„GlobMapLab“: Ein Interview mit Prof. Dr. Susanne Rau über das Virtuelle Kartenlabor der Uni Erfurt

Einblicke
Screenshot GlobMapLab

Mit der 2003 durch den Freistaat Thüringen mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder erworbenen Sammlung Perthes Gotha bewahrt und erforscht die Universität Erfurt in der Forschungsbibliothek Gotha eine herausragende Quelle zur Geschichte und Formierung der Raumwissenschaften des 19. und 20. Jahrhunderts, ihrer Instrumente und Medien. Die Sammlung überliefert nicht nur kartografische Materialien und geografisch-kartografische Literatur, sondern in einem großen Umfang auch Archivalien, die das Unternehmensumfeld und die Herstellungsprozesse der vom Gothaer Verlagshaus Justus Perthes veröffentlichten Karten und Atlanten erhellen, von der Datenerhebung und Quellenauswertung über den Kartenentwurf bis hin zum fertigen Endprodukt – der gedruckten Karte. Künftig könnte der Zugriff auf die Karten nicht mehr nur vor Ort, am zweiten Standort der Forschungsbibliothek Gotha im Perthes Forum, sondern über das Global Map Laboratory, kurz GlobMapLab, auch online in aller Welt möglich sein. Das „Virtuelle Kartenlabor“ eröffnet neue Möglichkeiten der Handhabung und Analyse des Kartenmaterials – nicht nur für Forscher, sondern auch für die interessierte Öffentlichkeit. „WortMelder“ sprach mit der Historikerin und Vizepräsidentin für Forschung an der Universität Erfurt, Prof. Dr. Susanne Rau, über das Projekt.

Frau Professor Rau, was genau kann das „GlobMapLab“, sprich: welche Funktionen hat es?
Im Kartenlabor können Nutzer Karten suchen und finden, vergleichen und analysieren. Dem Charakter der Sammlung entsprechend haben wir nicht nur Karten, sondern auch dazugehörige Archivalien wie Entwürfe, Notizen oder Korrespondenzen, teils auch publizierte Artikel zu einer Karte eingestellt. Wer eine Karte aufruft, kann diese im OSM- oder im DFG-Viewer betrachten und die entsprechenden Werkzeuge (Karten ein- und auszoomen, Transparenz regeln, verschieben) verwenden. Eine Vergleichsversion erlaubt es, sich ähnliche Karten – oder Karten aus unterschiedlichen Bearbeitungsstufen – auf dem Bildschirm nebeneinander aufzurufen und so zu vergleichen. Wie bei anderen virtuellen Umgebungen gibt es auch im Kartenlabor eine Anmeldefunktion, so dass sich die Nutzer über eine „History“ quasi ihre eigene Kartensammlung zum Arbeiten anlegen können.

Prof. Dr. Susanne Rau
Prof. Dr. Susanne Rau

Welchen Dienst erweist das Virtuelle Kartenlabor der Erforschung der Sammlung Perthes, den Forschern an der Universität Erfurt, vielleicht sogar weltweit?
Zunächst soll es überhaupt den Zugang zur Sammlung erleichtern, durch den Zugriff von außen wie auch die eingebaute Suchfunktion. Da es eine Weile dauern wird, bis die Karten der Sammlung Perthes digitalisiert sind (185.000 Einzelkarten), haben wir zunächst gar nicht an die große allgemeine Öffentlichkeit gedacht, sondern an Forschende an der Universität Erfurt bzw. am Standort Gotha oder an Kollegen, die mit uns kooperieren und deren Karten und Archivmaterialien im Rahmen ihrer Forschungsprojekte zugänglich gemacht werden sollen. So wurde etwa im Zusammenhang mit der Bearbeitung einer Fallstudie von Norman Henniges („Kartografie, Geologie und Bibelglaube: Die »exacte Schöpfungsgeschichte« des Hermann Habenicht (1844–1917) und die Ethik der Naturwissenschaften“) der Nachlass des Gothaer Kartografen Hermann Habenicht zum Ausgangspunkt genommen, um das ambivalente Verhältnis von Wissenschaft und religiöser Weltanschauung um 1900 aus der Perspektive einer Wissensgeschichte zu historisieren. Die ausgewerteten Korrespondenzen und Fertigungsstufen der Karten wurden digitalisiert und im Virtuellen Kartenlabor zugänglich gemacht. Wenn wir dies nun bei jedem Perthes-Forschungsprojekt, in dessen Rahmen Digitalisate angefertigt werden, machen, kommen wir sukzessive auch zu unserem Ziel, irgendwann einmal einen Großteil der Karten und der Kontextmaterialien der Sammlung im Netz zu haben. Nutzer sind außerdem schon jetzt die Studierenden des Master-Programms „Sammlungsbezogene Wissens- und Kulturgeschichte“, sofern sie eine kartografie-historische Veranstaltung besuchen.

