Am 27./28. November 2009 fand an der Universität Erfurt eine Tagung statt, mit der das Theologische Forschungskolleg aus der Taufe gehoben wurde. Das ist nun zehn Jahre her. Grund genug, einmal zurückzuschauen und Bilanz zu ziehen, aber auch einen Blick auf die nächsten zehn Jahre zu werfen. „WortMelder“ hat mit Prof. Dr. Benedikt Kranemann, dem Initiator des Forschungskollegs, gesprochen…
Herr Prof. Kranemann, wie kam es denn seinerzeit zur Gründung des Theologischen Forschungskollegs, was war der Hintergrund?
Wie häufig bei solchen „Gründungen“ – der Begriff klingt schon sehr groß – war am Anfang gar nicht klar, wohin der Weg führen würde. Es war eher ein Brainstorming, alles völlig unaufgeregt. Es gab ein Gespräch mit Mitarbeitern einer Stiftung, die die Universität Erfurt kannte und die Interesse hatte, einen neuen Impuls für die wissenschaftliche Theologie zu setzen. Ich war mit dieser Stiftung schon länger im Gespräch, die Bälle gingen hin und her und am Ende stand die Idee, solch ein Kolleg zu gründen, wie es nun seit zehn Jahren existiert. Der Name „Theologisches Forschungskolleg“ ist im Gespräch mit der damaligen Universitätsleitung entstanden. Es war von Beginn an klar, dass dieses „Unternehmen“ durch Drittmittel finanziert werden muss. Ein Programm wurde entworfen, ein Antrag geschrieben – und dann hieß es, auf die Gutachter und die Entscheidung zu warten. Zum Schluss haben wir den Zuschlag bekommen und mit Kollegen wie Jürgen Manemann, der mittlerweile in Hannover das Institut für Philosophie leitet, Josef Pilvousek, heute Emeritus der Theologischen Fakultät, dann Christof Mandry, mittlerweile Professor an der Goethe-Universität in Frankfurt, das Kolleg aufgebaut. Es wurde sehr schnell klar, dass wir eine Lücke gefunden hatten. Bis heute stoßen wir mit dem Forschungskolleg auf viel positive Resonanz bei allen Beteiligten, vor allem auch den Fellows. Und das Kolleg ist ein Solitär geblieben, zumindest im deutschen Sprachgebiet.
Und wer sind die Akteure?
Viele Akteure kommen aus der Universität Erfurt, viele aber auch aus anderen Universitäten und aus dem Ausland. Im Mittelpunkt stehen von Beginn an die Doktorandinnen und Doktoranden, außerdem einige Postdocs. Wir haben über die Jahre aus Drittmitteln einige Stipendien vergeben können, haben aber zugleich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Professuren wie aus Projekten, die beispielsweise die DFG fördert, ins Kolleg aufgenommen. Manche Promovierende haben Stipendien von den großen deutschen Studienstiftungen. Daneben sind die Fellows wichtig, die zumeist für mehrere Wochen im Forschungskolleg zu Gast sind, an den Kolloquien teilnehmen und ein eigenes Projekt bearbeiten. Wir haben einmal nachgezählt: Es sind über die Jahre fast 30 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Europa und Nordamerika bei uns zu Gast gewesen. Zu vielen gibt es nach wie vor noch sehr gute Kontakte, neue Projekte und Kooperationen sind entstanden. Schließlich kommen die Akteure aus der Katholisch-Theologischen Fakultät hinzu. Derzeit arbeiten in der Leitung des Forschungskollegs Julia Knop, Sebastian Holzbrecher, Jörg Seiler und ich mit. Wir konzipieren im Gespräch mit den Promovierenden das jeweilige Semesterprogramm, entwerfen Tagungsprogramme, arbeiten an Publikationen und kümmern uns natürlich um Drittmittel.
Um welche Themen dreht sich die deren Forschung im Wesentlichen?
Von Anfang an lag ein Schwerpunkt auf der Auseinandersetzung mit dem, was man „Säkularisierung“ nennt, wobei uns die Problematik des Begriffs bewusst war und ist. Wie gestalten sich Glaube, kirchliches Leben, auch wissenschaftliche Theologie in einer gesellschaftlichen Situation, in der die Glaubensgemeinschaft Minderheit ist? Das heißt: Wir haben Fragestellungen aufgegriffen, die sich zunächst einmal für Ostdeutschland stellen, aber mittlerweile doch für weitere Teile Europas relevant sind. Es sind immer wieder Fragen zu ostdeutscher Kirchengeschichte bearbeitet worden. Systematisch-theologische Themen wie der Frage nach der Möglichkeit oder Unmöglichkeit von Glauben ist nachgegangen worden. Wir haben uns mit relevanten ethischen Problemen beschäftigt, etwa der Sterbehilfe. Andere Projekte bezogen sich auf religiöse Rituale in säkularer Gesellschaft. Wir hatten einige wirklich begeisternde exegetische Projekte dabei. Es ging also nicht nur um Themen der Gegenwart, sondern auch der Geschichte. Und wir haben den thematischen Schwerpunkt nie zu eng verstanden. Übrigens haben wir von Anfang an eine ökumenische Ausrichtung gehabt. Heute ist mit der Jenenser Kollegin Miriam Rose eine Professorin für evangelische Theologie assoziiert. Und wir suchen auch die Expertise aus nichttheologischen Fakultäten und Instituten.
