"Ich glaube, die machen jetzt eine andere Lehre als vorher"

Druckfrisch , Einblicke
Schriftzug "Learning"

„Design your Education!“ – so lautet der Titel des neuen Buches, das Sandra Tänzer, Marcus Berger, Isabell Tucholka und Gerd Mannhaupt von der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt soeben veröffentlicht haben. Es setzt zugleich einen formalen Schlusspunkt unter das Teilprojekt „Hochschullernwerkstatt“ des bis Ende 2023 vom BMBF geförderten Qualiteach-Projekts an der Universität. Das Buch präsentiert Konzepte, Erfahrungen und Anregungen von Lehrerbildner*innen für das Lehren und Lernen in einer Hochschullernwerkstatt, das sich an den Prinzipien erfahrungsorientierten und situierten Lernens orientiert sowie für die ästhetische und die materielle Dimension von Bildungsprozessen sensibilisiert. Im „WortMelder“ blicken wir gemeinsam mit den Projektbeteiligten zurück und fragen: Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Projekt? Was ist jetzt anders als vorher? Und vor allem: Was bleibt?

Im Audimax-Gebäude direkt am Haupteingang der Universität Erfurt liegt sie, die Hochschullernwerkstatt. Hier werden vielfältige Lehr-Lern-Formate angeboten: Lernwerkstattseminare aus verschiedenen Fachbereichen und Didaktiken finden an den Vormittagen statt. Sie sind curricular verankert und im Vorlesungsverzeichnis der Universität als reguläre Lehrveranstaltungen ausgewiesen. Informelle Formate wie Workshops, Filmabende, Projekte von Studierenden für Studierende finden an Nachmittagen, Abenden oder Wochenenden statt. Und während der freien Öffnungszeiten (i.d.R. montags bis donnerstags zwischen 14 und 18 Uhr) können Lehramtsstudierende dort selbstständig lernen. Die Hochschullernwerkstatt versteht sich dabei als Ort der Kooperation zwischen den Phasen der Lehrer*innenbildung (Studium, Referendariat und Fortbildung). Studierende sollen Möglichkeiten erhalten, kreativ und kollaborativ berufsbezogene Problemstellungen zu bearbeiten und sich mit Fragen des Lehrens und Lernens auseinanderzusetzen.

Ab dem Sommersemester 2020 gab es unter dem Titel „Design your Education“ für Kolleg*innen, die an der Universität Erfurt künftige Lehrer*innen ausbilden, die Möglichkeit, an einer mehrsemestrigen hochschuldidaktischen Fortbildung zum Lehren und Lernen in solchen Werkstätten teilzunehmen. Die Fortbildung zielte darauf ab, spezifische Kompetenzen von Lehrenden im Kontext des Werkstattlernens auszubilden und zugleich entsprechende hochschuldidaktische Konzepte für die jeweiligen Studienbereiche der Lehrerbildung zu entwickeln.

„Als Projektleiterin hat mich immer wieder beeindruckt, wie hoch die Motivation der Kolleg*innen war, die eigene Lehre zum Thema zu machen, Zeit zum Durchdenken der eigenen Lehre zu haben, sich auszutauschen, sich auszuprobieren ohne Druck und mit der Möglichkeit des Reflektierens“, sagt Sandra Tänzer, Professorin für Pädagogik und Didaktik des Sachunterrichts und Leiterin des QUALITEACH-Teilprojekts, im Rückblick. Es habe sich gezeigt, welche Bedeutung die Hochschullernwerkstatt auf systemischer Ebene habe, indem sie Menschen mit gleichen oder ähnlichen Werthaltungen zusammenbringe, und wie sie zugleich als Akteurin hochschuldidaktischer Entwicklung agieren könne. Für Lea Kallenbach, die Leiterin der Lernwerkstatt an der Uni Erfurt, ist im Projekt mit der Fortbildung das zentrale Problem des fehlenden Freiraums für die Weiterentwicklung der eigenen Lehre gelöst worden, indem einzelne Lehrende hier Raum und die Zeit gefunden haben, ganz konzentriert, theoriegeleitet und im Austausch mit Kolleg*innen an einer Lehrveranstaltung zu arbeiten und diese weiterzuentwickeln. „Ich sehe heute, dass die Lernwerkstatt systematisch als Impulsgeberin einer innovativen Hochschuldidaktik wirken und so hoffentlich einen nachhaltigen Beitrag zu einer Veränderung von Lernkulturen an der Uni Erfurt leisten kann.“

