Nachgefragt: "War Jesus ein Asket, Herr Prof. Bauer?"

Gastbeiträge

Schluss mit lustig: Mit dem heutigen Aschermittwoch beginnt für die katholische Kirche die Fastenzeit. Verzicht und Entbehrung sollen zur inneren Reinigung beitragen und ein Leben der Gläubigen nach dem Vorbild Jesus Christus fördern. Doch wie enthaltsam und arm lebte der historische Jesus von Nazaret eigentlich selbst? „WortMelder“ hat bei Prof. Dr. Dr. Thomas Johann Bauer, Neutestamentler an der Universität Erfurt und Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät, nachgefragt…

Prof. Dr. Dr. Thomas Johann Bauer
Thomas Bauer

„Sicher ist, trotz manch popularwissenschaftlicher Thesen: Jesus war unverheiratet und hatte keine Kinder. Schwierig dagegen ist bereits die Frage, ob der historische Jesus von Nazaret wirklich arm war und nichts sein eigen nennen konnte. Unzweifelhaft ist: Jesus von Nazaret selbst hat im Unterschied zu Johannes dem Täufer nicht im eigentlichen Sinn als Asket gelebt und keine strenge Askese gepredigt und gefordert. Während es in den Evangelien über den Täufer heißt, dass er in der Wüste von wildem Honig und Heuschrecken lebte (Mt 3,4) und dass er kein Brot aß und keinen Wein trank (Lk 7,33), findet sich im Blick auf Jesus der Vorwurf, er sei ein Fresser und Säufer, ein Freund der Zöllner und Dirnen (Mt 11,19; Lk 7,34). Dieses wenig schmeichelhafte Urteil über Jesus verdankt sich kaum der christlichen Gemeinde, sondern bewahrt eine authentische Erinnerung an das Verhalten Jesu, mit dem er bei vielen seiner Zeitgenossen Anstoß erregte, da sie von einem Propheten und Boten Gottes zumindest Fasten und den Verzicht auf Wein erwartet hätten. Dieses Urteil über Jesus passt zu den zahlreichen Erzählungen der neutestamentlichen Evangelien, die Jesus als Gast bei den festlichen Gastmählern seiner reichen Zeitgenossen zeigen.

Der Widerspruch zwischen dem, was Jesus nach dem Zeugnis der Evangelien selbst gelebt hat, und dem, was in den Evangelien als Forderungen für das Verhalten seiner Jünger in der Nachfolge Jesu formuliert ist, war frühen Christen durchaus bewusst. So bemühte man sich um eine Lösung bzw. Erklärung, die diesen offensichtlichen Widerspruch zwischen der Praxis des irdischen Jesus und des vorösterlichen Jüngerkreises auf der einen und der Praxis der nachösterlichen Jesus-Bewegung auf der anderen Seite relativieren und einordnen sollte. Eine Erklärung fand die frühe Kirche in einem möglicherweise authentischen Jesus-Wort, das in Mk 2,18f. überliefert ist:

‚Da die Jünger des Johannes und die Pharisäer zu fasten pflegten, kamen Leute zu Jesus und sagten: Warum fasten deine Jünger nicht, während die Jünger des Johannes und die Jünger der Pharisäer fasten? Jesus antwortete ihnen: Können denn die Hochzeitsgäste fasten, solange der Bräutigam bei ihnen ist? Solange der Bräutigam bei ihnen ist, können sie nicht fasten.‘ (Mk 2,18f.; vgl. Mt 9,14f.; Lk 5,33–35)

Erst mit dem Tod und der Erhöhung Jesu, das heißt mit seiner leiblichen Abwesenheit von der Gemeinde, tritt eine Situation ein, in der das Fasten angemessen ist. Solange Jesus bei den Seinen leibhaft anwesend ist, ist eine Zeit des Festes und der Freude, in der für Fasten als Zeichen der Trauer kein Raum bleibt.

Der historische Jesus von Nazaret hat dieses Wort gewiss nicht so verstanden. Er wollte zum Ausdruck bringen, dass er sich als derjenige verstand, mit dem endgültig das im Bild des Hochzeitsmahls vorgestellte Gottesreich angebrochen ist, das heißt, die spürbare und heilschaffende Gegenwart Gottes bei den Seinen. Wo das Heil wirkmächtig erfahrbar und bleibend gegenwärtig geworden ist, da ist nur Platz für Freude, nicht aber für Fasten, das Ausdruck der Buße und Trauer ist. Für die nachösterliche Gemeinde aber war das Wort eine willkommene Möglichkeit, die eigene Fastenpraxis zu rechtfertigen und in der Verkündigung des vorösterlichen Jesus zu verankern, obwohl er selbst und sein Jüngerkreis sich durch den Verzicht auf das Fasten, das nach damaliger Überzeugung für ein ernsthaftes religiöses oder philosophisches Leben eigentlich unverzichtbar war, signifikant und auffällig von anderen Gruppen des Judentums, aber auch von hellenistischen Philosophenschulen unterschieden und dafür auch kritisiert wurden. […]

Jesus hat nicht von allen, die ihm nachfolgten, radikale Armut und keinen vollständigen Besitzverzicht gefordert. Als jedoch die Worte und das Leben Jesu in den nachösterlichen Gemeinden mehr und mehr in eine theologische Deutung eingehüllt wurden, wurden seine Lebensweise und sein Verhalten zunehmend in eine asketische Lebensweise umgedeutet und als vorbildliche und wegweisende Gestalt christlichen Lebens und Denkens dargestellt.

Der historische Jesus von Nazaret hat in seiner Umgebung verschiedene Formen der Nachfolge geduldet, ohne einer von ihnen den Vorzug zu geben und ihr damit einen höheren Wert beizumessen. Die Lehre Jesu kann nicht als eine asketische Ethik bezeichnet werden, auch wenn seine überlieferten Worte Aussagen enthielt, an die später solche Forderungen einer konsequenten Askese anknüpfen konnten. […]“

THEOLOGIE AKTUELL

Dieser Text erschien zuerst in ungekürzter Fassung auf "Theologie Aktuell", dem Blog der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt.