Prof. Dr. Myriam Wijlens, Professorin für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt, macht in den höchsten Kreisen der Katholischen Kirche Karriere: Seit 2008 ist sie für den Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen tätig; sie leitet eine Kommission zur moralischen Urteilsfindung in den Kirchen, 2015 wurde sie als einzige Kirchenrechtlerin eingeladen, über weitere Reformen in der Katholischen Kirche zu beraten; und unlängst hat Papst Franziskus sie in die Päpstliche Kommission für den Schutz von Minderjährigen berufen. „WortMelder“ hat nachgefragt: „Sind Sie als Frau mit diesen Ämtern eine Ausnahme in der Katholischen Kirche und was müssen Frauen – wie auch Männer – mitbringen, um diese Karriereschritte machen zu können, Frau Professor Wijlens?“:
„Im Jahr 2008 wurde ich vom sogenannten Einheitsrat in den Päpstlichen Rat für die Einheit der Christen berufen. Zuvor hatte ich zum Thema Ökumene und Recht habilitiert und war 2001 im Auftrag der niederländischen Bischofskonferenz an der Vorbereitung der Eheschließung des heutigen Königs Willem Alexander und der Königin Máxima beteiligt. So kam ich erstmals in Kontakt mit dem damaligen Präsidenten des Einheitsrates, Kardinal Walter Kasper. Die theologische Kompetenz in Verbindung mit dem persönlichen Kontakt sowie meine Sprachkenntnisse und internationalen Erfahrungen – ich habe in den Niederlanden, Kanada, USA und Deutschland studiert und gelehrt – führten schließlich dazu, dass ich die Katholische Kirche in der Kommission Glauben und Kirchenverfassung im Weltrat der Kirche in Genf vertreten durfte. Erst 2014 erhielt ich dafür aus dem Vatikan ein neues Mandat für weitere acht Jahre. In dieser Kommission waren die Katholiken zunächst mit zwei Frauen und zwei Männer vertreten. Leider musste meine nordamerikanische Kollegin aus familiären Gründen ihr Mandat inzwischen aufgeben. Ersetzt wurde sie durch einen Südafrikaner, der in Belgien studiert hat, mit einer Deutschen Frau verheiratet ist und in Australien lebt und dort an einer Universität lehrt. Trotz intensiver Bemühungen wurde bisher keine weitere Frau gefunden, die den Kriterien des Heiligen Stuhles in Sachen fachlicher Kompetenz und internationalem Profil entsprach, denn sie sollte zugunsten der Diversität auch nicht aus Europa kommen.
In der Kommission Glauben und Kirchenverfassung wurde ich gebeten, mit einem orthodoxen Kollegen aus Moskau eine Arbeitsgruppe zu leiten. Diese beschäftigt sich mit der Frage nach moralischen Urteilsfindungen in den Kirchen. Zunehmend stellen wir fest, dass vor allem moralische bzw. ethische Themen zu Spannungen in und zwischen den Kirchen führen, die Spaltungen zur Folge haben können oder die Wiederherstellung der Einheit der Kirchen verhindern. Unsere Aufgabe ist es, Hintergründe zu erkunden und Wege zu suchen, damit diese Spannungen nicht zu Spaltungen führen. Hier ist viel Geschick gefragt, da sich nicht nur Personen aus verschiedenen Kirchen treffen, sondern auch Menschen aus sehr unterschiedlichen Kulturen. Das gegenseitige Zuhören muss gelernt werden. Interkulturelle Kommunikationskompetenz ist deswegen auch von den Kommissionsmitgliedern gefragt. Die Kommission Glauben und Kirchenverfassung hat deswegen in den vergangenen Jahren betont, dass Auslandserfahrung für die Mitglieder erwünscht ist, da das Leben und Studieren in einem anderen Land diese Fähigkeiten fördert. Deshalb versuche ich selbst auch immer wieder, meinen Studierenden klar zu machen, wie wichtig Auslandsaufenthalte sind, auch mit Blick auf Tätigkeiten in internationalen Gremien. Wenn Frauen solche Positionen erreichen möchten, müssen sie zeitweise ins Ausland gehen und vor allem English lernen.
2013 wurde ich vom päpstlichen Einheitsrat in die Konsultation zwischen der Katholischen Kirche und der Gemeinschaft der Evangelischen Kirchen in Europa mit Sitz in Wien einberufen. Auch hier bin ich die einzige Frau. Ausschlaggebend für die Berufung war meine kirchenrechtliche Expertise vor allem im Bereich der Kirchenstrukturen. Diese Expertise kam auch zum Tragen als ich 2015 von einer kleinen Gruppe von überwiegend Jesuiten aus Argentinien eingeladen wurde, dem Wunsch Papst Franziskus‘ nachzugehen und über weitere Reformen in der Kirche nachzudenken. Dabei ging es vor allem um das Verhältnis zwischen Bistümern und der Universalkirche. Von 30 Experten waren auch hier nur vier Frauen. Einer der Gründe, mich einzuladen, war, dass einer der argentinischen Kollegen etwa zehn Jahre zuvor einen Vortrag von mir in Chicago gehört hatte und meine Veröffentlichungen seitdem verfolgte. Wir blieben in Kontakt. In all den Jahren konnte ich immer wieder feststellen, wie wichtig es ist, Kontakte mit Kolleginnen und Kollegen weltweit zu pflegen und intensives Networking zu betreiben.