Das Projektteam ist sich einig: Im Rahmen der Fortbildung wurden nicht nur neue Seminarkonzepte erarbeitet und der kollegiale Austausch über die Lehre gefördert. Sie hat auch insgesamt den Blick der beteiligten Lehrenden auf ihre eigene Rolle verändert und sie zugleich ermutigt, ihre Lehrveranstaltungen zu verändern und weiterzuentwickeln – bei allen Herausforderungen, vor die sie sich beispielsweise auch durch die Widersprüche zwischen curricularen Vorgaben und dem eher freien Ansatz des Lehrens und Lernens in der Lernwerkstatt gestellt sehen. Umso wichtiger ist aus Sicht von Sandra Tänzer, dass die Arbeit mit all ihren Ergebnissen nun dauerhaft an der Universität Erfurt verankert wird, um nachhaltig wirken zu können, sich also Strukturen vor Ort verändern, das Neue zur Selbstverständlichkeit wird, dass die Befunde aus dem Projekt im wissenschaftlichen und explizit auch im hochschuldidaktischen Diskurs sichtbar werden und darüber hinaus kritisch diskutiert und weitergedacht werden können.

Marcus Berger gibt als Hochschuldidaktiker dabei jedoch zu bedenken, dass, wenngleich zentrale Ideen aus der Lernwerkstatt in das Konzept der hochschuldidaktischen Basiszertifizierung übertragen wurden, auch die Rahmenbedingungen berücksichtigt werden müssten, unter denen im Projekt gearbeitet werden konnte, beispielsweise die Reduktion des Lehrdeputats der Beteiligten. „Wenn ich mir anschaue, wer in der Regel an der Universität Erfurt an hochschuldidaktischen Qualifizierungen teilnimmt, ist das nur ein kleiner Teil der Lehrenden. Und selbst diese Lehrenden tun sich mitunter schwer, weil ihnen im Lehr- und Forschungsalltag schlicht die Zeit zur Qualifizierung fehlt.“

Es geht nicht zuletzt darum, das Potenzial, das in unseren Erkenntnissen steckt, bestmöglich für viele andere Kolleg*innen nutzbar zu machen. Da sehe ich tatsächlich die Organisation Hochschule in der Verantwortung.“

Erste mögliche Schritte, die Erkenntnisse aus dem Projekt für möglichst viele Kolleg*innen fruchtbar zu machen, sieht das Team der Lernwerkstatt darin, die Befunde aus dem Projekt auf Fachtagungen vorzustellen und sie in entsprechende Angebote, z.B. Workshops, für die Hochschullehrenden an der Uni Erfurt zu transformieren. Zudem sei es wünschenswert, dass die während der Projektlaufzeit entstandene professionelle Lerngemeinschaft ganz im Sinne einer „Community of Practice“ weiterhin regelmäßig zusammenkomme, um sich über neue Erfahrungen und Erkenntnisse aus unserer Lehre auszutauschen. „Mit unserer Lernwerkstatt-AG haben wir hier ja auch schon eine solche Gruppe“, sagt Lea Kallenbach. „Wir müssen nun intensiv darüber nachdenken, wie sie sich weiter öffnen kann.“ „Aber genau an der Stelle sind wir wieder beim Schlüsselfaktor Zeit“, wirft Marcus Berger ein. „Wir sollten uns anschauen, wie das andere große Organisationen machen. Manche haben den Ansatz, ihren Mitarbeitenden bestimmte Zeitbudgets oder -räume für die Weiterbildung zur Verfügung zu stellen. Es ist dann Teil der Arbeitsbeschreibung, dass die Mitarbeitenden ihre Fortbildung selbst in die Hand nehmen dürfen und entsprechend Zeit dafür eingeräumt wird. Denn am Ende ist das ja eine Investition nicht nur in die persönliche Entwicklung, sondern auch in die der gesamten Institution.“ Deshalb möchte das Projektteam die AG Lernwerkstatt auch als niedrigschwelligen und offenen Raum, in dem sich alle Lehrenden austauschen können, auf jeden Fall weiterführen – als flankierendes Element, innerhalb dessen man Erkenntnisse und Erfahrungen aus den hochschuldidaktischen Workshops diskutiert.

