„Ich hatte das Gefühl, genau hier und jetzt am richtigen Ort zu sein“

Vorgestellt
Porträt Prof. Dr. Katharina Klöcker

Sie hat den Ruhrpott gegen die Mitte Deutschlands getauscht – die Ruhr-Universität Bochum gegen die Universität Erfurt, das Bergbaudenkmal gegen den Dom, das Bermudadreieck gegen das Lateinische Viertel, den VfL gegen den FC Rot-Weiß, die Currywurst gegen die Thüringer Bratwurst. Katharina Klöcker ist das neue Gesicht an der Katholisch-Theologischen Fakultät. Zum 1. März hat die 52-jährige gebürtige Freiburgerin hier die Professur für Moraltheologie übernommen. „Ker' wat schön!“, würde man wohl im Ruhrgebiet sagen. Auch wir freuen uns sehr und hätten da gleich mal ein paar Fragen…

Frau Prof. Klöcker, was hat Sie an der Professur in Erfurt gereizt?
Es mag vielleicht paradox klingen, aber besonders gereizt hat mich an der Professur in Erfurt, inmitten doch sehr stark säkularisierter gesellschaftlicher Kontexte Theologie zu treiben. Das ist eine große Herausforderung, der sich die Theologische Fakultät hier in Erfurt stellt. Insofern freue ich mich sehr, mich in diese Prozesse gemeinsamen Denkens, Lernens und Forschens einbringen zu können. Ich bin sehr gespannt darauf, wie sich hier mein eigenes theologisches Denken und Forschen weiterentwickelt.  Zweifellos stellt dieser säkularisierte Kontext vieles, was man andernorts vielleicht noch für selbstverständlich hält, in Frage. Das führt zu Verunsicherungen, die anstrengend sind, reflexartig würde man ihnen wohl lieber aus dem Weg gehen. Ich glaube aber, dass solche Verunsicherungen Bewegung auch in mein Denken bringen, es voranbringen und neu ausrichten. 

Vor diesem Hintergrund wird auch der Austausch mit anderen Wissenschaften, also die interdisziplinäre Zusammenarbeit, die für mich als Ethikerin sowieso schon eine große Bedeutung hat, in Erfurt noch einmal ein größeres Gewicht bekommen. Dass ich bereits eine Mail von einer Wissenschaftlerin auf dem Campus bekommen habe, die mit mir ins Gespräch kommen will, noch bevor ich die erste Bücher-Umzugskiste ausgepackt hatte, ist für mich ein sehr schönes Zeichen. Übrigens sind viele Kolleg*innen außerhalb Erfurts, mit denen ich in letzter Zeit Kontakt hatte, regelrecht ins Schwärmen geraten, wenn ich ihnen erzählt habe, dass ich nach Erfurt wechsle. Sie alle haben hier offenbar sehr gute Erfahrungen gemacht. 

Gereizt an Erfurt aber hat mich auch dies:

In einer Zeit, in der so vieles zu zerbrechen droht, bedeutet Theologie zu treiben auch und vor allem, nach tragfähigen Antworten auf die Frage zu suchen, was eine Gesellschaft zusammenhält, was Verbundenheit fördert, was Freiheit und Würde aller Menschen sichert. Ich glaube, dass die theologische Ethik in säkularen Gesellschaften hier etwas Wertvolles anbieten kann, aber nur dann, wenn sie die gegenwärtigen Konflikte immer auch als Katalysatoren für ihre eigenen Erkenntniswege versteht. 

Was das bedeutet, treibt mich als theologische Ethikerin in meiner Forschung sehr um. Ich setze darauf, dass Erfurt ein guter Ort dafür ist, die Unruhe im Denken, die dieses Ringen erzeugt, produktiv zu wenden. 

Kannten Sie Erfurt schon und wenn ja, gibt es etwas, das Sie an der Stadt besonders mögen?
Am Tag meines Bewerbungsvortrags war ich zum ersten Mal in Erfurt. Es war ein lauer Sommerabend und ich saß mit Blick auf die Krämerbrücke am Ufer der Gera, ein Straßenmusiker spielte, überall Menschen, die zusammensaßen, sich unterhielten, Wein tranken – es war eine wundervolle Stimmung. Ich hatte das Gefühl, genau hier und jetzt am richtigen Ort zu sein. Dieses Gefühl stellt sich immer mal wieder ein, wenn ich durch die Altstadt oder andere Stadtviertel streife. Wahrscheinlich trägt auch das familiäre Gedächtnis dazu bei: Die Wurzeln meiner Familie liegen im Osten, ich fühle mich hier nicht fremd, obwohl ich tief im Westen aufgewachsen bin. Was ich erhebend finde: den golden leuchtenden Domberg gegen den tiefblauen Nachthimmel. Was ich sehr mag: die gelassene Lebendigkeit der Stadt und die Stille in manchen Straßen und Gassen der Altstadt. 

Skizzieren Sie doch einmal kurz Ihren beruflichen Weg – wie wurden Sie die Professorin, die Sie heute sind?
Ich habe in Tübingen begonnen, katholische Theologie zu studieren und bin nach meinem Vordiplom für ein Jahr nach Paris gegangen. In Münster habe ich dann mein Diplom gemacht. Unmittelbar nach dem Studium hat mich mein Weg erst einmal aus der Wissenschaft heraus- und in die Welt des Journalismus hineingeführt. Nach einem zweijährigen Volontariat in Bonn, mit einer begleitenden Ausbildung an der katholischen Journalistenschule in München, habe ich als Redakteurin in einer Nachrichtenagentur gearbeitet.

