In Stuttgart ist am Wochenende der 102. Katholikentag zu Ende gegangen. Rund 27.000 Menschen waren dabei. 2018 waren es noch dreimal soviel. Die Veranstalter machen die Skandale um sexuellen Missbrauch aber auch die Corona-Pandemie für den Rückgang verantwortlich. Und so prägten nicht nur die schweren Krisen weltweit sondern auch die Aufarbeitung der Skandale in der Kirche die fünftägige Veranstaltung. Mit dabei und auch aktiv in das Programm einbunden waren Vertreterinnen und Vertreter der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt. Einer von ihnen ist der Liturgiewissenschaftler Prof. Dr. Benedikt Kranemann. Für unseren Blog "WortMelder" berichtet er von seinen Eindrücken...
Wer zum diesjährigen Katholikentag in Stuttgart mit dem Zug anreiste, erlebte zwangsläufig die Großbaustelle des Stuttgarter Hauptbahnhofs. Manches ist abgerissen, Neues im Werden. Der Bahnhof „arbeitet“, befindet sich aber im Umbruch. Wege sind provisorisch markiert, man kommt mit einiger Geduld aus dem Bahnhof hinaus wie hinein. Durch den Bahnhof gelangte man zum Katholikentag und damit zu einer Kirche, die sichtlich ebenfalls Baustelle ist. Hier wie dort begegnet die Hoffnung auf Neues, der Unwillen über eine Baustelle, die kein Ende findet, die Erwartung, dass der Umbau endlich vorankommt.
„Katholikentag“, das heißt Podien zu Fragen, die Kirche und Gesellschaft umtreiben. Menschen wollen etwas von der Vielfalt des Katholizismus erleben, etwa bei (kirchen-)politischen Debatten, kulturellen Events, Gottesdiensten und Bibelgesprächen. Nicht zuletzt zeigen Katholikentage ein buntes Bild der Generationen, die sich für einige Tage dynamisch und vital als Kirche erleben und präsentieren. Das alles bot Stuttgart.
Zumindest im vergangenen halben Jahrhundert standen die großen Gegenwartsthemen auf der jeweiligen Agenda solcher Tage: Friedenspolitik, Bewahrung der Schöpfung, Versöhnung der Völker, Rolle der Frau, Zusammenleben der Religionen, Digitalisierung der Gesellschaft, noch und noch sozialpolitische Themen, immer wieder und viel zu lange schon die immer gleichen kirchenpolitischen Probleme. Davon hatte Stuttgart reichlich zu bieten. Der Krieg in der Ukraine, die Klimakrise, die Pandemie, sexualisierte Gewalt, Kirchenkrise und Synodaler Weg sorgten für reichlich Diskussionsstoff.
Katholikentage sind, um einen weiteren Punkt zu nennen, lange schon Orte der Ökumene und des interreligiösen Gesprächs, sind hier in mancher Hinsicht Schrittmacher gewesen. Die offene Form solcher Tage eröffnete immer schon Räume, in denen vieles diskutiert, aber vor allem ausprobiert und praktiziert wurde, was im „normalen“ Alltag der katholischen Kirche nicht vorgesehen war. Auch davon gab es in Stuttgart manches.
Also ein gewöhnlicher Katholikentag? Sicherlich nicht, und dazu trug nicht nur die spürbar gesunkene Zahl der Teilnehmer:innen bei, die sich nicht allein auf die Pandemie zurückführen lässt. Es fiel auch die geringere Zahl jüngerer Menschen auf. Katholikentage waren lange Zeit Ausdruck einer jungen Kirche, das war dieses Mal anders, ohne dass Jugendliche ganz gefehlt hätten.
Aber die wahrlich tektonischen Verschiebungen in dieser Kirche waren nicht zu übersehen.
Große Beachtung fanden Themen der Kirchenreform. Viele, die nach Stuttgart gereist waren, identifizieren sich mit dem Synodalen Weg. Aber die Erwartungshaltung hat sich verändert, die Ungeduld ist maximal gewachsen. Die Fragen des Synodalen Wegs sind ja nicht neu, sondern beschäftigen die katholische Kirche seit Jahrzehnten. Viele sind mit den Debatten gealtert, die Geduld ist dahin. Der Synodale Weg vermittelt momentan das Gefühl, Veränderungen seien möglich. In Stuttgart wurde deutlich, dass viele Menschen Reformen jetzt wollen und sich nicht mehr vertrösten lassen. Wenn hier und dort von offizieller Seite Geduld gefordert wurde, konnte man nur entgegenhalten:
Viele haben keine Geduld mehr mit dieser Kirche.
In Stuttgart konnte man die Ungeduld mit Händen greifen. Der Katholikentag zeigte faszinierend, wie viel Kreativität, Kompetenz und Kraft in dieser Kirche steckt, machte aber ebenso ernüchternd klar, wie sehr diese Kirche bis ins Mark erschüttert und gefährdet ist. Das haben auch viele in der Kirchenleitung realisiert. Die Frage ist, wie lange der Schock anhält und ob es wirklich Mut zu Veränderung gibt. Wenn nicht, stehen der Kirche noch turbulentere Tage ins Haus.
Beim Katholikentag in Stuttgart wurde zugleich sichtbar, was diese Kirche bieten könnte. Ausgerechnet beim Schlussgottesdienst las der Präsident des evangelischen Kirchentages eine Lesung und empfing später vom Vorsitzenden der Bischofskonferenz die Kommunion. Für eine Institution, die sich so auf Symbolhandlungen versteht wie die katholische Kirche, sind das deutliche Zeichen. Die Predigt war als Dialog zwischen dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz und einer Theologin aufgeteilt, dies in einer Kirche, die bis heute ernsthaft über „Laien“predigt in der Messfeier debattiert. Eine Fürbitte sprach ein gleichgeschlechtliches Paar im Sonntagsgottesdienst einer Kirche, die bis in diese Tage diesbezügliche Vorbehalte und Vorurteile nicht überwunden hat. Der Erfurter Bischof überließ einer jungen Frau und Doktorandin der Universität Erfurt die Einladung zum nächsten Katholikentag eben in Erfurt und zeigte, wie man mit Rollenverteilung in der Kirche auch umgehen kann.
Der Katholikentag in Stuttgart geht vielleicht in die Geschichte als ein Wendepunkt ein – aber es wird viel Arbeit bleiben, wenn sich daraus auf Zukunft hin Positives entwickeln soll.
Der Zug zurück vom Katholikentag blieb übrigens hinter Mannheim in einer Baustelle stecken und erreichte nur über eine komplizierte Umleitung mit viel Verspätung sein Ziel. Aber man darf Bilder auch nicht überstrapazieren.
Benedikt Kranemann
Der nächste Katholikentag findet 2024 statt - in Erfurt. Auch die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Erfurt wird sich dabei einbringen. Die Vorbereitungen laufen bereits...