Nachgefragt: „Verliert Myanmar gerade die Zukunft an die Vergangenheit, Herr Prof. Kemmerling?"

Gastbeiträge

Das Militär in Myanmar hatte sich vor gut einer Woche zurück an die Macht geputscht. Aung San Suu Kyi, deren Partei die Parlamentswahl im November deutlich für sich entschieden hatte, und Dutzende weiterer Politiker wurden festgesetzt. Die Friedensnobelpreisträgerin soll sich seither im Hausarrest befinden - wie zu Zeiten der früheren Militärdiktatur. Aber: Der Protest gegen das Militär ist stark. Trotz Internetsperre organisieren sich Zehntausende und gehen auf die Straße - in Rot gekleidet, der Farbe des Widerstands. „WortMelder“ hat bei Achim Kemmerling, Professor für Public Policy and Development an der Willy Brandt School of Public Policy der Universität Erfurt, nachgefragt: „Verliert Myanmar gerade die Zukunft an die Vergangenheit oder hat sich das Militär mit den Falschen angelegt?“

"Zunächst mal ist die Situation tragisch für die Bevölkerung. Auch wenn sich viele im Land mehr von einer Regierung unter der Führung Aung San Suu Kyis versprochen haben, waren die Wahlen von 2015 und 2020 dennoch Zeichen demokratischer Öffnung. Ich kenne viele Menschen persönlich, die die Öffnung massiv unterstützt und vorangetrieben haben. Der Militärputsch wirft diese Anstrengungen wieder um Jahre zurück.

Prof. Dr. Achim Kemmerling

Um auch nur irgendwie Prognosen über den weiteren Verlauf des Militärputsches machen zu können, müssten wir besser die Motive für den Putsch verstehen. Doch die sind immer noch nebulös. Persönliche Gründe des Oberkommandeurs Min Aung Hlaings scheinen eine Rolle zu spielen. Min Aung Hlaing hätte demnächst das Höchstalter für Generäle erreicht und müsste folglich zurücktreten. Vielleicht fürchtet er, im Ruhestand für vergangene Gräueltaten belangt zu werden. Oder er, seine Familie und weitere Mitglieder der Junta fürchten um ihren Einfluss in von den Militärs kontrollierten Firmen. Ein anderer Grund könnte strukturell sein: Die Wahl im November 2020 führte zu einem überwältigenden Sieg der Regierungspartei. Zwar halten die Militärs im Parlament immer noch eine wichtige Sperrminorität von 25 Prozent der Sitze. Aber mit der Dominanz von Aung San Suu Kyis Partei könnte die Gefahr für eine Entmachtung der Militärs größer geworden sein. In diesem Zusammenhang sind sicher auch die Wahlbetrugsvorwürfe zu sehen. Natürlich verliefen die Wahlen in den Bürgerkriegsregionen des Landes keineswegs glücklich. Dennoch scheint das Argument der Militärs eher vorgeschoben.

Leider hat auch die Pandemie zu dem Putsch beigetragen. Das Land hat gerade wieder Hilfe vom Internationalen Währungsfond bekommen, und die Corona-bedingten Auflagen waren schon vor dem Putsch drastisch. Dadurch lässt sich aber auch ein Ausnahmezustand besser organisieren. Insofern ist Myanmar vielleicht eine der ersten Corona-Diktaturen.

Die Proteste gehen, trotz erheblicher Repressalien, weiter. Es kommt zu Demonstrationen, Generalstreiks und sogar zu Widerstand aus den Reihen der Staatsbediensteten und der Polizei.  Mehrere westliche Länder habe bereits Sanktionen angedroht oder sogar verhängt: z.B. die Vereinigten Staaten und Australien. Europäische Länder werden sicherlich folgen. Allerdings werden sich autokratische Länder wie China oder Russland kaum anschließen. Daher ist es sehr fraglich, wer in absehbarer Zeit die Oberhand behält. Das Militär hat das Land, wieder einmal, um Jahre zurückgeworfen."

Bildnachweis oben: Pagode in Myanmar (Pixabay)