Was fällt Ihnen spontan ein, wenn Sie den Namen Jane Fonda hören? Wenn Sie neben „oscarprämierte Schauspielerin“ und „Tochter des großen Schauspielers Henry Fonda“ auch sofort an „Aerobic“ denken, dann gehören Sie wahrscheinlich einer Generation an, die sich an die Anfänge der mittlerweile über 30 Jahre andauernden Fitnesswelle noch gut erinnern kann. Denn während heute Fitnessarmbänder, Smartphones und Fitnessapps eine neue Ära der Körperdisziplin eingeläutet haben, liegen Anfänge dieses Booms in den späten 1970er-Jahren als Jane Fonda mit ihren Aerobic-Videos zur Fitness-Queen schlechthin avancierte. Woran aber die wenigsten denken werden, ist „Feminismus“ – im Gegenteil, steckt hier doch scheinbar die Quelle eines Schönheits- und Körperideals, an dem sich Frauen bis heute messen. Aber: Eng gekoppelt an diese Darstellung sexualisierter schlanker Normkörper war eine feministische Bewegung, die das Recht auf den eigenen Körper ganz prägnant formulierte. Weiblicher Breitensport entwickelte sich ab hier zwar einerseits verstärkt zu einer Unterwerfung unter eine ganz bestimmte Körpernorm, gleichzeitig aber auch zu einer Form weiblicher Ermächtigung, zu dem Bewusstsein „Mein Körper gehört mir und ich kann ihn selbst gestalten“. Genau das ist es, was Jürgen Martschukat, Professor für Nordamerikanische Geschichte mit Schwerpunkten in der Geschlechter- und Körperforschung an der Universität Erfurt, am Thema Fitness interessiert: Ambivalenzen. In seinem neuen Publikationsprojekt über Fitness will er einige davon untersuchen und aufzeigen, inwiefern der Hype um Fitness auch mit einer politischen und ökonomischen Veränderung einhergeht. Ein Gespräch über Freiheit, Stulpen und Wohlstandswampen…
Prof. Martschukat, wie sich das für einen Amerikanisten gehört, untersuchen Sie das Fitness-Phänomen doch sicher aus US-Perspektive?! Was ist Ihr Ausgangspunkt dabei?
Ausgangspunkt soll das in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung verankerte Recht auf das Streben nach Glück sein, also ‚the pursuit of happiness‘. Das ist ein ganz zentrales Paradigma in den USA. Jeder Mensch hat das Recht auf Streben nach Glück. Und angesichts der Fitnesswelle der letzten Jahrzehnte möchte ich mich an dieses zentrale Paradigma anlehnen und von dem ‚pursuit of fitness‘ sprechen. Fitness ist nichts, was wir haben, sondern etwas, das wir uns erarbeiten müssen, wonach wir streben müssen. Und auch wenn man sich Fitness einmal erarbeitet hat, dann hat man sie nicht für den Rest seines Lebens. Sondern Fitness ist sozusagen eine Anrufung, permanent an sich zu arbeiten und sich selber in einen Zustand zu versetzen, in dem man die Anforderungen der Gesellschaft erfüllen kann. Und ich untersuche das für die USA, und allgemeiner für freiheitliche Gesellschaften, weil ich glaube, dass dort genau diese spezifische Form von Leistungsfähigkeit zentral ist, die von Menschen gefordert wird: nämlich diese selbst gesteuerte, selbst kontrollierte, selbst erarbeitete Leistungsfähigkeit, die auch zeigt, dass man eigenverantwortlich mit seiner Freiheit umgehen kann und ein guter und produktiver Staatsbürger ist. Hier wird es immer wieder Querverbindungen zwischen den USA und Westeuropa, Deutschland und dem Commonwealth geben, wo sich der Fitness-Trend parallel, aber mit geringerer Wucht entwickelte. Ich schreibe zwar hauptsächlich über die USA, allgemein aber auch über Fitness als ein organisierendes Prinzip freiheitlicher Gesellschaften.
Sie erwähnten gerade den Fitness-Hype der vergangenen Jahrzehnte. Woher kommt denn der Fitnessbegriff überhaupt und wie veränderte er sich?
