Forschungsbibliothek Gotha startet Portal für digitale Ausstellungen

Vorgestellt
Screenshot DAG

Als Museen und Ausstellungen während der Corona-Pandemie nahezu weltweit geschlossen blieben, konnte beobachtet werden, wie sich ein bereits zuvor aufkommender Trend rasant beschleunigte: die digitale Präsentation von Sammlungs- und Ausstellungsobjekten. Schon seit Jahren denken Institutionen darüber nach, wie man sich den sich immer weiterentwickelnden Rezeptions- und Mediennutzungsgewohnheiten der Menschen anpassen und gleichzeitig den vielen Stücken, die sonst größtenteils in Depots und Magazinen schlummern, gerecht werden kann. Dann, mit der Pandemie, war für die meisten Einrichtungen klar: Wenn nicht jetzt, wann dann? Auch die Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt mit ihrer Sonderstellung zwischen Wissenschafts-, Bildungs- und Kultureinrichtung arbeitet bereits seit einigen Jahren an einer Digitalisierungsstrategie – und die beinhaltet auch eine digitale Präsentation ihrer Bestände. Nun ist ihr Portal „Digitale Ausstellungen Gotha“ (DAG) mit der Schau „Hilaria Evangelica“ online gegangen.

Dr. Hendrikje Carius
Dr. Hendrikje Carius

Viel Arbeit und viel Herzblut steckt in dem Ausstellungsportal – und: viel Geduld. Denn von der Idee bis hin zur Realisierung sind einige Jahre vergangen. „Bereits im Infrastrukturprojekt ‚Studienstätte Protestantismus‘, das 2011 startete, hatten wir uns vorgenommen, die Gothaer Sammlungen stärker sichtbar zu machen und Highlights daraus auch online zu präsentieren. Und zwar irgendwann auch im Verbund mit anderen Gothaer Einrichtungen wie der Stiftung Schloss Friedenstein oder dem Staatsarchiv Gotha“, erinnert sich Hendrikje Carius, Leiterin der Abteilung Benutzung und Digitale Bibliothek der Forschungsbibliothek Gotha. Doch bevor an eine thematische Verknüpfung und Bündelung von Sammlungen im Digitalen zu denken war, musste erst einmal eine eigene Digitalstrategie her, die als Teil der sammlungsbezogenen Forschung an der Bibliothek über eine bloße Image-Digitalisierung hinausgeht. Denn um die Frage zu beantworten, wie man Sammlungen online eigentlich präsentieren und der Forschung sowie der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen möchte, müssen Digitalisate kontextualisiert, verschiedene Nachnutzungsszenarien durchgespielt und die Ebene der Vermittlung und Wissenschaftskommunikation betrachtet werden. Erst dann können Ideen in ein Konzept gegossen und kann mit den technischen Entwicklungsphasen für die digitale Lösung begonnen werden. Für die Forschungsbibliothek war das ein langer und intensiver Prozess, in dem sie sich auch mit zahlreichen Akteuren aus den Bereichen Ausstellung, Museum und Bibliothek austauschte und den sie gleichzeitig anhand einer Sammlung modellhaft durchexerzierte – von der Erschließung, Erforschung, Restaurierung, über Kooperation und Vernetzung bis hin zur Präsentation im physischen und digitalen Raum. „Die Pandemie hat auch unserem Vorhaben noch einmal einen kräftigen Schub gegeben. Und nun ist es uns mit dem Ausstellungsportal gelungen, eine Schnittstelle zwischen der Digitalisierung von Objekten und Sammlungen, deren Kontextualisierung hin zu forschungsnahen Infrastrukturen und zur Vermittlung in die Gesellschaft zu schaffen“, sagt die Expertin für Digital Humanities.

