Nachgefragt: "Wie wappnet sich die Erfurter Theologie für die Herausforderungen der Zukunft, Herr Professor Gabel?"

Gastbeiträge
Studierende sitzen im Hörsaal Kiliani, Domstraße 10, Katholisch-Theologische Fakultät, Universität Erfurt

Sie solle dialogfähig sein und den Mut haben, für das Gemeinwohl neue Wege zu suchen, sagt Papst Franziskus in seiner jetzt veröffentlichten Schrift „Veritatis gaudium“ über die Zukunft katholischer Hochschultheologie. „WortMelder“ hat Prof. Dr. Michael Gabel, den langjährigen Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Universität Erfurt, gefragt: „Wie kann sich die Erfurter Theologie im Speziellen aufstellen, um für die Herausforderungen der Zukunft gewappnet zu sein und im Sinne von Papst Franziskus in die Gesellschaft hineinzuwirken?“

Prof. Dr. Michael Gabel
Michael Gabel

„Papst Franziskus hat am 8. Dezember 2017 die Apostolische Konstitution ‚Veritatis gaudium‘ erlassen. Versehen mit den ‚Ordinationes‘, den Ausführungsbestimmungen der Kongregation für das Katholische Bildungswesen, wurde die Konstituion am 29. Januar 2018 veröffentlicht. Sie regelt weltweit gültig die Ordnung der kirchlichen Universitäten und Fakultäten. Sie ersetzt nach 39 Jahren die bisher gültige Ordnung, die durch die Apostolische Konstitution ‚Sapientia christiana‘ von Papst Johannes Paul II. im Jahr 1979 erlassen wurde. Da in Deutschland die Interessen von Staat und Kirche durch staatskirchenrechtliche Verträge einvernehmlich geregelt sind, gilt Veritatis gaudium ebenso wie die Vorgängerkonstitution nicht nur für rein kirchliche Hochschulen, sondern auch für katholische theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten. Für ‚Sapientia christiana‘ wurden die Ausführungsbestimmungen 1983 durch Akkomodationsdekrete der besonderen deutschen Situation angepasst. Eine vergleichbare Abstimmung für ‚Veritatis gaudium‘ steht begreiflicherweise noch aus.

‚Veritatis gaudium‘ steht wie die Vorgängerkonstitution auf dem Fundament des Zweiten Vatikanischen Konzils und dessen Bildungsvorstellungen. Diese sind geprägt von Offenheit für die Vielfalt christlicher Bekenntnisse und anderer religiöser Traditionen, für die Begegnungen mit anderen, auch atheistischen Weltanschauungen, und für das Gespräch mit den Wissenschaften und den Künsten und der Gesellschaft insgesamt. ‚Sapientia christiana‘ hat diese Orientierung in Normen gefasst und die theologischen Fakultäten haben unter diesem Rahmen die theologischen Studien bis hin zu einer dem Bologna-Prozess verpflichteten Studienstruktur gestaltet. Zugleich hat sich die Vielfalt der Studienziele verstärkt. Theologie ist nicht nur Befähigung zum Pfarrdienst, sie ist unentbehrliche Voraussetzung für den Schuldienst als Religionslehrer und den religiösen Beitrag in der Suche nach Orientierung und Sinnstiftung in allen Bereichen menschlichen Lebens. Freilich sind diese Entwicklungen kein Selbstläufer. Immer wieder wird der Kirche im Allgemeinen und der Theologie im Besonderen vorgeworfen, selbstgefällig in sich selbst verschlossen zu bleiben. Der Klärungsprozess, ob der Hang zu solcher Verschlossenheit allein auf der individuellen Schwäche der Beteiligten beruht oder auch systemisch-strukturelle Ursachen hat, ist nicht abgeschlossen, ja hat vielleicht noch nicht einmal voll begonnen.