Erst im 19. Jahrhundert beginnt der Fitness-Begriff, Gestalt anzunehmen. Mit dem Darwinismus ab den 1860er-Jahren kam die Idee vom Streben nach Fitness als Naturnotwendigkeit im Wettbewerb auf. Ganz lange wurde Fitness dann biologisch gedacht: Es gebe eine bestimmte Festlegung von Menschen in einem bestimmten Genpool und wer keinen Normkörper habe, habe eben keinen. Schon ab den 1890er-Jahren, dann aber ganz besonders mit der Fitnesswelle ab den 1970ern, die Hauptgegenstand meiner Untersuchungen ist, hat sich das grundlegend geändert. Plötzlich wurde erkannt, dass der Körper etwas ist, das flexibel ist, das gestaltbar ist, das man bearbeiten und verändern kann. Diese Erkenntnis war vor allem in den Siebzigern eine unglaubliche Befreiung, weil damit auch die Plausibilität von biologisch gedachten Normen verlorengegangen ist – also der männliche, weiße und heterosexuelle Körper als Norm. Gleichzeitig hat diese Freiheit auch neue Anforderungen an die Menschen formuliert, weil sie aufgefordert wurden, permanent an sich zu arbeiten, um einen leistungsfähigen Körper herzustellen und eben ein wertvoller Teil der Gesellschaft zu sein. Die Aerobic-Welle mit Jane Fonda als einer ihrer führenden Figuren ist hier ein wunderbares Beispiel, über das meine Doktorandin Melanie Woitas forscht.
Also bedeutet Fitness nicht einfach nur sportlich zu sein, es hat auch eine politische Dimension?
Ja, denn was man beobachten kann, ist, dass dieser Hype um Fitness mit einer politischen, mit einer ökonomischen Veränderung in der Gesellschaft einherging, die man als Neoliberalismus beschreibt – also als eine sehr starke Betonung von Marktförmigkeit, weniger Umverteilung, weniger Sozialsysteme, dafür mehr Eigenverantwortung und mehr Anforderungen, an seiner eigenen Fähigkeit zu arbeiten. Fitness und Neoliberalismus sind also zwei Bewegungen, die miteinander einhergehen und Fragen aufwerfen wie: Warum wird manchen Leuten ein stärkeres Potenzial zur Fitness zugetraut als anderen? Wie organisieren sich Gesellschaften darüber? Wer ist eigentlich in der Lage, an seinem Körper zu arbeiten und sich zu perfektionieren? Früher ist das, wie gesagt, ein Privileg vor allem weißer Männer gewesen. Nun kann man fragen, warum hat Körperlichkeit und Sport heute beispielsweise in der afroamerikanischen Community so eine Bedeutung? Oder warum war Körpertraining und Sport etwas, das die Frauenbewegung in der Geschichte immer wieder für sich als ein Recht eingefordert hat? Fitness ist dabei viel mehr als Sport und gesunde Ernährung, es bedeutet auch, über seinen eigenen Körper bestimmen zu können, und es definiert sich letztlich sogar darüber die Fähigkeit, ein guter Staatsbürger zu sein. Wenn mich jemand fragt, woran ich gerade arbeite, sage ich deshalb immer: an einer Kritik des Neoliberalismus. Weil er Menschen dazu anhält, permanent an ihrer Fitness zu arbeiten und für sich selbst verantwortlich zu werden.
Sie sagen also, eine gewisse Fitness wird als Notwendigkeit angesehen, um ein eigenverantwortliches und produktives Gesellschaftsmitglied sein zu können. Wie wollen Sie diese These untermauern?
Ich möchte mir drei Bereiche näher anschauen, in denen man sich als produktive Staatsbürger beweisen muss. Zum Beispiel, wie Fitness und Arbeit gekoppelt sind – Produktivität im Sinne von Wertschöpfung also. Fitness und Sexualität ist ein weiteres Kapitel: Fitness, Potenz und Reproduktivität, Fitness zur Aufrechterhaltung der Bevölkerung. Hier soll es auch um Viagra gehen als Beispiel von Performance Enhancement und Doping, also Wege, seine Fitness über Pillen und Stimulanzien zu verstärken. Und schließlich als dritter Bereich Fitness und Wehrhaftigkeit am Beispiel des Militärs. Dabei geht es um körperliche Fitness, aber auch um mentale Fitness und um posttraumatische Belastungsstörungen. Diese treten in unserer Gesellschaft ja immer häufiger auf, seitdem mehr und mehr Soldatinnen und Soldaten aus Kriegsgebieten zurückkommen. In den USA war das vor allem ein Thema nach dem Vietnamkrieg, also Mitte bis Ende der 70er-Jahre. Seit 1980 ist dort PTBS als Krankheitsbild anerkannt. Das hatte schon sehr starke Auswirkungen auf die Vorstellungen von den USA als einer wehrhaften Nation und insbesondere auf die Vorstellung von US-amerikanischen Männern als Männer, die für die Verteidigung der Gesellschaft sorgen können.
