Vor einem Jahr schlossen die ersten Geschäfte in Deutschland, Dienstleistungsbetriebe stellten ihre Arbeit ein, Kindertagesstätten und Schulen wurden „dicht“ gemacht, die Bevölkerung wurde angehalten, möglichst zu Hause zu bleiben. Der „Lockdown“ – ein Begriff, der vorher kaum zum gängigen Sprachgebrauch gehörte, – war plötzlich in aller Munde und bestimmt(e) unser Leben. Ausgelöst wurde er durch ein unberechenbares, sehr ansteckendes Virus namens SARS-CoV-2, das sich immer rasanter ausbreitete. Plötzlich steckte Deutschland gemeinsam mit dem Rest der Welt in einer Pandemie. Was machte und macht das mit den Menschen hierzulande? Wie schätzten sie ihr Infektionsrisiko ein? Wie fühlen sie sich im Lockdown? Und vertrauen sie der Regierung und den beschlossenen Maßnahmen? Diese Fragen bewegte ein kleines Forschungsteam an der Universität Erfurt rund um die Psychologin und Professorin für Gesundheitskommunikation Cornelia Betsch. Bereits Anfang März 2020 starteten sie deshalb das Projekt COSMO (COVID-19 Snapshot MOnitoring), in dem sie regelmäßig die Bevölkerung zu ihrem Befinden und ihren Einstellungen befragen – nicht ahnend, welche Bedeutung ihre Datenerhebungen bald haben würden. Mittlerweile gehört Cornelia Betsch dem Beratungsgremium der Bundesregierung an und die COSMO-Ergebnisse werden von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bis hin zur New York Times zitiert. Die jungen Wissenschaftler*innen Lars Korn, Sarah Eitze und Philipp Sprengholz waren von der ersten Befragungswelle an dabei. Zeit, ausnahmsweise einmal sie zu fragen, wie sie den Pandemiebeginn erlebten und wie es ihnen seitdem erging.
„Als die ersten Fälle aus China bekannt wurden und das Virus langsam auf die anderen Kontinente überschwappte, hat noch niemand von uns daran gedacht, dass wir einmal so eine große Studie dazu machen würden“, erinnert sich Philipp Sprengholz, der im Rahmen seiner Dissertation bei Cornelia Betsch zum Thema Impfpflicht forscht. „Selbst als die mediale Präsenz immer größer wurde, haben wir noch gedacht: Naja, wir schauen erst einmal...“ Lars Korn nickt. Der Psychologe hatte gerade seine Doktorarbeit über Impfdilemmata abgegeben, als es mit COSMO losging. „Am Anfang war das Projekt noch eher wie eine kleine psychologische Studie gedacht. Doch was dann passierte, damit haben wir nicht gerechnet. Wir haben ja alle in anderen Projekten gearbeitet und mussten uns dann schnell neu koordinieren, weil es plötzlich so viel Arbeit gab.“ Sarah Eitze lacht: „Und nach den ersten zwei Erhebungen haben wir auch noch gedacht: Die Daten sind so spannend, die könnten wir vielleicht noch auf einer Tagung dieses Jahr vorstellen. Wir haben selbst noch gar nicht verstanden, dass es solche Veranstaltungen nicht geben wird.“ Wie ihre beiden Kollegen ist Eitze Doktorandin an der Professur für Gesundheitskommunikation der Universität Erfurt. Hier forscht sie im Projekt Impfen 60+ zum Thema Grippeschutzimpfung bei älteren Personen. Während Lars Korn froh ist, seine Dissertation vor COSMO abgeschlossen zu haben, läuft ihre Doktorarbeit wie auch die von Philipp Sprengholz neben der Arbeit an den Befragungswellen weiter. Durch die thematischen Schnittpunkte mit Aspekten, die auch in der Pandemie immer wieder eine Rolle spielen, können sie so trotz der vielen Arbeit auch fachlich von der Studie profitieren. „Ein Forschungspapier steht bei mir noch aus und ich kann in diesem alles, was ich in COSMO an Analyseverfahren, Aufzeigen von Datenzusammenhängen etc. gelernt habe, anwenden“, sagt Eitze. „Und da eine Impfpflicht auch bei Corona immer wieder diskutiert wurde, kann ich die Studie sogar nutzen, um eigene Erhebungen für meine Dissertation zu machen“, fügt Sprengholz hinzu. Der fachliche Input der Studie ist ein schöner Nebeneffekt für die Wissenschaftler*innen. Doch die Hauptmotivation für ihre Arbeit ist er nicht. Denn das gesamte Team ist froh, in dieser schwierigen Situation etwas Positives beizutragen und den Menschen das Gefühl zu geben, dass ihre Emotionen und Einstellungen jemanden interessieren, dass sie in die politische Entscheidungsfindung einfließen. Auch wenn es mitunter frustrierend sein kann, wenn Entscheidungsträger manchmal klare Trends ignorieren oder für die Rechtfertigung einer Policy im November Daten aus dem Juni heranziehen. „Aber gemeckert ist immer schnell“, sagt Sprengholz. „Ich denke, es gibt Verbesserungspotenzial seitens der Entscheider, aber es ist ja auch nicht so, dass unsere Arbeit gar nicht gehört wird. Deswegen ist es trotzdem motivierend, dabei zu bleiben.“ So könnten die Forscher*innen wenigstens ein bisschen dazu beitragen, dass man die Menschen verstehe und dass man sehe, welche Tendenzen sich wie in der Bevölkerung ändern, weiß Eitze. „Ich habe Bekannte, die seit einem Jahr zu Hause sitzen und gar nicht arbeiten dürfen. Ich weiß es deshalb zu schätzen, dass wir einen Beitrag leisten können.“
