Seiten der Bibel, die den Menschen gerade in seiner Beziehung zwischen Frau und Mann als Abbild Gottes bezeichnet. Vielleicht etwas vereinfacht ausgedrückt: Wir verstehen will, was das Wort Gott bedeuten soll, wie Gott ist, wo man ihn erfährt, dann verweist die Bibel auf die Erfahrung der Liebe zwischen Frau und Mann. Weil diese die Einsamkeit überwindet. Und weil sie die Ursprung der Weitergabe menschlichen Lebens ist. So wie die Erfahrung Gottes jedem Menschen Geborgenheit und Erfüllung schenken will. Ja, eine Erfahrung schöpferischer Kreativität ist, die Leben überhaupt ermöglicht, entfaltet, ihm Kraft gibt.
Wer in einem solchen Schreiben des Papstes jede Form liebender Intimität – Beziehungswelten zwischen Frau und Mann, zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren, die fantasievollen Formen heutiger familiärer Konstellationen – angesprochen wünscht, wird vielleicht enttäuscht sein. Ausgehend von der Aussage, dass Gott den Menschen nach seinem Ebenbild als Frau und Mann geschaffen hat, begeistert sich der Papst für die Schönheit und Intensität des familiären Lebens eines Ehepaares mit seinen gemeinsamen Kindern. Er entfaltet in einfühlsamer Weise die emotionale und ganzheitliche Dichte der Erfahrung von Liebe als Quelle tiefster menschlicher Geborgenheit und Entfaltung. Modern gesprochen: Das ABC sozialer Kompetenz wird in diesem Sinne in der Familie gelebt und entfaltet.
Neu ist, wie aufmerksam und respektvoll der Papst die Brüche und Konflikte, welche das Leben in Familie bedeuten kann, in seine Gedanken aufnimmt. Er hält sich damit ganz eng an die Diskussionen der katholischen Bischöfe vor allem in der zweiten Periode der Synode im vergangenen Jahr. Und er wird nicht müde, die Einsicht aufzugreifen, dass die ‚Logik der Integration‘ für die Kirche von heute ‚der Schlüssel … [der] pastoralen Begleitung‘ der Menschen ist, in welcher Form auch immer sie Liebe und Familie zu leben und gestalten versuchen. Zum Beispiel bedeutet das für Menschen in Scheidungschicksalen, dass sie ’nicht nur wissen sollen, dass sie zum Leib Christi, der die Kirche ist, gehören‘, also dass sie dazu gehören und Mitglieder der Gemeinschaft der Glaubenden sind. Sondern dass sie dies als ‚freudige und fruchtbare Erfahrung [auch konkret] erleben können‘. In diesem Sinne spricht der Papst immer wieder von Barmherzigkeit und versteht sie so, dass Kirche inklusiv ist: Also alle Menschen mit ihrer Form der Liebe und ihrer Art, Familie zu leben (mit eigenen Kindern, adoptierten Kindern, Kindern aus unterschiedlichen Beziehungen…), sind willkommen und sollen ihre Erfahrung der Liebe mit einbringen dürfen.
Der Papst selbst hat diese Offenheit wiederholt auch gegenüber Menschen mit einer gleichgeschlechtlichen Identität zum Ausdruck gebracht. Im Schreiben zitiert er freilich die Zurückhaltung der Synoden gegenüber eheähnlichen Rechtsformen, die in manchen Gesellschaften geschaffen worden sind. Man kann das so verstehen, dass die besondere Bedeutung der gemeinsamen Kinder zwischen Frau und Mann nach wie vor für die Kirche wichtig ist. Hinzu kommt, dass der Papst für die ganze Weltkirche sprechen muss – eine Welt, in der es so unterschiedliche Kulturen mit ihrer Einschätzung des Sinns der Beziehung zwischen Frau und Mann, zwischen den Geschlechtern und der Gestaltung von Familie gibt.
Vielleicht ist das Aufregendste an seinem Schreiben deshalb, dass er ausdrücklich darauf verzichtet, für alle Teile der Welt in rascher Manier allgemeine und starre Vorschriften formulieren zu wollen. Er schreibt: ‚Indem ich daran erinnere, dass die Zeit mehr wert ist als der Raum, möchte ich erneut darauf hinweisen, dass nicht alle doktrinellen, moralischen oder pastoralen Diskussionen durch ein lehramtliches Eingreifen entschieden werden müssen. Selbstverständlich ist in der Kirche eine Einheit der Lehre und der Praxis notwendig; das ist aber kein Hindernis dafür, dass verschiedene Interpretationen einiger Aspekte der Lehre oder einiger Schlussfolgerungen, die aus ihr gezogen werden, weiterbestehen. Dies wird so lange geschehen, bis der Geist uns in die ganze Wahrheit führt (vgl. Joh 16,13), das heißt bis er uns vollkommen in das Geheimnis Christi einführt und wir alles mit seinem Blick sehen können. Außerdem können in jedem Land oder jeder Region besser inkulturierte Lösungen gesucht werden, welche die örtlichen Traditionen und Herausforderungen berücksichtigen. Denn die Kulturen [sind] untereinander sehr verschieden, und jeder allgemeine Grundsatz […] muss inkulturiert werden, wenn er beachtet und angewendet werden soll.‘ Damit drückt er heraus – ‚Freude an der Liebe‘ bedeutet: Das Bemühen um moralische Orientierung in der Gestaltung von sexueller Intimität, Partnerschaft und Familie, um verbindliche Ideale und um die Beschreibung von Liebe, die wirklich glücklich macht, ist Teil einer wirklich menschlichen Kultur. Es gibt die Risiken der Ausnutzung und des Egoismus. Aber gerade auf dem Hintergrund der Zuwendung Gottes besteht gar kein Grund zu Pessimismus. Selbst dort, wo die Liebe Umwege geht, ist sie Heimat einer einzigartigen Erfüllung und des Glücks.“