Energiewende, aber richtig: Ohne drastische Verteuerung aller Energieformen keine ökologische Transformation

Gastbeiträge , Klimawandel und Energiewende
Klimawandel-Demonstration

Das Jahr 2021 war von scharfen Widersprüchen in der Klimapolitik geprägt: Während der Klimagipfel von Glasgow das Erfordernis weitergehender Maßnahmen anerkannte und sich viele der teilnehmenden Länder auch dazu verpflichteten, wiesen die Entwicklungen der globalen Energiemärkte in die entgegengesetzte Richtung. Weltweit sind die Energiepreise rasant angestiegen. Nicht nur die Nachfrage nach, auch der Einsatz von fossilen Energien sind weiter gestiegen, namentlich auch Kohle. Deutschland bildet keine Ausnahme. Es ist in aller Schärfe klar geworden, dass die Energiewende von großen Risiken und Unwägbarkeiten behaftet ist, da in der langen Übergangsphase die alten Energieträger eine zentrale Bedeutung besitzen, um die Gesamtversorgung zu garantieren und die Preise zu stabilisieren. Das ist auch der Grund, warum am Jahresende die EU-Kommission die Kernenergie mit einen "grünen Segen" versehen hat – für die gerade in Regierungsverantwortung getretenen deutschen Grünen ein Schlag ins Gesicht, da der Kampf gegen die Kernenergie das Herz ihres Gründungsmythos' ist.

Prof. Dr. Carsten Herrmann-Pillath

Diese Konstellationen verdeutlichen, dass sich die derzeitige Politik zu einseitig auf den Zusammenhang von Klima und Energie, also das Thema der CO2 Emissionen konzentriert. Die Hoffnung ist, dass die Wirtschaft durch den Übergang zu Erneuerbaren Energien weiter wachsen kann, und oft wird auch verkündet, dass gerade dieser Übergang selbst Treiber von Wachstum ist: Innovationen und Jobs. Die innere Widersprüchlichkeit dieses Denkens wird im Verhalten der Investoren seit 2021 allzu deutlich: Letzten Endes trumpfen Gewinnerwartungen die Energiewende, und wenn fossile Energien in dieser Hinsicht attraktiv bleiben, so wird das Gewissen mit der Aussage beruhigt, dass Gewinne doch erforderlich seien, um die Energiewende zu finanzieren. Dieses Argument ist keineswegs leicht von der Hand zu weisen. Beispielsweise ist der Übergang zur Elektromobilität noch mit großen Unsicherheiten belastet, was die künftigen Anforderungen an die Versorgung mit Elektrizität und deren Bereitstellung am Punkt der Endnutzung angeht. Die erforderlichen Investitionen sind gigantisch, in allen Bereichen: Informationstechnologie, Batterietechnik, das Netz von Ladestationen und so fort. Klar ist nur eines: Wir haben wieder ein grandioses Narrativ in der Entfaltung des Kapitalismus, wie er sich mit der europäischen Industrialisierung als dominantes Wirtschaftssystem ausgeformt hat, als Motor von Fortschritt und Wohlstand – nun eben Energiewende und Elektromobilität.

Solange die Politik der Energiewende mit dem alten Wachstumsdenken verbunden bleibt, werden wir die selbstzerstörerische Kraft unseres Wirtschaftssystems nicht brechen.

Es ist an der Zeit, diese Vision der Energiewende radikal zu hinterfragen. Denn solange die Politik der Energiewende mit dem alten Wachstumsdenken verbunden bleibt, werden wir die selbstzerstörerische Kraft unseres Wirtschaftssystems nicht brechen. Das zentrale Problem sind nicht die CO2 Emissionen und der damit verbundene Einsatz fossiler Energien, sondern ein Wirtschaftswachstum, das den Durchsatz aller materiellen und energetischen Ströme ständig steigert, gleich in welcher Form. In den Geowissenschaften spricht man vom Wachstum der "Technosphäre" relativ zur Biosphäre, wobei die Technosphäre den Bereich der Landwirtschaft und alle Formen artifiziell gestalteter Bereiche der Biosphäre sozusagen als "Kolonien" einschließt, wie die kommerzielle Forstwirtschaft, und natürlich alle Varianten nur langsam abbaubarer Abfälle, wie Plastik in den Ozeanen. Selbst wenn die Erderwärmung doch noch eingedämmt werden kann, schließt das nicht aus, dass der Mensch in vielerlei anderer Weise grundlegende Funktionen der Biosphäre stört, mit weitreichenden Konsequenzen etwa für das Artensterben.