Apropos zu Hause sitzen – das muss das COSMO-Team natürlich trotzdem. Denn wie es sich zu Pandemiezeiten gehört, arbeiten auch sie größtenteils im Homeoffice und tauschen sich über Online-Anwendungen aus. „Die Partner meines Forschungsprojektes ‚I-Vax Game‘ saßen erst in Aachen und nun in Kopenhagen. Für mich ist diese Form der Zusammenarbeit also schon längst Alltag – und sie entspricht auch vielmehr meiner Persönlichkeit“, sagt Korn. So kam es ihm sogar zugute, dass die Verteidigung seiner Doktorarbeit online stattfand. Er könne sich so viel besser auf die eigentliche Arbeit fokussieren. Auch seine Kolleg*innen können sich mit der Zusammenarbeit auf Distanz gut arrangieren. „Natürlich ist es schöner, wenn man sich persönlich sieht“, sagt Philipp Sprengholz. „Aber es ist auch so in Ordnung. Gerade ich kann mich nicht beschweren. Vor ein paar Monaten habe ich noch nebenbei in der Industrie gearbeitet und saß in einem riesigen Betonklotz ohne Tageslicht. Jetzt sitze ich in meinem hellen Wohnzimmer.“ Sich das Positive aus dieser nervenaufreibenden Zeit zu ziehen, ist gerade für das COSMO-Team wichtig. Denn ihre Arbeit konfrontiert die Gruppe stetig mit der Pandemie: Sie beobachten ununterbrochen, welche Themen gerade in der Bevölkerung und in den Medien besonders diskutiert werden, und passen ihren Fragebogen bei jeder Befragungswelle darauf an. Auch die Wünsche der Partnerinstitutionen wie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und des Robert Koch-Instituts fließen ein. Dann werden die Fragebögen über einen Pool an Probanden, den eine externe Firma zur Verfügung stellt, für etwa 36 Stunden an etwa 1.000 Personen „ausgerollt“. Nachdem die Befragung geschlossen ist, geht die Auswertungsarbeit des Teams los. Jedes Mitglied nimmt sich ein Themengebiet und analysiert die Daten, erstellt Grafiken und Auswertungstabellen. Wieder innerhalb von 36 Stunden muss die Auswertung stehen und auf die COSMO-Website hochgeladen werden. Dann beginnt die Arbeit von vorn. Ein Abschalten von Corona gibt es für die Wissenschaftler*innen kaum. Denn privat geht es ihnen natürlich auch wie allen anderen: keine Feiern mit Familie oder Freunden, kein Stadtbummel, kein Café- oder Restaurantbesuch, keine Urlaubsreisen. Dabei stoßen auch einige unter ihnen mittlerweile an ihre Grenzen – wie Lars Korn gesteht: „Ich lebe allein und es ist mit der Zeit schon sehr belastend, wenn man niemanden um sich hat. Es zehrt an den Nerven und manchmal fühle ich mich schon durch Kleinigkeiten wie Lärm des Nachbarn schnell gestresst. Ich beginne dann auch schon mal, an mir selbst zu zweifeln, denn ich weiß nicht, ob ich zu empfindlich reagiere, oder ob etwas wirklich nervig ist.“ Und dann hilft die viele Arbeit doch irgendwie über die Zeit hinweg. „Es passiert gerade nichts und jeder Tag ist gleich“, sagt Eitze. „Dadurch geht die Zeit gefühlt auch rasend schnell vorbei. Das erschreckt mich manchmal, aber gleichzeitig ist das auch ganz gut, weil es hoffen lässt, dass der Weg aus der Pandemie dann doch schneller geht als man das jetzt denkt.“ Und dann? Welche Pläne haben die drei nach der Pandemie? „Dann mache ich erst einmal richtig Urlaub und schalte für einen Moment ab“, sagt Sprengholz während seine beiden Kolleg*innen zustimmend lächeln. Und anschließend könnten sie alle Daten noch einmal zusammensammeln und systematisch wissenschaftlich aufbereiten, betonen sie. „Irgendwie müssen unsere Erhebungen ja noch in die wissenschaftlichen Zeitschriften gelangen“, sagt Sarah Eitze. „Wir haben so viele Daten, dass wir auch nach Ende der Pandemie über Monate oder sogar Jahre noch Auswertungen machen können. Ob das dann überhaupt noch jemand hören möchte, ist eine andere Frage. Doch vielleicht braucht man diese zu einem späteren Zeitpunkt ja nochmal ... aber das hoffen wir natürlich nicht.“
Abbildung: das gesamte COSMO-Team, darunter Lars Korn (1.v.li.), Philipp Sprengholz (3.v.li.), Sarah Eitze (3.v.re.) und Prof. Dr. Cornelia Betsch (4.v.re.)
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