Dieser Situation stellt sich die Apostolische Konstitution ‚Veritatis gaudium‘ (VG). Sie beklagt Inkonsequenzen und Erstarrung auf dem Weg der Öffnung. Gleichzeitig bekräftigt sie die überlebenswichtige Bedeutung der vom Zweiten Vatikanischen Konzil angestoßenen Prozesse. Papst Franziskus erklärt die gegenwärtige Situation der Kirche und auch der Gesellschaft als krisenbestimmte schicksalhafte Epoche, in der der Mensch selbst auf dem Spiel steht. ‚Kirche im Aufbruch‘ heißt deshalb nicht mehr im Umfeld selbstgewissen Fortschritts zu leben, sondern inmitten eines Umbruch, der sich in einer anthropologischen und sozio-ökonomischen Krise (VG 3) zeigt. In der Umwelt-Enzyklika ‚Laudato-si‘ hat Papst Franziskus hervorgehoben, dass weder der Einzelne noch die Zivilisationen in voneinander unabhängigen Bereichen leben, sondern in einem einzigen Haus (oikos), in dem jeder von allem betroffen ist. Kirche steht dann nicht außerhalb dieses Umbruchs, sondern steckt mitten in ihm. Der erforderliche Aufbruch verlangt einen ‚radikalen Paradigmenwechsel‘ hin zu einer ‚mutigen kulturellen Revolution‘ (VG 3). Er betrifft Kirche wie Gesellschaft, Theologie wie die Wissenschaften insgesamt. Entscheidendes Merkmal dieser Situation ist, dass die Modelle bisher bewährten und erprobten Handelns versagen und kein Königsweg vorliegt, der aus dieser Krise herausführt. Strategien und Wege zur Überwindung der gegenwärtigen Krise müssen deshalb erst gefunden werden. Sie sollen von der Bereitschaft geleitet sein, bis an die äußersten Grenzen, bis an die Ränder zu gehen, die vom Bewusstsein der Zusage Gottes an den Menschen gesetzt sind (VG 5).

Für diese umfassende Suche unterstreicht die Konstitution die Befähigung zur Zusammenarbeit aller, aber insbesondere der Kirche und der Theologen, ‚in einer Welt, die von einem ethisch-religiösen Pluralismus geprägt ist‘ (VG 5). Für theologische Fakultäten werden neue Impulse zur wissenschaftlichen Forschung gefordert, die zu einem der Wahrheit verpflichteten, vom Respekt vor der Vielfalt der Kulturen geprägten und zugleich von Korrekturbereitschaft erfüllten Handeln führen. VG regt deshalb die Einrichtung ’neuer qualifizierter Forschungszentren‘ an, die von Transdisziplinarität geprägt sind, in denen ‚Wissenschaftler mit unterschiedlichem religiösen Hintergrund und aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen mit verantwortungsvoller Freiheit und gegenseitiger Transparenz interagieren können‘ (VG 5). Als Ort der Zusammenarbeit in der wissenschaftlichen Forschung der verschiedenen Wissenschaften hat sich in allen Ländern die Universität erwiesen. Diese sollen weltweite Netzwerke von Fachzentren bilden um die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung voranzubringen.

Gemäß einer Hermeneutik des Aufbruchs leitet Papst Franziskus aus seiner Analyse vier Kriterien ab, die im Leben theologischer Fakultäten zu beachten sind. Das erste Kriterium betrifft die Rückbindung an die innerste Mitte des Glaubens um so die dialogbereite Offenheit bis an die Ränder menschlichen Lebens zu realisieren (VG 4a). Das zweite Kriterium betrifft die Bereitschaft zum Dialog, die aus einer Kultur der Begegnung mit anderen Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen erwächst. Das dritte Kriterium ist die echte Inter- und Transdisziplinarität. Sie besteht in der Polarität von Einheit und Differenzierung menschlichen Wissens. Der Pluralität der Wissensgebiete muss komplementär die Einheit der Wirklichkeit entsprechen, um die es in aller Pluralität geht. Die wissenschaftliche Reflexion muss in aller methodischen Verschiedenheit der begrifflichen Fassung dieser Polarität gelten. Papst Franziskus mahnt an, sich nicht mit einer ’schwachen … Multidisziplinarität‘ zu begnügen, sondern ’starke … Transdisziplinarität‘ (VG 4c) anzustreben. Das dritte Kriterium der Polarität zwischen dem Ganzen und dem Teil lässt sich nur in weltweiten Netzwerken realisieren. Nur auf diese Weise kommen die verschiedenen Kulturen miteinander ins Gespräch und können so die eine, gemeinsame Quelle des Glaubens in ihrer Vielfalt entdecken.

