Das neue Wissenschaftsjahr des Bundesministeriums für Bildung und Forschung widmet sich 2018 dem Thema „Arbeitswelten der Zukunft“. Es soll „erkunden, welche Chancen sich eröffnen und vor welchen Herausforderungen wir stehen“. Forschung, Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur suchen gemeinsam nach Antworten auf Fragen zu den Arbeitsplätzen von übermorgen. Auch die Universität Erfurt beteiligt sich mit einer Beitragsreihe wieder am Themenjahr des BMBF und geht dabei aus geisteswissenschaftlicher Sicht der Frage auf den Grund, wie sich zukünftige Arbeitswelten gestalten werden. Welche Ängste bringen Digitalisierung und Robotik mit sich? Wie haben sich Berufe gewandelt, beispielsweise der Lehrerberuf, die Arbeit in Bibliotheken und Archiven oder die Tätigkeit des Forschers selbst? Was ist Arbeit überhaupt, etwa lediglich die Erwerbstätigkeit oder nicht doch alles, was uns im Leben prägt, von familiären und freundschaftlichen Beziehungen bis hin zur Muße? Welche Rolle spielen zukünftig Internationalisierung, Ehrenamt, ständige Leistungssteigerung und Work-Life-Balance? Und wie müssen sich Unternehmen verändern, um zukunftsfähig zu bleiben? Diese und weitere Fragen sollen in der Textreihe „Arbeitswelten der Zukunft – Beiträge der Universität Erfurt zum Wissenschaftsjahr 2018“ diskutiert werden.
Im dritten Beitrag der Reihe zeigt Prof. Dr. Achim Kemmerling, Professor für Public Policy and International Development an der Willy Brandt School of Public Policy der Universität Erfurt, inwiefern die Angst vor technischem Wandel heute schon die Politik prägt:
Arbeit ist ein knappes Gut in modernen Gesellschaften. So knapp, dass viele Menschen eine Art Tunnelblick entwickeln: Sie können an nichts Anderes mehr denken als an die Sicherheit ihres Jobs oder die Chance, einen neuen Job zu finden. Die Psychologen Mullainathan und Shafir zeigen, wie Menschen in solchen Situationen die falschen Entscheidungen treffen können. Sprich: Wer sich zu sehr auf das Thema konzentriert, erreicht genau das Gegenteil – so als versuche man einen zerbrechlichen Gegenstand mit zu viel Kraft festzuhalten.
Vor diesem Hintergrund wirken die jüngsten Studien zu den Arbeitsmarkteffekten der Automatisierung und Robotik einschüchternd. Eine vielzitierte Studie der Ökonomen Frey und Osborne rechnet für manche Branchen mit bis zu 50 Prozent Jobverlust. Wenngleich andere Autoren zu weniger dramatischen Befunden kommen: Die Unsicherheit im öffentlichen Diskurs ist sichtbar.
Dabei ist oft unklar, was genau gemeint ist: Automatisierung, Digitalisierung oder technischer Fortschritt im Allgemeinen? Auch sind diese Phänomene nicht besonders neu, Rationalisierungsprozesse in Industrieproduktion gibt es schon seit Langem. Was jedoch in jüngster Zeit besonders greifbar scheint, sind Themen wie selbstfahrende Autos – immerhin hängen mehr als zehn Prozent der Arbeitsplätze in Deutschland mit Autofahren zusammen. Automatisierung wird auch plastisch in Form von elektronischen Haushaltshilfen. Digitalisierung schneidet zudem eine Schneise in die früher als sicher geltenden Schreibtischjobs, z.B. Versicherung oder Buchhaltung. Ihre Zuspitzung finden solche Debatten im Thema der künstlichen Intelligenz, die eindeutig auch hochwertige Arbeitsplätze gefährden könnte.
Aus wissenschaftlicher Perspektive wird bereits viel über das projizierte Ausmaß des technischen Wandels geforscht. Aber was wissen wir darüber, wie diese Diskussion den öffentlichen Raum verändern und vielleicht sogar Politik-Ergebnisse beeinflussen könnte? Diese Frage ist in zweierlei Hinsicht nicht trivial. Erstens kommen, wie bereits angedeutet, wirtschaftswissenschaftliche Studien zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen. Es herrscht daher immer noch ein hohes Maß an Unsicherheit über die tatsächlichen Konsequenzen. Zweitens reagieren sowohl öffentliche Meinung als auch der politische Prozess nicht rein sachlich oder ungefiltert auf diese Information, sondern es kommt zu Unterschieden zwischen tatsächlichen und wahrgenommen Bedrohungen. Beispielsweise springen Medien und Politiker nicht auf alle Themen in ähnlicher Weise an, und sie sind sich dessen manchmal auch gar nicht bewusst.
Es gibt zwar schon einige Beiträge darüber, wie Gesellschaft und Politik das Problem wahrnehmen, dennoch steht die Forschung hier noch relativ am Anfang. Aber man kann vergleichen: Was lassen vergangene Innovationswellen für die derzeitige Diskussion erwarten? Und welche Folgen hat es, wie derzeit über Zukunft argumentiert und verhandelt wird, schon jetzt für die Politik?