Deswegen muss die Energiewende neu gedacht werden. Aus physikalischer Sicht ist Energie die universale Ressource, die das Wirtschaftswachstum antreibt und überhaupt erst alle anderen materiellen Transformationen in der Produktion ermöglicht. Das gilt auch für den Hoffnungsträger der Selbstreinigung unseres Wirtschaftssystems, die Informationstechnologie: Die Explosion der Datenströme ist keineswegs nur "virtuell", sondern bedeutet einen rasant wachsenden Energieverbrauch, oft auch erhebliche materielle Investitionen: Besonders besorgniserregend ist die Tatsache, dass der Weltraum rapide durch Satelliten kolonisiert wird, die viele Leistungen der Informationstechnologie überhaupt erst perfektionieren.

Der Würzburger Physiker Reiner Kümmel hat schon vor 20 Jahren gezeigt, dass das eigentliche Problem in der "Versklavung" der Energie durch den Menschen besteht. Unser Wohlstand beutet "Energiesklaven" aus. Diese provozierende Formulierung hebt die Tatsache hervor, dass wir Energie unzureichend "entlohnen": Mit anderen Worten, Energie ist zu billig, gleich in welcher Form. Der produktive Beitrag der Energie bildet sich nicht in einem entsprechenden "Lohn", also Preis ab.

Das Schwert, das den Gordischen Knoten zerschlägt, ist eine allgemeine Energiesteuer.

Dass Energie zu billig ist, ergibt sich aus vielen Faktoren, auch direkten politischen Eingriffen in die Energiepreise, wie auch die direkte oder indirekte Subventionierung der Energiewende. Aus ökologischer Sicht ist entscheidend, dass die aus dem Energieeinsatz letzten Endes folgenden ökologischen Kosten unzulänglich erfasst sind. Das findet auch durch eine CO2-Steuer nur eingeschränkt statt. Grüne Elektromobilität ersetzt das Öl durch den Abbau seltener Erden, ändert jedoch nichts an der Ausweitung der Verkehrsinfrastruktur zu Lasten von Naturräumen und so weiter. All diese komplexen Zusammenhänge sind wahrlich ein Gordischer Knoten. Das Schwert, das ihn zerschlägt, ist eine allgemeine Energiesteuer. Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Recycling ist vordergründig ein Verfahren, weniger Abfälle zu produzieren, aber es setzt keine direkten Anreize, die Ressourcen überhaupt erst produktiv zu beanspruchen, die dann recycelt werden. Recycling ist energieintensiv: Wenn also Energie teurer ist, werden die Anreize auf der Vorstufe stärker, Materialien von vornherein einzusparen.

Billige Energie war der entscheidende Faktor, der unser heutiges kapitalistisches Wirtschaftsmodell im 19. Jahrhundert ermöglicht hat. Dies zeigt der historische Vergleich mit China, dem heutigen "Wachstumswunder". Im kaiserlichen China war die Relation zwischen den Preisen von Energie und menschlicher Arbeit genau umgekehrt als im Geburtsland der industriellen Revolution, England. Deswegen bildete China eine arbeitsintensive und keine kapitalintensive Wirtschaftsweise aus, in der entsprechend der Materialdurchsatz so effizient wie möglich gestaltet wurde (was zum Beispiel die chinesische Küche geprägt hat). Diese Beobachtung gibt uns wichtige Hinweise, was langfristig geschehen würde, wenn die Energiepreise anhaltend auf einem Niveau gehalten würden, die eine Balance zwischen menschlicher Wirtschaftsweise und Biosphäre garantieren würde.