Was würden Sie als besondere Erfolge der vergangenen zehn Jahre bezeichnen?
Drei Dinge würde ich gerne nennen: Ich glaube, dass wir wirklich sagen können, dass uns eine wissenschaftliche Begleitung der Promovierenden im Team gelungen ist. Auf jedes Promotionsprojekt wird bei uns aus ganz unterschiedlichen Fachperspektiven geschaut und darüber diskutiert. Das wird von den Promovierenden wie von den Gästen geschätzt. Ein zweiter Erfolg sind die Tagungen, die jeweils im Wintersemester durch die Promovierenden vorbereitet werden. Eine solche Tagung, dieses Mal über religiöse Identität, Glaubensbiografien und kirchliche Lebensformen im Umbruch, liegt gerade hinter uns. Die Promovierenden haben dafür wieder spannende Themen gefunden, schöne Formate entwickelt und interessante Referentinnen und Referenten gewonnen. Die Tagungen ziehen mittlerweile Gäste aus ganz Deutschland an. Und sie zeigen, wie sehr sich die Promovierenden mit der Idee des Forschungskollegs identifizieren. Ein dritter Erfolg sind unsere internationalen Kontakte. Wir haben einen guten wissenschaftlichen Austausch mit theologischen Fakultäten in Oppeln und Prag, wollen jetzt einen Kontakt nach Tilburg neu beleben und arbeiten an engeren Kooperationen mit Salzburg, Leuven und Louvain-la-Neuve. Das sind Kontakte, die uns viele Möglichkeiten eröffnen – wirklich bereichernde Kooperationen.
Welche Gäste/Gastwissenschaftler sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Jeder Fellow, der kam, war interessant und brachte seine eigenen Ideen, Fragen, Themen mit. Es sind uns alle in guter Erinnerung geblieben, was ich wirklich mit Überzeugung sagen kann. Manche sind auch mehrfach in Erfurt gewesen, etwa Walter Lesch, ein Sozialethiker aus Louvain-la-Neuve. Und es ist ein gutes Gefühl, wenn Theologen wie Roman Globokar aus Ljubljana nach Erfurt kommen und über das Forschungskolleg Kontakte in die deutschsprachige Theologie ausbauen können. Die Gäste waren und sind für unsere Promovierenden wichtig. Sie bringen wie der schon lange emeritierte Dogmatiker Peter Hünermann viel Erfahrung in der Begleitung von Projekten mit, auch ein wenig Nonchalance – und sie müssen niemanden begutachten. Eine solche Person im Kolloquium dabei zu haben, hilft allen Beteiligten.
Wird es aus Anlass des zehnjährigen Bestehens eine besondere Veranstaltung geben oder anders: Soll der runde Geburtstag gefeiert werden?
Es ist ja nur ein kleines Jubiläum, aber immerhin: Dass wir es so weit bringen würden, war zu Beginn nicht klar. Wir haben die Systematische Theologin Saskia Wendel, Professorin an der Universität zu Köln und eine sehr bekannte Fachvertreterin, eingeladen. Sie wird am Donnerstag, 28. November, um 19.15 Uhr, im Hörsaal Kiliani einen Vortrag zur Zukunft der Theologie halten. Das Thema hat uns in den vergangenen zehn Jahren umgetrieben, wir sind gespannt, was die Kollegin dazu referieren wird.
Wohin steuert das Theologische Forschungskolleg in den kommenden Jahren?
Wir haben ein Grundkonzept mit Kolloquien, Gastvorlesungen, verschiedenen Tagungsformaten, das sich bewährt hat und an dem wir weiter arbeiten werden. Es gibt ein paar Ideen, wie man dieses Konzept modifizieren könnte. Denkbar wäre, hin und wieder Führungspersönlichkeiten aus unterschiedlichen Praxisfeldern einzuladen, um mit ihnen die Fragen, die uns beschäftigen, zu diskutieren. Dafür gibt es erste Namen und Ideen. Außerdem arbeiten wir gerade an einem Netzwerk mit vergleichbaren Einrichtungen in zwei ausländischen Einrichtungen. Wenn wir das realisieren können, bin ich sicher, dass wir das Profil des Forschungskollegs in den kommenden Jahren weiter schärfen werden. Das wäre schon eine gute Perspektive.
Wenn Sie sich für das Forschungskolleg etwas wünschen dürften, was wäre das?
Hoffentlich können wir in zehn Jahren ein weiteres Jubiläum feiern. Das setzt viel Arbeit und Engagement voraus, aber darum ist mir nicht bang. Wichtiger ist, dass wir auch auf Zukunft hin sehr gute Doktorandinnen und Doktoranden, die am Forschungskolleg Interesse haben, gewinnen können – aus Erfurt, aber ebenso aus anderen Städten und Ländern. Ich bin wirklich überzeugt, dass diese Kollegstruktur für die wissenschaftliche Theologie und ihren Nachwuchs ein großer Gewinn ist. Deshalb wünsche ich mir, und das sehen die Kolleginnen und Kollegen ebenso, dass das Theologische Forschungskolleg einer guten Zukunft entgegengeht.