Gemeinschaftliche und individuelle Erfahrungen in den Bereichen der Kunst und der Religion werden oft als „unaussprechlich“ erlebt und beschrieben, als unmittelbar und gleichzeitig, als schwankend und flüchtig. Sie überschreiten die Ordnung von Raum und Zeit – und sind doch bedingt durch die konkreten rituellen Dimensionen der Auf- und Ausführungen und des sinnlichen (ästhetischen) Erlebens. Zu diesem Thema ist unter dem Titel „Annäherungen an das Unaussprechliche“ im Transcript Verlag soeben ein neues Buch von Isabella Schwaderer und Katharina Waldner erschienen, in dem sich die beiden Religionswissenschaftlerinnen der Universität Erfurt mit ästhetischen Erfahrungen in kollektiven religiösen Praktiken auseinandersetzen. Der Band wendet sich an Interessierte an der Religions- und Kulturwissenschaft, aber auch der Tanzwissenschaft und der Mediengeschichte.
Die beiden Herausgeberinnen waren zunächst der Frage nachgegangen, ob und inwieweit Tanz als religiöse Praxis gefasst werden kann. „Dies führte uns zur wesentlich breiter angelegten Frage nach rituelle Aspekten und schließlich auch zur ästhetischen, sinnlich erfahrbaren Dimension von Religion in kollektiven Praktiken“, erklärt Dr. Isabella Schwaderer die Idee zu ihrer Untersuchung. Das Ergebnis: „Religiöse Erfahrung umfasst mehr als individuelle, geistige Transzendenzerfahrung. Sie erstreckt sich auch auf die sinnliche Ebene des Körpers und agiert in gesellschaftlichen Prozessen.“ Die interdisziplinären Beiträge des nun veröffentlichten Bandes widmen sich diesen Erfahrungen und ihren Repräsentationen in verschiedenen Medien wie z.B. Tanz, Musik und Film und fragen besonders nach transkulturellen Dimensionen. Zentrales Beispiel ist die Schnittstelle zwischen Deutschland und Südasien, ein Schwerpunkt liegt dabei auf modernekritischen Debatten an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Hier zeichnen sich Muster ab, die aktuelle Diskussion um Emotionen und embodiment in den Religionen ebenso vorwegnehmen wie die Frage nach der Sinnlichkeit von Religion. Diese wird in der Religionswissenschaft aktuell unter den Stichworten material religion und Religionsästhetik (aesthetics of religion) diskutiert. Eine Gruppe von Beiträgen thematisiert außerdem die transkulturellen Verbindungen zwischen Deutschland und Südasien in der Zwischenkriegszeit und damit eine postkoloniale Verflechtungsgeschichte, die erst heute aufgearbeitet wird.
Dr. Isabella Schwaderer auf die Frage, welche neuen Perspektiven ihr Buch eröffnet: „Der Zugang zu Religion als einem sinnlichen Phänomen hebt Aspekte hervor, die in der noch immer vorherrschenden Konzentration auf schriftliche Überlieferung und individueller Gottes- oder Transzendenzerfahrung zu kurz kommen. In dem nun vorliegenden Band wird Religion in ihrer materiellen, ereignishaften, körperlichen und pluralisierten Dimension sichtbar.“
Isabella Schwaderer und Katharina Waldner (Hrsg.)
Annäherungen an das Unaussprechliche
Transcript Verlag, 2020
ISBN: 978-3-8394-4725-3
272 Seiten
34,99 EUR