Ich war sehr gern Journalistin, aber einem Lockruf aus der Wissenschaft, verbunden mit einem spannenden Stellenangebot, konnte ich dann doch nicht widerstehen. So wurde ich wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Münster am Seminar für Moraltheologie, promovierte dort und ging einige Jahre später als Juniorprofessorin an die Ruhr-Universität Bochum. Dort wurde ich 2021 auf die W2-Professur für Theologische Ethik berufen. 

Was interessiert Sie als Forscherin an ihrem Fachgebiet besonders und woran arbeiten Sie aktuell?
Der innere Motor meiner Forschung besteht darin, angesichts der durch den kirchlichen Missbrauchsskandal offenkundig gewordenen Krise christlicher Moral an Perspektiven ihrer Erneuerung zu arbeiten. Die Frage, wie christliche Ethik in säkularen Diskursen anschlussfähig sein bzw. werden kann, ist für mich zentral. Antworten darauf suche und erprobe ich in der Auseinandersetzung mit ganz konkreten gesellschaftlich relevanten Konfliktthemen. 

Ich denke einerseits darüber nach, welche Ressourcen das Christentum in diese Debatten einbringen kann, andererseits interessiert mich, wie ethische Brennpunkte unserer Zeit wiederum theologisch-ethische Erkenntnis verändern und befördern. Auf solchen Denkwegen bin ich als theologische Ethikerin unterwegs, mit dem Ziel, das Profil einer im Horizont des christlichen Glaubens stehenden pluralismusfähigen Ethik zu schärfen. 

Viele der konkreten ethischen Themenstellungen, die ich zurzeit bearbeite, lassen sich mindestens einer dieser drei gesellschaftlichen Entwicklungen zuordnen: der Algorithmisierung, der Genetisierung oder der Medikalisierung. So starten wir zum Beispiel im kommenden Jahr an meiner Professur mit einem DFG-Projekt mit dem Titel: „Wi(e)der die Moralisierung von Krankheit – Ein theologisch-ethischer Beitrag zu einer Ethik der Prävention im postgenomischen Zeitalter“.

Gibt es eine Person, die Sie in Ihrer beruflichen Laufbahn besonders geprägt oder inspiriert hat? Und wenn ja: Wer und warum?
Die Frage führt mich weit zurück. Ich wäre heute nicht hier auf dieser Professur, wenn ich nicht 1998 in einer Diplomprüfung eine für mein Leben weichenstellende Erfahrung gemacht hätte. In dieser Zeit lag ein Mensch, der mir sehr viel bedeutete, im Sterben. In der mündlichen Prüfung in Moraltheologie sollte ich das Erlernte zum Thema Sterbehilfe darlegen. Es war für mich ein sehr schwieriger Moment, eine sehr herausfordernde Prüfungssituation. Der Moraltheologe Antonio Autiero, der damals den Lehrstuhl in Münster innehatte, bot mir nach dieser Prüfung eine Stelle als studentische Hilfskraft an, später war ich dann viele Jahre wissenschaftliche Mitarbeiterin bei ihm. Ohne diese Prüfung, aber vor allem ohne die Begegnung mit ihm und seiner menschenfreundlichen Moral hätte ich wohl niemals in Erwägung gezogen, Moraltheologin zu werden. 

Was werden Themen in Ihren Lehrveranstaltungen sein?
Bei meinen Studierenden Begeisterung für das Fach und ein Gespür für aktuelle Problemzusammenhänge zu wecken, sie sprachfähig zu machen und darin zu unterstützen, eigene Problemlösungskompetenzen und ethische Urteilskraft auszubilden, ist mir in allen meinen Veranstaltungen ein Herzensanliegen. So biete ich Seminare und Vorlesungen etwa zu aktuellen bioethischen Fragen an, aber auch im fundamentalethischen Bereich arbeite ich gemeinsam mit Studierenden an wichtigen Fragen, wie diesen: Welche Relevanz hat der Glaube für das Handeln? Welche Rolle spielt die Bibel für die Ethik? Im Studium Fundamentale biete ich in meinem ersten Erfurter Semester ein Seminar gemeinsam mit einer Expertin aus der Wissenschaftskommunikation zur Ethik in der Öffentlichkeit an. Was zur Lehre in der Moraltheologie dazugehört: Einsatz unterschiedlicher Lehr-Lern-Konzepte, Förderung eines eigenständigen projektorientierten Forschens, aber auch Exkursionen zu außeruniversitären Lernorten und Einladung von Expert*innen aus der Praxis in Lehrveranstaltungen.

Und was machen Sie, wenn Sie gerade nicht Professorin sind?
Ich verbringe sehr gern Zeit mit meiner Familie. Unsere Kinder sind mittlerweile allerdings in einem Alter, in dem sie wiederum nicht unbedingt auch immer gern Zeit mit ihren Eltern verbringen wollen. Aber wir bleiben dran. Ansonsten gibt es für mich eigentlich keinen schöneren Zeitvertreib als mit Freund*innen zusammen zu sein, zu reden, gemeinsam zu essen oder etwas zu feiern. Was ich sonst noch gern mache: Konzerte und Ausstellungen besuchen, reisen, im Chor singen, im Regen schwimmen, spazieren und lesen, lesen, lesen. 

Wir freuen uns auf die neue Kollegin und sagen: Herzlich willkommen in Erfurt, Prof. Dr. Katharina Klöcker!

Kontakt:

Katharina Klöcker
Prof. Dr. Katharina Klöcker
Inhaberin Professur für Moraltheologie
(Katholisch-Theologische Fakultät)
C14 – Mitarbeitergebäude 3 / Villa Martin, Raum E10 - Schwarzburger Str. 121
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