Wer hat das „GlobMapLab“ entwickelt und welche Herausforderungen galt es, dabei zu meistern?
An der Entwicklung des Virtuellen Kartenlabors waren im Laufe der Jahre eine ganze Reihe von Personen beteiligt: Die Ursprungsidee hatte ich wohl selbst, da mir die Sammlung, als ich sie im Jahr 2010 kennenlernte, aufgrund der Räumlichkeiten und der geringen Personalausstattung schwer zugänglich erschien. Damals dachte ich mir, dass man der Problematik doch Abhilfe verschaffen könnte, indem man wenigstens einmal einen Teil dieses immensen Bestandes digitalisiert und so auch ortsungebunden zur Verfügung stellt. Wobei es mir auch von Vorteil erschien, digitalisierte Karten auf dem Bildschirm zu vergrößern (statt auf Papier zu betrachten). Gerade wenn man keine Möglichkeit hat, das Original zu betrachten, liegt die Chance von Digitalisaten ja darin, die großformatigen Karten in ihren realen Größen oder sogar noch weiter vergrößert zu betrachten und dadurch auch besser analysieren zu können. So richtig real aber konnte diese Idee erst werden, nachdem ich mich mit Dr. Petra Weigel, der wissenschaftlichen Referentin der Sammlung, und anderen Experten des Feldes beratschlagt hatte: Professor Dr. Andreas Dix, Professor für Historische Geografie in Bamberg, der mit der Sammlung auch schon gearbeitet hat, und Dr. Leif Scheuermann von der Universität Graz, der damals noch am Max-Weber-Kolleg forschte. Nachdem das Projekt vom TMBWK (der Vorgängerinstitution des TMWWDG) im Rahmen eines größeren Projektes mit wissenschaftlichen Fallstudien zur Sammlung Perthes bewilligt worden war, waren es freilich die Mitarbeiter des Projekts, die das Kartenlabor weiterentwickelt und mit Leben gefüllt haben. Dazu gehörten Dipl.-Inf. René Smolarski und Dr. Norman Henniges (als Projektmitarbeiter), Dr. Mike Eichhorn von der TU Ilmenau (als Betreuer eines Software-Projekts) sowie eine Reihe von Studierenden der TU Ilmenau: Heiko Tzschach (Datenbanken und Server), Stefano Da Ros und Alexander Noack (als Chefentwickler der Software) sowie Philipp Lange, Khanh Levan, David Jorzik, Lucas Pfoertner und Matthias Schwider (als Softwareentwickler). Ohne deren Unterstützung und die vielen Arbeitsstunden, die sie im Rahmen eines Studiengangsmoduls (System- und Software-Engineering) investiert haben, hätte das Projekt sicher nicht realisiert werden können. Zusammen mit den Projektmitarbeitern hat die Forschungsbibliothek Gotha das Material ausgesucht, die Scans durchgeführt, die Metadaten geschrieben und die Verknüpfung mit den Normdaten vorgenommen – dadurch also auch eine beträchtliche Eigenleistung eingebracht. Solch ein Projekt ist also immer ein Gemeinschaftsunternehmen. Schließlich soll es ja auch genutzt werden. Und deshalb ist man besser beraten, viele verschiedene Bedürfnisse einfließen zu lassen, statt nur die eigene Perspektive. Eine echte Herausforderung war es deshalb auch, die verschiedenen Personen (Forscher, Informatiker, Studierende) und Institutionen (FB Gotha, Uni Erfurt, TU Ilmenau, ThULB Jena) sowie Prozesse (von der Identifikation einer Karte bis zum Hochladen eines Digitalisats auf den Kartenserver über eine eigens entwickelte Nutzeroberfläche) in Einklang zu bringen. Und nun müssen wir noch dafür sorgen, dass das GlobMapLap am Leben gehalten, weiterentwickelt und in eine größere virtuelle Forschungsumgebung eingebunden wird.