Wirtschaftshistoriker wie Mokyr und andere zeigen, dass die verändernde Kraft neuer Technologien ein stetig wiederkehrendes Thema ist. Allerdings gibt es dabei nicht nur Episoden von Fortschrittsangst, sondern auch solche (naiven) Fortschrittsglaubens. Angewandt auf die aktuellen Diskussionen zur Zukunft der Arbeit bedeutet dies zwei Dinge: Erstens ist zu konstatieren, dass selbst führende Wirtschaftsvertreter argumentieren, dass dieses Mal wirklich etwas fundamental Neues entsteht. Zweitens hat jede Innovationswelle immer auch große Verwerfungen erzeugt. Politik hat dann versucht, diese zu kompensieren. In der Vergangenheit war die Reaktion jeweils eine Ausweitung des Wohlfahrtsstaates, z.B. beim Sprung einer Agrar- in eine Industriegesellschaft, und dann von einer Industrie- in eine Dienstleistungsgesellschaft. Diesem Anpassungsmodell sind jedoch finanzielle und strukturelle Grenzen gesetzt.
In meinen eigenen Arbeiten konzentriere ich mich daher eher darauf, wie technischer Fortschritt und Internationalisierung der Arbeit wahrgenommen und politisch verarbeitet wird. Da lässt sich schon einmal ganz vereinfacht feststellen, dass sich die öffentliche Meinung von Land zu Land erheblich unterscheidet. Dies ist teilweise ein Resultat der jeweiligen Arbeitsmarktlage, aber auch ein Ergebnis tieferliegender Arbeitsmarktstrukturen. Insbesondere sind dort, wo Übergänge im Arbeitsmarkt – etwa von Job zu Job oder von anderen Phasen in ein Arbeitsverhältnis – schwierig sind, auch die Ängste größer. Und diese Ängste haben größere Wirkungen.
Daher sind solche Befürchtungen nicht folgenlos, sondern gestalten schon jetzt die Politik. Sie wirken beispielsweise auch auf Bereiche der öffentlichen Meinung, in denen man einen Zusammenhang nicht unmittelbar vermutet. Ein Beispiel ist, dass Ängste vor Globalisierung und technischem Fortschritt Leute dazu bewegen können, restriktivere Einwanderungspolitiken zu fordern oder auch kostspielige Frühverrentungsprogramme. Auch Politiker sind vor diesen Folgen nicht gefeit. Die Zukunftsdiskussion beeinflusst die Art und Weise, wie Politiker das Thema wahrnehmen und welche Entscheidungen sie treffen.
Zwei Beispiele sollen hier genügen: Zum ersten ist es interessant, zu beobachten, dass in der Debatte geradezu eine Zwangskoppelung von Zukunft der Arbeit mit dem Thema des universalen Grundeinkommens bzw. des Bürgergeldes einhergeht. Es gibt sicherlich viele gute Argumente für das Bürgergeld, es kann aber kaum der einzige große Lösungsansatz für das Problem technologischen Wandels bleiben. Manchmal funktionieren die Effekte aber auch subtiler. Da Technologie-Angst bisweilen schlecht zu greifen ist, werden eher die Symptome als deren Ursachen bekämpft. Politische Ökonomen wie Colantone und Stanig sehen beispielsweise das immigrations- und handelsfeindliche, letztlich aber erfolgreiche Wahlkampfprogramm vieler populistischer Strömungen eher durch einen Globalisierungs- oder China-Schock ausgelöst als durch den zugrundeliegenden technischen Wandel.
Daher müssen Lösungsvorschläge auch auf mehreren Ebenen ansetzen: Arbeitsmarktübergänge müssen insgesamt gestärkt werden, und zwar nicht nur zwischen Inaktivität und Arbeit, sondern in allen wesentlichen Schnittstellen. Auch ist die Wahrnehmung von Problemen und deren psychologische Wirkung wichtig, um dem Problem von Zukunftsängsten gerecht zu werden. Arbeit in der einen oder anderen Art und Weise wird auf absehbare Dauer ein wichtiger Bestandteil unserer Gesellschaft und ein wichtiges individuelles Identifikationsmittel sein. Aber gerade deshalb müssen wir uns vor einem allzu starken Tunnelblick hüten.
Quellen:
Arntz, M., Gregory, T., & Zierahn, U. (2016). The risk of automation for jobs in OECD countries: A COMPARATIVE ANALYSIS. OECD Social, Employment, and Migration Working Papers, (189)
Autor, D. H. (2015). Why are there still so many jobs? the history and future of workplace automation. The Journal of Economic Perspectives, 29(3), 3-30.
Colantone, I., & Stanig, P. (2016, July 7). The Real Reasons the U.K. voted for Brexit: Jobs lost to Chinese Competition. Retrieved from The Washington Post Web Site: https://www.washingtonpost.com/news/monkey-cage/wp/2016/07/07/the-real-reason-the-u-k-voted-for-brexit-economics-not-identity/?utm_term=.38a2ea3c857f
Frey, C. B., & Osborne, M. A. (2017). The future of employment: How susceptible are jobs to computerisation? Technological Forecasting and Social Change, 114(January).
Kemmerling, A. (2016). The end of work or work without end? How people’s beliefs about labour markets shape retirement politics. Journal of Public Policy, 36(1), 109-138.
Kemmerling, A. (2017). Left without a choice? Economic ideas, frames, and the party politics of value-added taxation. Socio-Economic Review 15(4): 777-796.
Mokyr, J., Vickers, C., & Ziebarth, N. L. (2015). The history of technological anxiety and the future of economic growth: Is this time different? The Journal of Economic Perspectives, 29(3): 31-50.
Mullainathan, S., & Shafir, E. (2013). Scarcity: Why having too little means so much. New York: Times Books, Henry Holt and Company.
Schmid G. (2017) Transitional Labour Markets: Theoretical Foundations and Policy Strategies. In: Palgrave Macmillan (eds) The New Palgrave Dictionary of Economics. Palgrave Macmillan, London