Wie das chinesische Beispiel zeigt, würden hohe Energiepreise nicht nur den Energiedurchsatz verringern, sondern auch Kapital relativ zur menschlichen Arbeit verteuern, denn Kapitalbildung geht zwingend mit Energiedurchsatz bei Herstellung und Nutzung einher, während der direkte Energieverbrauch menschlicher Arbeit durch unsere tägliche Ernährung bestimmt ist, mehr nicht. Eine oft übersehene, fundamentale Differenz zwischen Künstlicher Intelligenz und dem menschlichen Gehirn ist der um Größenordnungen unterschiedliche Energieverbrauch. Mit anderen Worten, höhere Energiepreise bedeuten, dass insgesamt menschliche Arbeit relativ billiger wird. Ich will diesen Zusammenhang an einem Beispiel verdeutlichen.

Ein zentrales Anliegen der ökologischen Transformation muss die Abkehr von der industriellen Landwirtschaft sein. Die heutige Landwirtschaft operiert äußerst energieintensiv, direkt und indirekt. Weiten wir den Blick auf den Lebensmittelkonsum aus, wird dies noch unterstrichen: Wir beziehen Lebensmittel aus allen Ländern der Welt, weil die Tramsportkosten niedrig genug sind. Wenn Energie substanziell teurer würde, ergäben sich weitreichende und ökologisch erwünschte Folgen. Erstens würde die Landwirtschaft wieder stärker regionalisiert und lokal, weil der Transport sich verteuert. Zweitens würde der Kapitaleinsatz teurer, in jeder Form, wie etwa der Einsatz von Großgeräten oder die Installation von "precision farming"-Technik. Das bedeutet insgesamt, dass die lokale biologische Landwirtschaft wettbewerbsfähiger wird, die auch arbeitsintensiver operiert (und deswegen im jetzigen System teurere Produkte anbietet). Dieses Beispiel lässt sich mühelos auf andere Bereiche übertragen, wie beispielweise die Künstliche Intelligenz und die Automatisierung, die heute schon Arbeitsplätze vernichten, und wo Geschäftsmodelle lanciert werden, die auf den ersten Blick absurd erscheinen, wie beispielsweise automatisierte psychologische Therapie. Die Verteuerung von Energie bedeutet überall, dass Prozesse wieder arbeitsintensiver werden.

Zwei grundsätzliche Einwände sind besonders bedenkenswert: Erstens, bedeutet das, sozialromantisch auf Errungenschaften der modernen Technologie zu verzichten? Natürlich nicht, es werden sich nur andere Formen der Nutzung dieser Technologie einstellen, die dem Menschen eine größere Rolle einräumen als der jetzige Trend suggeriert. Zweitens, treffen höhere Energiepreise, wie derzeit zu beobachten, nicht gerade die sozial Schwächeren in der Gesellschaft? Das ist sicherlich in der heutigen Konstellation richtig, gilt aber nicht für den hier skizzierten Systemwechsel. Höhere Energiepreise werden sich nur über eine Energiesteuer einrichten lassen, denn die energetischen, selbst die fossilen Ressourcen dieser Welt sind immens. Diese Steuer ist umfassend und dauerhaft ertragreich. Ähnlich wie dies auch für die CO2 Steuer argumentiert wird, muss diese Steuer eingesetzt werden, um unsere Gesellschaft auch sozial nachhaltig und gerecht zu gestalten. Direkte Entlastungen etwa bei den Sozialabgaben sind möglich, vor allem aber auch die Finanzierung eines begleitenden Systemwandels, beispielsweise durch die Einführung eines universellen Grundeinkommens.

Ein anderer Einwand zählt meines Erachtens mehr: Dass im geopolitischen Machtkampf der Giganten kein Anreiz besteht, sich selbst Fesseln anzulegen. Das schreibt die Geschichte fort, denn das kaiserliche China überlebte deswegen nicht, weil es der aus der kapitalistischen Industrialisierung erwachsenen militärischen Macht nichts entgegenstellen konnte.

(Autor: Carsten Herrmann-Pillath)

Prof. Dr. Carsten Herrmann-Pillath

Max-Weber-Kolleg

Der nebenstehende Beitrag ist Teil unseres Themenblocks "Klimawandel und Energiewende". Weitere Beiträge aus dieser Rubrik finden Sie unter: www.uni-erfurt.de/forschung/aktuelles/forschungsblog-wortmelder/kategorie/klimawandel-und-energiewende.