Sein 2016 veröffentlichtes Buch "Resonanz" ist viel besprochen worden. Und um eben diese Resonanz, das "Mit-der-Welt-Schwingen", geht es in gewisser Weise auch im neuen Buch von Hartmut Rosa. Darin untersucht der Soziologe, was mit den Menschen geschieht, "wenn Monster brüllen und Engel singen". "WortMelder" sprach mit ihm über Heavy Metal und darüber, was Iron Maiden und Anthon Bruckner gemeinsam haben...
Professor Rosa, wann haben Sie zuletzt Heavy Metal gehört?
Tatsächlich gestern Abend. Ich habe mir das neue Album der amerikanischen Band Extreme besorgt. Die sind gar nicht so extrem, eher virtuos.
Die meisten hätten Ihnen vermutlich eher Bruckner zugetraut…
Oh ja, Bruckner! Tatsächlich bin ich großer Bruckner-Fan! Das Finale der 5. Symphonie zu hören, gehört für mich zu den allerstärksten musikalischen Erfahrungen, die ich jemals gemacht habe. Erstaunlicherweise stehe ich tatsächlich vor allem auf die Fünfte, aber ich liebe auch die Vierte, die Dritte, die Sechste und auch das Te Deum…
Als ich für den Deutschlandfunk „Klassik, Pop etc.“ moderieren durfte, habe ich mit dem Te Deum von Hector Berlioz begonnen – die Orgel – Königin der Instrumente – ist für mich immer sehr faszinierend gewesen.
Wir sind gerade mitten in der Festival-Saison, da darf auch Heavy Metal nicht fehlen – Wacken oder, etwas lokaler, das Party.San Open Air in Schlotheim und viele mehr ziehen jedes Jahr unglaublich viele Fans dieser Musik an. Was manch anderer vielleicht als puren Krach empfindet, ist für sie ein Höhepunkt des Jahres, die Musik für sie ein echtes Erlebnis. Sie haben darüber nun ein kleines Buch veröffentlicht: "When Monsters Roar and Angels Sing". Was war der Grund dafür, dass Sie sich als Soziologe mit dem Thema näher beschäftigt haben?
Ich möchte das mit einem kleinen Zitat aus meinem Buch beantworten: Ich habe eine Theorie. Und ich habe eine Erfahrung. Eine mächtige, gewaltige Erfahrung – die Erfahrung einer ungeheuren Energie, die im Heavy Metal freigesetzt wird, so dass sie meinen Körper und meine Seele von innen und außen gleichzeitig ergreift und bewegt, verbindet und zusammenführt. Sie rührt an die tiefsten Tiefen in mir und strebt zugleich nach oben in die höchsten Höhen, die mir möglich scheinen. Jetzt muss ich die Theorie und die Erfahrung nur zusammenbringen – und das will ich in diesem kleinen Buch versuchen.
Ich wollte also in diesem Buch vor allem der Erfahrung, nicht der Bedeutung des Heavy Metal nachgehen. Was macht harte Rockmusik mit ihren Hörerinnen und Hörern? Was macht sie aus, warum vergeht diese Musikrichtung nicht wie popmusikalische Modewellen? Warum erweist sie sich, wie ich im letzten Kapitel des Buches zu zeigen versuche, sogar als stärker als die Kulturindustrie?
Ich bin beim Schreiben gewissermaßen zweigleisig verfahren: Auf der einen Seite wollte ich, im Stil einer empirischen Soziologie, die äußeren, zum Beispiel sozialstrukturellen, Merkmale der Szene erfassen oder vielmehr beschreiben und deuten. Dazu zählen etwa die Fragen, welche "sozialen Schichten" Heavy Metal hören, welche Merkmale die Hörer*innen aufweisen und wie es um das Geschlechterverhältnis bestellt ist. Zugleich – und das war mir dabei sogar noch wichtiger – wollte ich aber unbedingt auch die "Innenseite" der musikalischen Erfahrung ernst nehmen. In der Soziologie nennen wir das die "phänomenologische Analyse": Was geschieht etwa zwischen Musizierenden und Konzertteilnehmenden? Wie fühlt es sich an, wenn Iron Maiden im gleißenden Licht und in einer "Wall of Sounds" auf die Bühne stürmen, wenn sich das Wacken-Festival dem Finale nähert, oder wenn Metallica auf der Bühne ihres 1986 bei einem tragischen Tourbusunfall verstorbenen Bassisten Cliff Burton gedenken? Warum lesen "Metalheads" immer und immer wieder Stories und Berichte über ihre Bands und Interviews mit ihren Helden? Dabei habe ich natürlich vor allem auf das Resonanzkonzept zurückgegriffen – das Buch ist deshalb auch unmittelbar aus dem Zusammenhang unserer Internationalen Graduiertenschule (IGS) zwischen Erfurt und Graz entstanden, die sich mit dem Zusammenhang von Resonanz und Ritualen beschäftigt.
Und was macht Ihrer Ansicht nach nun die Faszination von Metal aus?
