Nachgefragt: „Wie haben Sie den Auftakt zum Synodalen Weg erlebt, Frau Prof. Knop?“

Gastbeiträge

Der Synodale Weg der katholischen Kirche in Deutschland ist angelaufen. Bereits am ersten Advent 2019 war der Reformdiaolg offiziell gestartet. Vom 30. Januar bis 1. Februar tagte nun erstmals die Synodalversammlung. Der Reformprozess versteht sich dabei als eine Antwort auf die jüngste Krise der Kirche, die im September 2018 durch die sogenannte „MHG-Studie“ ausgelöst worden war: Im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz hatte ein Forschungskonsortium Personalakten von Klerikern auf Hinweise auf sexualisierte Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen hin untersucht. Neben erschütternden Zahlen lieferte der Untersuchungsbericht dabei auch die Hypothese, dass systematische Faktoren den Missbrauch – sowie die Vertuschung derlei Delikte durch Kirchenverantwortliche – nicht nur nicht verhindert, sondern womöglich gar erst begünstigt hätten. Die These von einem besonderen Gefährdungspotenzial für (Macht-)Missbrauch innerhalb in der Weltkirche gipfelte in lautstarken Forderungen, zentrale Elemente des Kirchenwesens aus den Prüfstand zu stellen: Dazu gehören das kirchliche Priester- und Frauenbild ebenso wie die kirchliche Sexualmoral und die Ausgestaltung innerkirchlicher Machtverhältnisse. Doch die Reform solle keine „von oben“, kein indoktrinierter Prozess sein. Stattdessen werden die Teilhabe „ganz normaler Gläubiger“ sowie die Wertschätzung von Expertenmeinungen jenseits des Klerikerstatuses gefordert. Von den 230 Deligierten, die an der ersten synodalen Vollversammlung teilnahmen, war immerhin 121 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sogenannte „Laien“, also Männer und Frauen ohne Weihe. Doch wer sind diese Menschen, die den Synodalen Weg mitgestalten wollen? Eine von ihnen ist Julia Knop, Professorin für Dogmatik an der Uni Erfurt. Im „WortMelder“ erklärt sie, wie sich die Gemeinschaft der Synodalen zusammensetzt, welchen Anteil die Laien am Reformprozess haben, wie sich die Zusammenarbeit während der ersten Synodalversammlung gestaltete und welche Reaktionen die Versammlung seitens „etablierter Kleriker-Schichten“ hervorgebracht hat…

Prof. Dr. Julia Knop
Prof. Dr. Julia Knop

„Vom 30. Januar bis 1. Februar tagte die erste Versammlung des Synodalen Wegs. 230 Delegierte kamen nach Frankfurt am Main, um Themen, Aufgaben und Perspektiven des Synodalen Weges zu beraten – unter ihnen 69 Bischöfe, 35 Priester und 4 Diakone, insgesamt also 108 Kleriker und 121 ‚Laien‘. Unter den Synodalen sind 159 Männer, 70 Frauen und eine diverse Person. Mehr als die Hälfte von ihnen ist hauptamtlich in der Kirche tätig – in der Bistumsleitung, in Pfarreien, Akademien und Verwaltung – andere ehrenamtlich, auch Universitätstheolog*innen und Vertreter*innen anderer Fakultäten sind dabei. Die Altersspanne reicht von 16 bis über 70 Jahren, knapp 20 der Delegierten sind unter 30 Jahren. Ein Querschnitt der katholischen Kirche in Deutschland ist das weder hinsichtlich des Verhältnisses von Klerikern (ca. 47%) und Laien noch was die Verteilung von Männern und Frauen (ca. 30%, genauso wie der Anteil der Bischöfe), Akademiker*innen und Nichtakademiker*innen, Alten und Jungen in der Kirche angeht. Es handelt sich durchweg um hoch engagierte Katholik*innen, die bereit sind, ihre Erfahrungen und Kompetenzen, ihre Zeit und Kraft, ja, ihre ganze Persönlichkeit zu investieren, damit die katholische Kirche in Deutschland in einer ihrer tiefsten Krisen wieder Zukunft und Glaubwürdigkeit gewinnt.

Wie kann eine ernsthafte, die Tiefe der Probleme wirklich auslotende, theologisch valide und systemisch konstruktive Auseinandersetzung gelingen? Dass dazu herkömmliche kirchliche Beratungsformate nicht reichen, war rasch deutlich. Sie sind in aller Regel durch die strikte Trennung von Beratung und Entscheidung geprägt: Laien sind (auch wenn sie Profis sind) von Entscheidungsprozessen ausgeschlossen. Doch wenn der Fehler mutmaßlich im System liegt, brauchen Diagnose und Therapie den Blick und Korrektur von außen. Kein System heilt sich selbst. Es braucht eine Vielfalt von Kompetenzen und Perspektiven – die der ‚ganz normalen Gläubigen‘, die von Expert*innen und natürlich die der Opfer kirchlicher Gewalt –, um die ideellen Voraussetzungen und eingeübten Verhaltensweisen zu erkennen und aufzubrechen, die Machtmissbrauch begünstigen. Es braucht (auch) andere als die Entscheider dieses Systems, um die Pathologien des Systems zu identifizieren und eine nachhaltige Reform zu erarbeiten.