Das bedeutet, wenn jemand krank ist, wird automatisch auch an seiner Fitness gezweifelt? Wie stark ist Fitness denn an den Gesundheitsbegriff gekoppelt?
Gesundheit wird seit Ende des Zweiten Weltkrieges und noch stärker seit den 70ern als körperliche, mentale und soziale Befähigung gesehen. Die Weltgesundheitsorganisation definiert sie als „Zustand des vollkommenen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens“ und nicht als bloße Abwesenheit von Krankheit oder Gebrechen. Und hier liegt für mich ein zentraler Aspekt: Krankheit kann man nicht immer abwehren, aber da Gesundheit eindeutig mehr als die Abwesenheit von Krankheit ist, ist sie eben auch etwas, wofür man selbst verantwortlich ist, wofür man – soweit es geht – sorgen kann oder muss. Heute ist überall von Prävention die Rede und das ruft das selbstverantwortliche Subjekt auf, zur Vorsorge zu gehen, nicht zu viel fettes Fleisch oder Chips zu essen, nicht zu viel Bier zu trinken, morgens eine Runde schwimmen zu gehen. Ich würde natürlich nie auf die Idee kommen, Gesundheit als Wert in Frage stellen zu wollen, aber es gibt normative und regulierende Effekte von Gesundheit und Fitness, die ich herausarbeiten möchte. Dabei geht um ganz alltägliche Praktiken und plötzlich wird die abstrakte Neoliberalismus-Theorie ganz konkret: Was machen die Leute eigentlich in ihrem Alltag? Was essen sie, wie verhalten sie sich? Was tun Firmen, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazu zu kriegen, sich fit zu machen? Was tun Krankenkassen, die ja mittlerweile Fitnessarmbänder bezuschussen, mit denen man sich selbst tracken kann und seine Körperwerte bis in den Schlaf hinein verfolgen kann? Was verspricht die Werbung…?
Apropos Werbung, steckt hinter dem Fitness-Hype nicht auch einfach eine immense Industrie?
Natürlich steckt eine ganz große Industrie dahinter. Das fing schon um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert an, als Fitnessgürtel, Pülverchen oder Kuren verkauft wurden. Seit den 70ern hat das noch einmal einen unheimlichen Schwung bekommen, der Sportartikelmarkt ist explodiert. Es kamen Nahrungsergänzungsmittel, Energiedrinks, der Power-Bar, Diätprodukte und leistungssteigernde Mittel hinzu – und Instrumente, sich selbst zu kontrollieren und zu messen. Das begann mit kleinen Fitnessbüchlein mit Formularen, in denen man von den Kalorien bis zur Laufstrecke alles erfassen konnte, und zeigt sich heute mit der Weiterentwicklung der Technologie in den Möglichkeiten, die Smartphones bieten, damit sich die Menschen im Alltag selbst regulieren können. Das ist ein riesiger Markt. Natürlich gibt es auch Moden und Trends, die eigens dafür geschaffen wurden. Bis zur Aerobic-Welle hat schließlich niemand Fitnessbodys und Stulpen getragen. Jogginghosen, Schweißbänder, Leggins waren in den 80ern plötzlich auch außerhalb des Sports Mode. Aber insgesamt würde ich nie sagen, die Industrie produziert das und unterwirft uns alle, sondern es ist eher ein Miteinander. Die Werbung geht trotzdem ganz geschickt vor: Mit Slogans wie „Be a better human“ oder „There’s a better version of you out there“ verspricht sie etwas und fordert zugleich auf, an sich zu arbeiten, um ein besserer Mensch zu werden. Sie spielt dabei schon fast mit einer eugenischen Unterscheidung: Die Guten sind die Schlanken, die für sich sorgen…
…und im Umkehrschluss sind die Schlechten die Dicken und Gescheiterten?
