Digitale Medien sind in unserem Alltag längst selbstverständlich. Sie bieten vielfältige Möglichkeiten der sozialen Kommunikation, Information und Vernetzung. Zugleich beeinflussen sie die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, die familiären Beziehungen, ja, nicht selten das gesamte Familienleben. Aber die digitale Welt bietet nicht nur Chancen, sondern auch Gefahren für ein gesundes Aufwachsen von Kindern, zum Beispiel dort, wo diese Gewalt, Hass und Hetze, sexuelle Belästigung und Mobbing ausgesetzt sind. Das Thema digitale Kinderrechte steht nun im Mittelpunkt des 14. Kinderschutzforums, das vom 4. bis 5. September 2023 in Hannover stattfindet. „WortMelder“ hat im Vorfeld mit Daniel Hajok, Honorarprofessor am Seminar für Medien- und Kommunikationwissenschaft der Universität Erfurt, gesprochen. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit dem Medienumgang von Kindern und Jugendlichen bringt eine mehr als 25-jährige Expertise im Bereich des gesetzlichen und erzieherischen Kinder- und Jugendmedienschutzes mit.
Professor Hajok, seit wann ist der Schutz von Kindern und Jugendlichen im digitalen Raum gesetzlich verankert, wie ist das entstanden?
Nun ja, der Schutz von Kindern und Jugendlichen explizit im digitalen Raum ist hierzulande eigentlich noch gar nicht gesetzlich verankert. Das, was wir haben, sind die (spezial-)gesetzlichen Bestimmungen zum Kinder- und Jugendmedienschutz, das Jugendschutzgesetz (JuSchG) und den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV), beide am 1. April 2003 in Kraft getreten. Sie sind zwischenzeitlich eher behäbig an die neuen Herausforderungen der digitalen Welt angepasst worden. Wichtig hier zum Beispiel die Verankerung des erzieherischen Schutzes sowie die Berücksichtigung von Nutzungs- und Interaktionsrisiken in der Neufassung des JuSchG von 2021. Von besonderer Bedeutung ist das, was heute aus der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) von 1989 abgleitet wird. Begrifflich noch etwas unscharf gefasst, war das Recht von Kindern und Jugendlichen auf altersangemessene Medienzugänge ja schon in der UN-KRK Ursprungsfassung verankert. Mit der 2016 vom Europarat verabschiedeten „Sofia-Initiative“ und den 2018 ausgegebenen Empfehlungen für die EU-Mitgliedsstaaten sind die Rechte dann endlich für digitalen Raum konkretisiert worden. Man spricht deshalb auch von digitalen Kinderrechten, die in den Mitgliedsstaaten nun sukzessive umzusetzen sind.
Und wozu genau verpflichten uns diese digitalen Kinderrechte?
Die in den Empfehlungen versammelten Leitlinien verdichten sich letztlich zu einem ‚Grundrecht‘ von Kindern und Jugendlichen auf eine unbeschwerte Teilhabe im digitalen Raum. Damit werden die Rechte junger Menschen auf Zugang und Teilhabe, Schutz und Sicherheit sowie Bildung und Förderung im Gesamtzusammenhang gedacht. Die besondere Relevanz liegt darin, dass – egal in welchem pädagogischen oder erzieherischen Kontexten auch immer – Kindern und Jugendlichen diskriminierungsfrei gleichberechtigte und altersangemessene Zugänge zur digitalen Welt zu offerieren sind. Insbesondere müssen die zur Verfügung gestellten Medienzugänge junger Menschen auch digitale Teilhabemöglichkeiten und Angebote zur Medienkompetenzförderung beinhalten. Die bisher prägenden Maßnahmen des restriktiv-bewahrenden Fremdschutzes, die sich im digitalen Raum nicht mehr ohne Weiteres umsetzen lassen, müssen um präventiv-befähigende Maßnahmen ergänzt werden, mit denen junge Menschen zu einem ‚gesunden‘ Selbstschutz befähigt werden. Kinder und Jugendliche müssen also frühzeitig dafür gestärkt werden, digitale Risiken frühzeitig selbst zu erkennen und angemessene Umgangsweisen und Bewältigungsstrategien zu entwickeln.
Das fordert die Eltern ebenso wie pädagogische Fachkräfte. Wie gut sind wir dahingehend in Deutschland aufgestellt?
Nicht allzu gut. In der Schule, die ja noch immer der einzige Ort ist, an dem man alle Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter erreicht, fehlt es noch immer an einer systematischen Berücksichtigung eines Lernens über Medien, insbesondere was die Chancen und Risiken in der digitalen Welt für die Sozialisation und Entwicklung junger Menschen anbetrifft. Der Fokus schulischer Medienbildung liegt noch immer auf einem Lernen mit Medien als didaktische Mittel lehrender oder Lernwerkzeuge Lernender. Es fehlt nach wie vor an einer Medienkompetenzförderung im ganzheitlichen Sinne.
