Nachgefragt: "Wie weit ist die Geschichte der Zwangsinhaftierung im Zweiten Weltkrieg bereits aufgearbeitet, Herr Luick-Thrams?"

Gastbeiträge

Wenn Menschen ihre Heimat verlassen, dann hat das meist schwerwiegende Gründe: Krieg, Verfolgung oder auch die Angst vor wirtschaftlicher Not können Antrieb sein, um einen Neuanfang in der Ferne zu wagen. Doch auch dort ist man nicht vor etwaiger Not gefeit. Erst recht dann nicht, wenn die alte und die neue Heimat plötzlich im Krieg miteinander liegen – so wie die USA und Deutschland Ende 1941. Mit dem Eintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg begann man im eigenen Land umgehend mit der Internierung von Bürgerinnen und Bürgern, die aus einer der sogenannten „AchsenMächte“ stammten. Mehr als 15.000 Menschen, die zum Teil lange vor dem Krieg aus Deutschland, Italien oder Japan in die USA eingewandert waren, wurden inhaftiert oder – im Austausch gegen gefangen genommene US-Bürger – zurück in ihr Geburtsland deportiert. Der Erforschung der Schicksale dieser Menschen widmet sich derzeit ein Seminar im Studium Fundamentale an der Universität Erfurt. Das Seminar unter dem Titel „Verschwunden: Die Internierung von Deutschen, Japanern und Italienern in den Vereinigten Staaten von Amerika, 1941–1948“ wird Fragen nach der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Bedeutung der Zwangsinhaftierung bearbeitet. Wir haben bei Dr. Michael Luick-Thrams, Direktor des Vereins „Spuren e.V. “ und Mitveranstalter des Seminars, nachgefragt: Inwieweit ist die Geschichte der Zwangsinhaftierung heute bereits aufgearbeitet? Was müssen Forschung und Politik hier noch leisten?

„Die Massendeportation und Internierung japanischer Einwanderer nach dem Angriff auf Pearl Harbour ist in den USA umfassend aufgearbeitet worden. Sie hat zu Entschädigungszahlungen an die Betroffenen geführt und ist auch im öffentlichen Bewusstsein sowie in Schulbüchern über die amerikanische Geschichte präsent. Darüber hinaus hat sie in jüngster Zeit durch Veröffentlichungen zur Lebensgeschichte des ‚Start Trek‘-Schauspielers George Takei (Captain Sulu), der als Kind selbst in einem Lager interniert war, mediale Aufmerksamkeit erlangt.

Anders verhält es sich mit dem Wissen über die Internierung von Menschen deutscher Staatsangehörigkeit oder deutscher Herkunft aus den USA oder aus lateinamerikanischen Ländern. Deren Geschichte (und Geschichten) sind weitgehend unbekannt. Initiativen, auch diesen Personenkreisen eine Rehabilitation zu Teil werden zu lassen, hatten bisher keinen Erfolg. Mit diesem Ziel sind bisher vor allem Menschen aktiv geworden, die als Kinder mit ihren Eltern inhaftiert waren und heute mindestens 75 Jahre alt sind.

Heute gilt es für die Forschung vorrangig, Wissen zu sichern, bevor die letzten Zeitzeugen nicht mehr ansprechbar sind, und sich mit Fragen zu beschäftigen wie:

  • Was hat dazu geführt, dass über die Internierung Deutscher so viel weniger bekannt ist?
  • Welche Alternativen hätte es für die US-Regierung beim Umgang mit Einwanderern aus Ländern gegeben, die im Weltkrieg zu Kriegsgegnern wurden?
  • Wie steht es um die Loyalität von Einwanderern (unterschiedlicher Generationen) in Konflikten zwischen dem Land, in dem sie leben, und dem Land, aus dem sie oder ihre Vorfahren eingewandert sind?
  • Welche psychologischen Folgen hat es, längerfristig ohne eigenes Verschulden und ohne rechtliche Widerspruchsmöglichkeiten inhaftiert zu sein?

Seit vielen Jahren erforsche ich dieses Thema und habe verschiedene Ausstellungen dazu gezeigt. Nun traf ich auf zwei Söhne ehemaliger deutscher Zivilinternierten in den USA, die mit Studierenden im Rahmen unseres Seminars im Studium Fundamentale am 1. und 9. November ins Gespräch kommen werden.

Herbert Scherer lebt heute in Berlin, Bernd Leber wird aus Hamburg anreisen. Beide werden fast 80 Jahre nach den Ereignissen über das Schicksal ihrer Väter berichten, über die Auswirkungen auf ihre Familien und über die Aufarbeitung dieser Schattenseite der deutsch-amerikanischen Geschichte. Sie wollen den Studierenden Mut machen, sich mit diesen weitgehend unbekannten Randerscheinungen der großen Weltgeschichte zu beschäftigen. Dabei soll auch deutlich gemacht werden, wie sich ‚große Weltpolitik‘ in den Schicksalen einzelner Menschen widerspiegeln kann; wie Menschen, die unverhofft in solche und ähnliche Situationen geraten, reagieren und welche Langzeitwirkungen solche (oft traumatischen) Erfahrungen haben können.

Darüber hinaus werden die Studierenden im Seminar unmittelbare Zeitzeugen telefonisch sowie per E-Mail interviewen können. Das dabei entstehende Material soll aufgearbeitet und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden, um so einen Beitrag zu Schließung der Forschungs- und Wissenslücke zu leisten.“

Kontakt

Für weitere Hintergrundinformationen wenden Sie sich per Mail an Dr. Michael Luick-Thrams. Für Gesprächsanfragen zu den Zeitzeugen Herbert Scherer und Bernd Leber steht ebenfalls Dr. Luick-Thrams zur Verfügung.