Das wird uns häufig suggeriert. Aber das ist etwas, das ich kritisch zu betrachten versuche: dass Menschen, die diesen Normkörper nicht haben können oder wollen, dauernd mit diesem Normkörper konfrontiert werden und dazu angehalten werden, weiter und stärker daran zu arbeiten. Und das ist ja nicht nur eine Aufforderung an jene Menschen, die nach diesen Normen zu dick sind, sondern auch für diejenigen, die schlank sind, nicht nachzulassen. Fitness ist ja sehr fragil. Wenn ich aufhöre, auf meine Ernährung zu achten, verliere ich meine Fitness. Es ist also auch eine Ermahnung, weiterzumachen. Und die hat eine enorme Wirkmacht. Aber auch in der medizinischen und naturwissenschaftlichen Forschung wird das immer häufiger kritisch betrachtet. Es gibt mittlerweile Studien, die zeigen, dass ein wenig Körperfülle die Lebenserwartung erhöht, weil Menschen dann resistenter sind bei Krankheiten und im Zweifelsfall mehr haben, wovon sie zehren können. Aber solche Erkenntnisse können sich allgemein gegen die Verteufelung von Dicksein und gegen den sehr schlanken und trainierten Körper als Normkörper nur sehr schwer behaupten.
Man hört immer wieder, dass sich vor allem bestimmte Bevölkerungsschichten schlecht ernähren und dicker sind. In Ihrer Forschung beschäftigen Sie sich ja auch mit Ernährung, Gesundheit und sozialer Ordnung. Sind Fitness und Fitnessdefizite denn milieuabhängig?
In den vergangenen Jahren wurde immer häufiger untersucht, wie Armutsstrukturen in Gesellschaften funktionieren, auch in Koppelung an Untersuchungen der Körperlichkeit. Das untersuchen wir auch in einem anderen Forschungsprojekt und auch in meinem geplanten Fitness-Buch werde ich das einbinden. Aber hier muss man differenzieren. Ich glaube, man kann nicht sagen, dass Fitness allgemein schichtabhängig ist. Aber so etwas wie „Unfitness“ wird als Zeichen des Versagens an den gesellschaftlichen Anforderungen vor allem dann gedeutet, wenn es mit der „Lower Class“ zusammenhängt. Wenn ich ein Unternehmer oder ein erfolgreicher Politiker bin, dann muss ich mir auch kritische Fragen gefallen lassen, wenn ich dick bin. Aber wenn ich ökonomisch oder politisch erfolgreich bin, dann steht eine dicke Wampe nicht so sehr für ein vollkommenes Scheitern. Der Prototyp des erfolgreichen Managers ist zwar der schlanke, fitte Manager, der ein Laufband in seinem Büro stehen hat, und nicht mehr der dicke Unternehmer mit der Wohlstandswampe, bei dem Dicksein noch ein Zeichen von Erfolg war. Aber Wohlstand und Dicksein vertragen sich noch relativ gut miteinander. Und wenn von ein Adipositas-Epidemie die Rede ist, die die westlichen Gesellschaften erfasse, dann ist vor allem vom Dicksein als Armutszeichen die Rede. Statistisch gesehen, sind es in den USA auch häufig die Ärmsten der Armen, die am meisten Pfunde mit sich herumschleppen. Und wenn Körperfülle und Armut zusammenkommen, dann haben wir es auf jeden Fall mit einer sehr brisanten Mischung von Fitness und Schichtabhängigkeit zu tun.
Nun haben Sie uns interessante Einblicke gegeben und uns auf weitere neugierig gemacht. Wann wird Ihr Buch denn erscheinen?
Jetzt muss ich aufpassen, was ich sage, damit ich mir nicht selbst Druck mache. (lacht) Ich habe gerade Rohfassungen der ersten beiden Kapitel fertiggestellt. 2018 habe ich noch einmal den Luxus eines Forschungssemesters, dann soll das Manuskript endgültig stehen. Bis dahin heißt es, weiter Material sammeln und – wie man so schön sagt – anforschen.
Und für die Neugierigen unter uns erst einmal: gedulden...