Schon lange bekannt sind auch die vielfältigen Belastungen von Eltern bei der familiären Erziehung, bei der eine angemessene diskursiv-begleitende Medienerziehung regelmäßig ‚hinten runter fällt‘. Über die Smartphones, Tablets, Spielkonsolen etc. haben bereits Kinder Zugang zur digitalen Welt. Mit neun, spätestens zehn Jahren haben die meisten ein eigenes Smartphone und sind damit schon weitgehend autonom in der digitalen Welt unterwegs. Nur die wenigsten sind dabei klaren zeitlichen und inhaltlichen Regeln unterworfen – und wenn, mangelt es an Kontrolle und Durchsetzung. Auch Gespräche über positive wie negative Medienerfahrungen, technische Schutzinstrumente und gemeinsame Medienaktivitäten sind in der familiären Erziehung eher Mangelware.
Aber wie eingangs schon erwähnt, wächst die Zahl der Angebote und Möglichkeiten beinahe täglich – schon als Erwachsener kommt man kaum hinterher, wie soll man da Kindern zeitgleich die notwendigen Kompetenzen vermitteln?
Nun, allein die Vorstellung, man könne die notwendigen Kompetenzen für eine souveräne Lebensführung in der digitalen Welt ‚vermitteln‘, läuft etwas ins Leere. Medienkompetenz ist etwas, das junge Menschen am besten im tatsächlichen Umgang mit Medien erlernen. Wir reden ja hier von einem Lernen im selbsttätigen Tun. Das heißt eben nicht, dass pädagogische Fachkräfte und Eltern beim Thema dann ‚draußen‘ sind, sondern vielmehr, dass sie jungen Menschen altersangemessene Medienzugänge ermöglichen und die wichtigen Learning-by-Doing-Prozesse damit gezielt fördern und angemessen begleiten.
Natürlich kommen Erwachsene angesichts der vielen dynamischen, oft explizit an junge Menschen adressierten digitalen Angebote kaum noch hinterher. Es kann aber auch gar nicht mehr darum gehen, dass Erziehende die digitalen Handlungs- und Erfahrungsräume von Kindern und Jugendlichen von sich aus durchdringen. Vielmehr müssen die Erziehenden offen sein für den Medienumgang junger Menschen. Sie sollten die jeweils ersten Schritte in die Medienwelt begleiten, sich die Dinge, die faszinieren, zeigen lassen und so auch davon erfahren, zu welchen Medienangeboten es die Heranwachsenden treibt. Daran orientiert sollten die Erziehenden dann auf die ‚offiziellen‘ pädagogischen Empfehlungen bauen, auf gut gemachte Medienerziehungsratgeber wie Schau-hin.info oder spezielle Unterstützungsangebote wie Flimmo.de für den Fernseh-/Streamingbereich und Spielbar.de für den Gamingbereich.
Sie sind im September beim Kinderschutzforum in Hannover dabei und werden auch einen Workshop für Fachleute anbieten. Welchen Input können Sie dort geben? Und was erhoffen Sie sich persönlich von der Veranstaltung?
Neben dem Einführungsvortrag zum veränderten Auf- und Heranwachsen in der digitalen Welt werde ich dort auch eine Workshop zu den digitalen Kinderrechten und ihrer Bedeutung für die Praxis anbieten. Dabei werde ich nicht nur für eine bloße Berücksichtigung der digitalen Rechte junger Menschen in allen pädagogischen und erzieherischen Setting ‚werben‘, sondern den eingangs skizzierten Gesamtzusammenhang die besondere Bedeutung einer unbeschwerten Teilhabe junger Menschen im digitalen Raum als zeitgemäßes Ziel pädagogischen Handelns nahebringen.
Der Input für die Teilnehmer*innen beschränkt sich also nicht auf Maßnahmen zu Schutz und Sicherheit, sondern eben auch auf die konkreten Möglichkeiten, wie Kindern und Jugendlichen altersangemessene Medienzugänge und digitale Teilhabechancen offeriert und welche Angebote zur Medienkompetenzförderung und Befähigung ihnen angeboten werden können. Von der Veranstaltung insgesamt erhoffe ich mir eine rege Teilnahme von pädagogischen Fachkräften und Erziehenden, die sich aus dem breiten Spektrum an Vorträgen, Foren und Workshops ‚ihre‘ Angebote herauspicken und dort gegebenen Anregungen in der Praxis dann ‚leben‘.