Es geht im Heavy Metal nicht um die Texte, nicht um eine intellektuelle Welterklärung. Es geht um einen erschlossenen, gefühlten, leiblichen, emotionalen, lodernden, intensiven Kontakt mit der Wirklichkeit. Mit einer Wirklichkeit, die wir nicht verstehen, aber fühlen können und die das Höchste und das Tiefste in uns Menschen gleichermaßen umfasst. Und die unser Innerstes mit dem Äußersten der Welt verbindet. Es geht um Himmel und Hölle. Das macht die Faszination aus. Ich interpretiere die Musik als eine heftige Berührung, als eine Umarmung: In einer nahezu berührungslosen Gesellschaft wie der unseren wird das von denen, die sie mögen, als liebevolle Umarmung erfahren – von allen anderen aber als schmerzhaften Übergriff.
„Metalheads“ haben ja oft so ein Böse-Buben-Image. Aber wenn man mal genauer hinschaut, sind das nicht selten überaus empfindsame Menschen, liebevolle Familienväter und Mütter, oft auch aus sozialen Berufen. Warum divergieren bei den Metal-Fans Äußeres und Seelenleben aus Ihrer Sicht oftmals?
Entgegen der bekannten Klischees vom beschränkten geistigen Horizont der Metal-Fans, bescheinigen die Ergebnisse von empirischen Studien ihnen einen durchschnittlich höheren IQ, es gibt sogar Untersuchungen, nach denen insbesondere Hochbegabte junge Menschen metalaffin sind. Aus meiner Sicht aufschlussreicher noch ist aber der Befund einer sehr umfangreichen psychologischen Studie, die Adrian North an der Universität von Edinburgh durchgeführt hat: Danach weisen Metal-Fans und Klassik-Hörer (im Unterschied zu den Anhängern anderer Musikstile) nahezu identische Persönlichkeitsmerkmale auf. Besonders auffallend war in der Studie die Übereinstimmung beider Hörergruppen im Blick auf kreative Offenheit (und ebenso auf hohe Verträglichkeit und Introvertiertheit). North führte die überraschende Übereinstimmung dabei auf eine geteilte spirituelle Grundorientierung zurück. Was nach meiner Beobachtung die beiden Genres aber vor allem miteinander verbindet, ist, dass ihren Liebhabern Musik als etwas von eigenständiger und zentraler Wichtigkeit erscheint; dass ihre hingebungsvollen Anhänger Musik nicht nur als Unterhaltung konsumieren und sie schon gar nicht zum "Mood Management" einsetzen, sondern auf der Suche nach echter und tiefer musikalischer Erfahrung sind. Das manchmal blutrünstige äußere Image scheint mir damit zusammenzuhängen, dass der Heavy Metal die dunklen, abgründigen Seiten der menschlichen Existenz – Tod, Not, Krankheit, Elend – unbedingt ernst zu nehmen gewillt ist; dass er nicht versucht, ihnen auszuweichen oder vorschnelle Heilsgewissheiten entgegenzusetzen. "Face your fears" ist ein oft verwendeter Liedtitel, der bringt das zum Ausdruck.
Neulich war in einem ZEIT-Artikel zu lesen, dass überdurchschnittlich viele Metal-Heads an Depressionen leiden. Wie passt das mit dem positiven „Mit-der-Welt-Schwingen“, mit der von ihn vielfach beschriebenen Resonanz, die die Musik ermöglicht, zusammen?
In jüngster Zeit legen die Ergebnisse unterschiedlichster (und unterschiedlich seriöser) Studien aus Europa und den USA nahe, dass Metal-Fans (trotz erhöhter dispositionaler Depressionsneigung) glücklicher (und friedlicher) seien als der Durchschnitt der Bevölkerung. Dies widerspricht deutlich der auch in den Medien verbreiteten Meinung, Metal fördere die Gewalt- und Selbstmordneigung vor allem junger Menschen. Meines Erachtens lässt sich dieses überraschende Ergebnis damit erklären, dass viele Metal-Hörer in ihrer Musik eine für sie stabile Resonanzachse gefunden haben, entlang derer sie immer wieder entsprechende "bergende" Erfahrungen machen können, die sie vor ihren depressiven Tendenzen, die offenbar bei diesen Fans eben auch überdurchschnittlich oft auftreten, zu schützen vermögen. Bis zu 40 Prozent der Befragten einer großen Studie haben angegeben, Metal habe ihnen mindestens einmal das Leben gerettet. Was immer man von dieser Aussagen halten mag, sie bringt auf jeden Fall die große Bedeutung dieser Musik für das Leben der Fans zum Ausdruck.
Für alle, die jetzt doch neugierig auf Heavy Metal geworden sind oder ihr altes „Krach“-Urteil nochmal prüfen möchten: Haben Sie einen Tipp, wie man sich diesem Musikstil am besten nähert, um ihn tief auf sich wirken zu lassen?
Wer die Erfahrung nachvollziehen will, ist vielleicht mit dem Rock in Rio-Video von Iron Maiden aus dem Jahr 2001 gut bedient. Der Spannungsaufbau im Vorfeld des Konzertes ist darin gut eingefangen, dann das dramatische Intro von Jerry Goldsmith ("Arthur’s Farewell") aus dem Film First Knight ("Adorate me, Dominus Deus, Dominus noster, Dominus solus") und schließlich der Moment, in dem der Bassist Steve Harris und der Sänger Bruce Dickinson die Bühne stürmen und die Menge von 250 000 Menschen in Bewegung gerät: In gewisser Weise war das auch für die Band ein Moment der Wiederauferstehung nach langen Jahren des künstlerischen Niedergangs ohne Adrian Smith und Bruce Dickinson. Aber laut muss man es hören...!