In der Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen im Vatikan ist vor allem der Frauenanteil und wiederum die Internationalität in der Kommission bemerkenswert. Diese Kommission wurde unlängst neu besetzt: neun Frauen und neun Männer aus allen Kontinenten und mit vielfältiger Expertise. Diese Besetzung mit 50 Prozent Frauen ist ein wichtiges Zeichen. Das Thema Kinderschutz ist seit der Kinderrechtskonvention von 1959 bzw. 1989 ein wichtiges Thema. Ging es zuerst um Gesundheit und Bildung von Kindern, so geht es in den letzten Jahren verstärkt um Prävention von Kindesmisshandlung und Kindesmissbrauch. Die Katholische Kirche hat sich einerseits in ihrer Geschichte sehr für Kinder eingesetzt und gehört bis heute zu den führenden Institutionen in der Welt im Bereich Gesundheit und Bildung. Gerade komme ich aus Indien, wo ich erneut erleben konnte, wie z.B. Ordensschwestern Krankenhäuser führen und Schulen leiten, in denen zum Teil bis zu 2.000 Kinder pro Tag unterrichtet werden, die neben ihrer eigenen Sprache auch Englisch lernen, damit ihnen später mehr Möglichkeiten offenstehen. Die Schwestern wollen dabei vor allem Mädchen eine bessere Zukunft ermöglichen. Neben diesen wunderbaren Leistungen für die Gesellschaft steht aber auch der Missbrauch von Kindern, der in den vergangenen Jahren aufgedeckt wurde und auf dessen Hinweise die Kirchenleitungen nicht immer adäquat reagiert haben. Ziel unserer Kommission ist es, das zu ändern. Denn hier liegt nicht nur ein Missbrauch vor, sondern auch ein Vertrauensmissbrauch von Seiten der Institution. Dass ich mit in diese Kommission berufen wurde, liegt auch daran, dass ich mich schon früh mit sexuellem Missbrauch in der Kirche auseinandergesetzt habe. Ich wurde mit dieser Problematik zuerst während meines Studiums von 1986 bis 1990 in Kanada konfrontiert. Später war ich in den Niederlanden an Richtlinien für den kirchlichen Umgang mit Missbrauch tätig. Nachdem ich für ein führendes amerikanisches Handbuch zum Gesetzbuch der katholischen Kirche einen Kommentar zu den Gesetzen zum fahrlässigen Handeln durch Vorgesetze verfasst hatte, wurde ich in Irland von der Bundesgeneralstaatsanwaltschaft als Expertin im Bereich des Kirchenrechtes für ein Gerichtsverfahren bestellt. Bemerkenswert war, dass hier bewusst eine Frau und dazu eine Frau aus dem Ausland gesucht wurde, die einerseits auf internationaler Ebene mit der katholischen Kirche vertraut sein sollte, deren Werdegang aber andererseits nicht von der Kirche in Irland abhängig sein durfte. Auch bei dem Thema Missbrauch und Schutz von Kindern waren also wieder Fachkompetenz, Sprachfähigkeit und ein internationaler Horizont ausschlaggebend für meine Berufung in die Kommission im Vatikan.
Im vergangenen Jahr wurde ich gebeten, einen Beitrag für das Monatsheft „Donne, Chiesa, Mondo“, welche der Tageszeitung des Vatikans „L’Osservatore Romano“ beiliegt, zu schreiben. Aufgabe war, die möglichen Tätigkeiten für Frauen in der Katholischen Kirche zu beschreiben. Dabei habe ich aufgezeigt, dass es rein rechtlich gesehen sehr viele Möglichkeiten für Frauen gibt. Die Reaktionen auf den Beitrag waren bemerkenswert und zeigten, dass viele Menschen gar nicht von diesen Möglichkeiten für Frauen wissen. In den Vatikanischen Behörden sind beispielsweise unlängst erneut zwei Frauen in Leitungspositionen ernannt worden. Auch in deutschen Bistümern werden zunehmend Frauen in die Bistumsleitungen ernannt. Nichtsdestotrotz gilt es, das in der Kirche bereits begonnene Umdenken weiterzuführen, so wie dies auch allgemein in der Gesellschaft weiterhin gefragt ist.“