In Krisenzeiten ist es wichtiger denn je, einander vertrauen zu können, befindet Prof. Dr. Dr. Holger Zaborowski. Doch gerade das Vertrauen in die Politik hat zuletzt für viele Menschen Schaden genommen. Daraus entsteht eine Gefahr für die Demokratie, urteilt der Professor für Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt jetzt im Blog der christlichen Guardini Stiftung und plädiert für die gemeinsame Wiederentdeckung geteilter Überzeugungen und Haltungen.
Wenn Menschen in einer Demokratie zusammenleben wollen, bedarf es dafür eines gewissen „Grundvertrauens“, also der festen inneren Überzeugung, dass alle Beteiligten zum wechselseitigen Wohl – oder zumindest nicht zum gezielten Schaden – handeln werden. Nur so kann sich ein komplexes gesellschaftliches Geflecht entwickeln, erklärt Holger Zaborowski: „Bürgerinnen und Bürger müssen ihrerseits zunächst einmal vertrauen, dass die Entscheidungen seitens der politisch Verantwortlichen im bestem Wissen und Gewissen getroffen wurden.“ Doch: „Das ist nicht immer leicht.“
Gerade politischen Amtsträger*innen gegenüber müsse seitens der Bevölkerung wiederholt ein Vertrauensvorschuss geleistet werden. Dieser sei umso wichtiger, „als ein eigentlich nötiges Grundvertrauen immer wieder verspielt wird“, beobachtet der Philosoph weiter. „Der öffentlich erhobene Anspruch auf Wahrheit erweist sich oft als blanke Lüge. Laster und nicht Tugenden bestimmen das Verhalten der Mächtigen. Der Andere wird zu einem radikal Fremden, mit dem einen nicht einmal mehr die Menschlichkeit verbindet. Unter diesen Bedingungen traut man den Mitmenschen nur die schlechtesten Absichten zu.“
Geteilte Überzeugungen und Haltungen gemeinsam wieder entdecken
Zwischenmenschliche Beziehungen, aber auch gesellschaftliche sowie politische Verhältnisse würden durch derlei wiederholte Vertrauensbrüche vergiftet, argumentiert der Theologe. Daraus ergebe sich eine „Hermeneutik des Verdachts, die alles und jeden für verdächtig hält.“ Ein vertrauensvolles Miteinander sei unter diesen Umständen nicht mehr möglich: „Dies kann keine Grundlage für ein friedliches und am Gemeinwohl orientiertes Zusammenleben sein. Es ist der Boden, auf dem Populismus und Fanatismus, Radikalismus und Verschwörungsmythen, Politik- und Wissenschaftsfeindlichkeit wachsen können. Es ist das Fundament einer Gesellschaft, die ansonsten keine gemeinsamen Fundamente mehr hat.“
Doch wie geht es weiter, wenn ein Vertrauensverhältnis erst einmal Schaden genommen hat? „Vertrauen, das verlorengegangen ist, muss wiedergewonnen werden. Auch dies ist eine der Lehren der gegenwärtigen Krise, die sich an Bürger, Politiker und Experten gleichermaßen richtet. Und mit dem verloren gegangen Vertrauen gilt es, auch die Quellen, die Vertrauen möglich machen, einen geteilten Horizont von Überzeugungen und Haltungen wiederzuentdecken. Verloren gegangene Grundlagen des Zusammenlebens müssen aktiv wieder angeeignet werden, und zwar in einem gemeinsamen Ringen, nicht auf Gehorsam oder Zuruf hin.“
Diese Forderung bedeute aber auch, dass wir schon inmitten der Krise nach den Prinzipien unseres Zusammenlebens fragen müssen, resümiert der Philosoph: „Dann stellt sich nicht nur die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen, sondern auch die noch schwierigere Frage, wer wir – als endliche, hinfällige, zerbrechliche Menschen – eigentlich sind und sein sollen.“