Aber was genau hat sich für die Beteiligten persönlich verändert, wollen wir wissen. Sandra Tänzer muss nicht lange überlegen: „Ich habe beispielsweise ein neues Seminar konzipiert, das mir viel Freude macht und von den Studierenden sehr positiv evaluiert wurde. Ich habe dank dieses Seminars wieder erleben dürfen, wie erfüllend und fruchtbar Teamteaching sein kann mit all den damit einhergehenden Impulsen, Reflexionsanlässen und dem Austausch. Gerade in der Vernetzung zweier verschiedener lehramtsbezogener Disziplinen liegt ein großes Potenzial für die Seminararbeit an berufsrelevanten Fragestellungen und für die Auseinandersetzung mit Aspekten des konkreten Umgangs mit Handlungsanforderungen der Praxis. Zudem sind wir als Kolleg*innen zusammengerückt – das ist sicher wertvoll, wenn es um gemeinsam zu verantwortende Arbeitsaufgaben geht. Und ich habe natürlich mein Wissen und Können erweitert und persönliche Einstellungen reflektiert. Für die Uni insgesamt würde ich sagen, dass heute noch mehr Dozierende die Lernwerkstatt kennen und als Lehr-Lern-Umgebung schätzen, sie sich also weiter etabliert hat und hier auf dem Campus gar nicht mehr wegzudenken ist. Nicht nur, dass sie mehr Dozierende kennen und Lehre dort machen. Wir haben durch die qualitative Evaluationsforschung auch Erkenntnisse gewonnen, die den wissenschaftlichen Diskurs bereichern.“

Und Lea Kallenbach ergänzt: „Was ich sehr wertschätze und was vermutlich aus unserer Fortbildung hervorging, ist der feste Kreis an Lehrenden an unserer Uni, die nach Lernwerkstattprinzipien lehren und die Lernwerkstattarbeit damit unglaublich bereichern. Ich weiß, dass die Seminare in der Lernwerkstatt für die Studierenden und die Lernwerkstatt selbst ein großer Gewinn sind. Das nehme ich auch nachmittags wahr, wenn freie Öffnungszeiten sind und Studierende aus eben genau diesen Seminaren in ihrer Freizeit erneut kommen, sich Materialien nehmen und ganz eigenaktiv arbeiten oder Fragen stellen. Wenn ich mit diesen Studierenden ins Gespräch komme, erzählen sie auch, dass sie nicht an konkreten Seminaraufträgen arbeiten, sondern aus freiem Interesse da sind und an Seminarinhalten weiterarbeiten. Das empfinde ich als großen Gewinn.“

Marcus Berger indes verbucht auf der „Habenseite“ ein fertiges, neues Fortbildungskonzept, das auch untersucht und begleitet wurde. Nicht zuletzt seien für verschiedene Fachdidaktiken neue Lehr- und Lernkonzepte entstanden, die nun weitergeführt werden. „Und es ist vor allem ein Plus, dass mit den Menschen, die am Projekt bzw. der Fortbildung teilgenommen haben, etwas passiert ist. Ich glaube, sie machen jetzt eine andere Lehre als vorher. Ich finde es wichtig, dass wir damit einen Impact geleistet haben, und ich freue mich einfach sehr darüber.“

Sandra Tänzer, Marcus Berger, Isabell Tucholka und Gerd Mannhaupt (Hrsg.)
Design your Education!
Verlag: Beltz Juventa, 2024
ISBN: 78-3-7799-7497-0 
259 Seiten
38 EUR