Als Pilotprojekt für das DAG fiel die Wahl auf die Präsentation der sogenannten „Hilaria Evangelica“ (evangelische Festtage) – ein monumentaler Druck, der die Feierlichkeiten des 200. Reformationsjubiläums 1717 dokumentiert und 1719 vom Gothaer Kirchenrat und Bibliotheksdirektor Ernst Salomon Cyprian (1673–1745) herausgegeben wurde. Das Werk ist in vielerlei Hinsicht eine spannende Wahl: Es ist einerseits von großem wissenschaftlichen Wert, andererseits ist seine öffentliche Präsentation gleichzeitig auch ein Nachhall auf die – von hohem öffentlichen Interesse begleitete – Reformationsdekade sowie ein Beitrag zu den noch anstehenden Anlässen zum Reformationsgedenken. Zudem vereint das Werk Gothaer Sammlungen verschiedener Standorte: Der Druck selbst sowie mehrere Korrespondenzbände Cyprians zur Entstehungsgeschichte der „Hilaria“ sind im Bestand der Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt. Die original handschriftliche Sammlung mit Briefen, Predigten, Liedern etc., die eigens für das Reformationsjubiläum 1717 an verschiedenen Orten Europas entstanden sind und die Cyprian und seine Leipziger Verleger zur Erstellung seines Bandes angefordert hatten, befinden sich heute in den Beständen des Staatsarchivs Gotha (18 Bände) und des Augustinerklosters (ein Band). Und wie sich im Zuge der Arbeit mit der Sammlung herausstellte, werden fast alle Münzen und Medaillen, die in der „Hilaria“ abgebildet sind, noch heute von der Stiftung Schloss Friedenstein bewahrt. Eine einrichtungsübergreifende Gothaer Sammlung vereint sich also in den „Hilaria Evangelica“ – und nun auch in deren digitaler Präsentation. Erarbeitet wurde sie von Dr. Daniel Gehrt, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsbibliothek Gotha im Bereich der Handschriftenerschließung und der wissenschaftlichen Transferleistungen. Im Rahmen eines von der DFG geförderten Forschungsprojektes hat der Reformationsexperte den Nachlass von Ernst Salomon Cyprian erschlossen und ist dabei auf die einmalige und nahezu unbekannte Sammlung rund um die „Hilaria“ gestoßen. Als seine Kollegin Hendrikje Carius zur gleichen Zeit ein passendes Pilotthema für die Ausstellungsplattform suchte, lag die „Hilaria“ auf der Hand. Für Daniel Gehrt war es eine Premiere, eine Ausstellung eigens für den digitalen Raum zu planen. „Zunächst bin ich aber so vorgegangen, als würde ich eine physische Ausstellung planen“, sagt der Kurator. „Ohne auf die Objekte zu schauen, habe ich mir erst einmal überlegt, was ich zeigen und vermitteln möchte. Daraufhin habe ich ein inhaltliches Konzept erarbeitet und erst dann geschaut, welche Stücke aus der Sammlung wir online präsentieren können, um den Inhalt zu unterstützen.“ Zu den Herausforderungen, denen Daniel Gehrt dabei gegenüberstand, gehörten die etwas schwere Vermittelbarkeit und die Textlastigkeit des Themas, aber auch die Gleichzeitigkeit der technischen Entwicklung. „Wir versuchen ja auch für unsere Ausstellungen hier vor Ort immer allgemeinverständliche Texte zu verfassen und viel Bildmaterial zu zeigen. Das habe ich auch hier mit der Unterstützung meiner Kolleg*innen versucht. Insofern war die Arbeit an der Online-Ausstellung erst einmal ähnlich. Aber anders konnte ich auch gar nicht vorgehen, da die technische Entwicklung parallel lief und ich bei der Erarbeitung noch gar nicht so richtig wusste, wie was letztlich aussehen und was alles möglich sein wird.“ Hendrikje Carius stimmt zu: „Es war ein großes Unterfangen, beides gleichzeitig anzugehen und einen Workflow für diesen Prozess aufzubauen. Im Idealfall arbeiten Kuratoren, Gestalter und Entwickler für ein einzelnes Projekt eng zusammen. Aber hier wollten wir etwas Nachhaltiges schaffen, eine Technik, die nicht nur auf ein einzelnes Projekt angepasst wird, sondern auch für noch kommende Ausstellungen infrage kommt. Natürlich kann man bestimmte Anpassungen vornehmen, aber wir wollten einen allgemeinen technischen Rahmen geschaffen, der für eine Reihe verschiedener Projekte passt.“ Diese Projekte sollen gern auch von externen Einrichtungen kommen. Denn Ziel der Forschungsbibliothek Gotha ist es, das DAG in das – ebenfalls von der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek gehostete – „kulthura. Digitales Kultur- und Wissensportal Thüringens“ technisch einzugliedern, um so auch anderen Thüringer Einrichtungen, ob Museum, Archiv oder Bibliothek, die Nutzung zu ermöglichen. „Die Form folgt hier deshalb nicht dem Inhalt, sondern wir haben mit den Entwicklern die Form geschaffen und der Kurator schaut, wie er die vorhandenen Gestaltungsspielräume für sein Projekt nutzen kann“, sagt Carius.

Dr. Daniel Gehrt
Dr. Daniel Gehrt

So wird auch Daniel Gehrt bei seiner nächsten Ausstellung auf der DAG vorgehen. Jetzt, wo die Plattform steht, weiß er, wie er mit Texten spielen kann und welche Möglichkeiten sich bei der Darstellung seiner Inhalte noch bieten. Schon im Herbst soll „Mit Schwert und Degen. Zweikampf in historischen Fechtbüchern“ online gehen. Weitere Ausstellungen sind bereits in der Planung, auch von externen Einrichtungen, die den Mehrwert von Online-Ausstellungen erkannt haben. „Mit der digitalen Präsentation von Sammlungen können wir orts- und zeitunabhängig viel mehr Menschen erreichen, als das mit einer physischen Ausstellung der Fall wäre. Zusammenhänge können anders hergestellt und sichtbar gemacht und Inhalte global vernetzt werden. Im digitalen Raum kann etwas zusammengeführt werden, was physisch gar nicht oder schwieriger zusammenführbar wäre. Das zeigt sich auch schön an der ‚Hilaria‘-Sammlung. Und es ist einfach unsere Aufgabe als Forschungsbibliothek, Interessierten auf diesem Wege einen kuratierten Zugang zu unseren Sammlungen zu ermöglichen“, betont Hendrikje Carius. „Natürlich gibt es auch Nachteile, das fehlende soziale Ereignis allen voran. Auch die Frage nach Interaktion und Partizipation steht oft im Raum. Aber wir sind ja noch am Anfang. Das Portal ist generisch angelegt, es wächst und entwickelt sich – und wir mit ihm. Es gibt unwahrscheinlich viele Möglichkeiten und wir bleiben auf jeden Fall dran.“

Das Ausstellungsportal der Forschungsbibliothek Gotha erreichen Sie über den Link:

http://digital-fb-gotha.de/ausstellungen

Ansprechpartner/in:

Stellv. Direktorin der Forschungsbibliothek Gotha / Leiterin der Abteilung Benutzung und Digitale Bibliothek
(Forschungsbibliothek Gotha)
Forschungsbibliothek Gotha (Gotha, Schlossplatz 1)
Wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Erschließung frühneuzeitlicher Handschriften
(Forschungsbibliothek Gotha)
Forschungsbibliothek Gotha (Gotha, Schlossplatz 1)