Wer soll das Virtuelle Kartenlabor künftig nutzen und ab wann ist es zugänglich?
Nutzen soll es prinzipiell jeder können, das heißt nicht nur Historiker und Kartenspezialisten, sondern auch Studierende und eine interessierte Öffentlichkeit. Aber wie ich schon angedeutet habe, dies sollte im Idealfall schrittweise geschehen, weil wir im Moment ja nur mit einem minimalen Bestand anfangen können. Hinzu kommt, dass die jetzige Version des Virtuellen Kartenlabors erst einen – durchaus lauffähigen und funktionstüchtigen – „Prototypen“ der Plattform darstellt, die in den nächsten Jahren erst noch weiterentwickelt werden soll. Dabei ist auch eine Integration des GlobMapLab in eine übergeordnete digitale Infrastruktur Thüringens, die sich selbst noch im Aufbau befindet, geplant, welche wiederum mit Projekten auf Bundesebene oder auf der ganzen Welt vernetzt werden kann. Auf diesem Wege, also beispielsweise über die Einbindung in die Digitale Historische Bibliothek Erfurt/Gotha, die Deutsche Digitale Bibliothek, die Europeana etc., können unsere wertvollen Bestände erst richtig sichtbar gemacht werden. Doch auch jetzt schon kann und soll das Kartenlabor genutzt werden – nicht zuletzt, um Fehler, sogenannte Bugs, zu entdecken und um Wünsche, was die Plattform noch alles können sollte, um sich „Forschungsumgebung“ und „Lernumgebung“ nennen zu dürfen, zu äußern.

Technische Hintergründe zum Virtuellen Kartenlabor:
Das „Virtuelle Kartenlabor“ wurde auf der Grundlage von Open Source Softwarelösungen und -komponenten (Ubuntu, Laravel, OpenStreetMap, PostgreSQL etc.) sowie offener und etablierter Standards (METS/MODS, XML etc.) prototypisch umgesetzt. Die für die Implementierung und den nachhaltigen Betrieb des Kartenlabors notwendige technische Infrastruktur (Virtueller Server, Storage, Netzwerk etc.) wurde vom Universitätsrechen- und Medienzentrum der Universität Erfurt (URMZ) bereitgestellt und wird auch über die Projektlaufzeit hinaus von diesem betrieben. Die während der Projektlaufzeit entstandenen Digitalisate wurden zudem in den entsprechenden Bibliotheks- und Archivkatalogen (GBV, Kalliope etc.) sowie der Universal Multimedia Electronic Library (UrMEL) der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (Digitale Historische Bibliothek Erfurt/Gotha) verzeichnet. Im Rahmen des derzeit im Aufbau befindlichen Systems zur Langzeitarchivierung bibliothekarischer und archivalischer Bestände, welche die Universität Erfurt in Kooperation mit der ThULB durchführt, soll in Zukunft auch die langfristige Verfügbarkeit der Digitalisate gewährleistet werden.

Kontakt:

Professorin für Geschichte und Kulturen der Räume in der Neuzeit
(Historisches Seminar)
C18 - Lehrgebäude 4 / Raum 142