Die Hermeneutik des Aufbruchs gehört zu den Grundlagen des Lebens der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Erfurter Universität. Deshalb sieht die Fakultät in der Apostolischen Konstitution sowohl Bestätigung ihrer Ausrichtung wie Ermutigung zur weiteren Entfaltung und Gestaltung ihres wissenschaftlichen Programms als theologische Forschungsstätte. Schon die Gründungsväter vor 65 Jahren haben als wichtigen Auftrag für die Fakultät die Verteidigung und Pflege des kulturellen und wissenschaftlichen europäischen Erbes gegenüber ideologischen Verkürzungen atheistischer Provenienz betrachtet und zugleich die Notwendigkeit des Dialogs gesehen. Das Studienprogramm war darauf ausgerichtet. Auch heute sieht die Fakultät ihre Aufgabe in der Befähigung und Bereitschaft zum Dialog mit den anderen Wissenschaften und den religiösen Bekenntnissen und Weltanschauungen, die in der pluralen Gesellschaft begegnen. Das Wissen um die Geschichte der Fakultät wie der Blick auf ihre gegenwärtigen Projekte hat deshalb Pater Bechina, einen führenden Mitarbeiter der Bildungskongregation im Vatikan veranlasst, in einem Interview im L’Osservatore Romano die weltkirchliche Bedeutung der Erfurter Fakultät herauszustellen. Für die Fakultät gilt ihrerseits, die Möglichkeiten, die ihr in der Universität Erfurt und angesichts ihrer Sonderstellung im Osten Deutschlands eröffnet sind, tatkräftig aufzunehmen und zu realisieren. Dazu gehört die Kultur der Begegnung und des Dialogs, die in Forschungsprojekten oder im Studienprogramm etwa mit dem Studium Fundamentale, der möglichen interdisziplinären Ausrichtung von Bachelor- oder Master-Programmen gegeben ist. Im Gespräch mit anderen Wissenschaften bis hin zu den Naturwissenschaften oder den Künsten lässt sich so im durchaus auch strittigen Austausch die Bedeutung von Religion für die Deutung von Wirklichkeit erweisen. Die Fakultät sieht aber auch die Möglichkeit, die Bereitschaft zum Dialog in der gemeinsamen Verantwortung akademischer Selbstverwaltung zu pflegen. Die von Papst Franziskus angesprochene Netzwerk-Fähigkeit der Theologie weltweit wird sowohl auf der Ebene individueller wie auf der Ebene institutioneller wissenschaftlicher Zusammenarbeit im philosophischen und theologischen Austausch aufgenommen. Die Fakultät sieht dabei klar, dass hier noch viel getan werden kann.

Die Hermeneutik des Aufbruchs zeigt sich aber auch in den Beschlüssen der Fakultät, die Bedeutung der Laien und die Rolle der Frauen in der Wissenschaft wie in der Verantwortung und Leitung der Kirche überhaupt zu fördern. Gerade hier stoßen die Projekte der Fakultät auch in Rom auf Interesse. Auf andere Weise gilt das auch für den Stellenwert der Wissenschaftskommunikation, der die Fakultät große Bedeutung beimisst. Das zeigt sich etwa in der Bereitstellung von Personalmitteln für diese Aufgabe sowie in der Bereitschaft von Lehrenden und Studierenden, aktiv an Gesprächs- und Austauschprozessen mit allen Bereichen der Gesellschaft teilzunehmen.

Die Verweise auf die Tätigkeit der Fakultät wollen nicht sagen, dass die Erfurter theologische Fakultät keiner Anstöße und Anstrengung bedarf. Ohne Frage ist vieles, was die Fakultät unternimmt, Projekt in Progress, Baustelle, und bedarf der permanenten Überprüfung, Korrektur und Nachjustierung. Zugleich macht es aber auch deutlich, dass sowohl die gesamtkirchlichen Vorstellungen der Pflege von Wissenschaft und gemeinsam geteilter Verantwortung für die Menschen wie die konkreten Traditionen vor Ort durchaus zusammengehen können zu wechselseitigem Vorteil.“