An der Universität Erfurt wurde heute eine neue Studie vorgestellt, in der erstmals die Demokratievorstellungen von Thüringer Jugendlichen und deren Einfluss auf das Parteienvertrauen untersucht wurden.
Die Demokratie gilt der großen Mehrheit der jugendlichen wie erwachsenen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland seit Langem als beste Staats- und Regierungsform. Mit ihrem Funktionieren in der Praxis sind jedoch deutlich weniger von ihnen zufrieden. Dies schlägt sich insbesondere in der kritischen Einstellung gegenüber den zentralen Akteuren der parlamentarischen Demokratie nieder: den politischen Parteien. Mehr als die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger schenkt den Parteien eher kein Vertrauen. Soviel ist durch aktuelle Studien belegt. Weitestgehend unklar ist jedoch, woher diese Einstellungen rühren: Welche Vorstellungen verbinden die Bürgerinnen und Bürger eigentlich mit der „Demokratie“? Was genau erwarten sie von den politischen Parteien in einer Demokratie? Und in welchem Verhältnis stehen diese Erwartungen zu ihren Erfahrungen damit, wie die Demokratie in Deutschland tatsächlich funktioniert?
Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, haben André Brodocz (Professor für Politische Theorie an der Uni Erfurt), Guido Mehlkop (Professor für quantitative Methoden der empirischen Sozialforschung) und Hannah Vermaßen (wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Politische Theorie) im Auftrag des Landesjugendrings Thüringen e.V. erstmals mit einer Umfrage unter mehr als 3000 Jugendlichen in Thüringen untersucht, welche normativen Erwartungen die Jugendlichen mit der Demokratie und den politischen Parteien verbinden und inwiefern ihre Erwartungen angesichts der aktuellen Praxis der Demokratie enttäuscht werden. „Die Studie hat gezeigt, dass das Parteienvertrauen der Jugendlichen nicht nur – wie bereits in anderen wissenschaftlichen Untersuchungen dargelegt – von sozioökonomischen Faktoren geprägt ist“, erläutert Prof. Mehlkop. „Neben der subjektiven Einschätzung ihrer persönlichen finanziellen Situation, ihrem politischen Interesse und Engagement in Jugendverbänden, ihrer politischen Selbstwirksamkeit und der Übereinstimmung mit ihren Eltern in politischen Fragen hängt das Parteienvertrauen der Jugendlichen in Thüringen auch davon ab, ob bestimmte normative Erwartungen, die sie an die (Parteien in der) Demokratie haben, enttäuscht werden oder nicht. Unsere Hypothese, dass die Wahrscheinlichkeit eines Vertrauens in Parteien sinkt, wenn die subjektiven normativen Erwartungen an die Demokratie und die mit ihrem Funktionieren gemachten Erwartungen divergieren, also die Erwartungen enttäuscht werden, hat sich für mindestens fünf der von uns abgefragten Erwartungen bestätigt.“ So verringert sich laut der Studie das Parteienvertrauen der Jugendlichen signifikant, wenn sie darüber enttäuscht sind, dass die Parteipolitiker nicht immer wahrhaftig sind, dass die Parteien nicht oft genug dem Mehrheitswillen oder dem Bürgerwillen folgen, sowie dass die Parteien nicht ausreichend unser Wohlergehen bevorzugen. Zudem wirkt sich auch die nicht direkt auf Parteien bezogene Enttäuschung darüber, dass es im Volk nicht genug verschiedene Meinungen gibt, negativ auf das Vertrauen der Jugendlichen in die Parteien aus.
Auffällig ist, dass die für das Parteienvertrauen relevanten Enttäuschungen allesamt mit liberalen Vorstellungen von Demokratie verbunden sind. „Dieses Ergebnis kann allgemein als ein Ausweis dafür angesehen werden, dass der Liberalismus weiterhin stark unsere Vorstellungen von der Demokratie prägt“, konstatiert Prof. Brodocz. „Aber auch liberale Erwartungen müssen nicht unbedingt konsistent sein. So hat unsere Befragung etwa gezeigt, dass ein Großteil der Jugendlichen gleichzeitig erwartet, dass die Parteien ihre Politik am Mehrheitswillen ausrichten sollen, der sich in den Wahlergebnissen zeigt; zugleich aber auch auf kurzfristig wechselnde Stimmungen im Bürgerwillen während einer Legislaturperiode reagieren sollen. Werden diese widersprüchlichen Erwartungen von den Jugendlichen nicht reflektiert, finden sich die Parteien schnell in einer Enttäuschungsfalle wieder: Egal was sie tun – sie können den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger gar nicht gerecht werden. Das wird insbesondere dann zum Problem, wenn dadurch die Parteienverdrossenheit der Jugendlichen in ein generelles Misstrauen gegenüber der Demokratie als Ganze umzuschlagen droht“.
Nach Ansicht der Erfurter Forschungsgruppe kann diesen Gefahren die schulische wie außerschulische Demokratiebildung durch eine (selbst-)reflexive Ausrichtung entgegenwirken. Zum einen sollte sich die Demokratiebildung immer wieder ihre eigene normative Prägewirkung vor Augen führen. Zum anderen sollte sie es auch den Jugendlichen ermöglichen, ihre Erwartungen und Enttäuschungen gemeinsam zu reflektieren sowie eigene Erfahrungen mit der Komplexität demokratischer Entscheidungsprozesse zu machen.
Das Forschungsprojekt wurde aus Mitteln des Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport und der Stiftung Demokratische Jugend finanziert.