Der Synodale Weg wird sich in Arbeitsgruppen, den so genannten Foren, und in der Synodalversammlung mit den genannten Themen beschäftigen. Die Foren sind aus Mitgliedern der Synodalversammlung und externen Expert*innen zusammengesetzt. Dabei wurde sorgfältig auf ein ausgewogenes Verhältnis sowohl der jeweiligen Kompetenzen als auch der Perspektiven und Positionen geachtet. Hier werden die Vorlagen erarbeitet, die zur Entscheidung in die Synodalversammlung kommen. Sie ist das oberste beschlussfassende Gremium des Synodalen Wegs. Da jede Vorlage in zwei Lesungen beraten werden muss, ist frühestens bei der übernächsten Plenarversammlung Anfang 2021 mit ersten Beschlüssen zu rechnen. Da manche Themen Fragen betreffen, die über die Kompetenzen der deutschen Kirche hinaus gehen, werden Voten nach Rom weitergeleitet werden – und dort hoffentlich nicht in der Schublade verschwinden. Dass intensiv und durchaus kontrovers diskutiert werden wird, ist zu erwarten. Das zeigte bereits die erste Versammlung, in der eine erste Befassung mit den anstehenden Themen erfolgte.

Die Debatte wurde nach einer Vergewisserung über Ziele und Möglichkeiten des Synodalen Wegs durch Berichte über die Vorarbeiten der ‚Vor-Foren‘ sowie eine erste Sichtung der mehr als 5.300 Eingaben einer Umfrage auf der Homepage www.synodalerweg.de eingeleitet. Es folgte eine Aussprache im Plenum. Sie war in mancher Hinsicht bemerkenswert. Einmal deshalb, weil überhaupt solch ‚heiße Eisen‘ – Macht, Sex, Zölibat und Frauen – in einem solchen Gremium angefasst wurden. Aber vor allem deshalb, weil sie so angefasst wurden, wie es in Frankfurt zu erleben war, nämlich in einer bis in die Sitzordnung hinein bunt gemischten, nicht hierarchisch organisierten Konferenz und in einer Offenheit und Authentizität, die ihresgleichen sucht. Die Intensität der Beteiligung am Gespräch war groß, ebenso die Herausforderung, in diesem Setting die eigene Rolle (neu) zu (er-)finden. Viele Frauen, viele der jungen Leute und viele Pfarrer meldeten sich zu Wort und sie äußerten sich frisch und klar, ohne Verharmlosung und Harmonisierung, ohne Angst und voller Entschiedenheit. Von der ‚Täterkirche‘ war die Rede, von der Empörung über die kirchliche Diskriminierung von Frauen, vom demütigenden kirchlichen Umgang mit Homosexuellen, von struktureller Überforderung der Priester, die vor ihrer Weihe gehypt und danach verheizt werden, von der kaum mehr zu ertragenden Ungeduld der Gläubigen, dass sich endlich etwas bewege.

Solch freimütige Debatte gefiel natürlich nicht allen. Wo der eine Bischof ‚eine großartige Zukunftswerkstatt‘ erkannte, sah sein Amtsbruder Verrat an den Grundfesten des Glaubens. Was der eine als ‚Zeugnis echter Katholizität‘ erlebte, bezeichnete der andere als ‚protestantisches Kirchenparlament‘. Dass sich natürlich auch die katholische Kirche in einer ‚Welt der Freiheit‘ bewähren muss, konnte der eine Bischof beherzt bejahen, während fünf seiner Amtskollegen (erfolglos) beantragten, Diskussionsbeiträge nur dann zur Debatte und am Ende zur Beschlussfassung zuzulassen, wenn sie der Lehre der Kirche entsprechen. Während der eine die moralische Verbindlichkeit einer Mehrheitsentscheidung betonte, setzte der andere auf formale Autorität: ‚Laien beraten, Bischöfe entscheiden.‘

Schon dass alle Delegierten sich zu Wort melden konnten, dass sie nach gleichen Maßstäben zu Wort kamen und dass anstelle thematischer Tabus die Freiheit der Rede galt, brachte einige wenige Teilnehmer und Beobachter zu zersetzender Fundamentalkritik. Der ganze Prozess sei illegitim, unkatholisch, zerstörerisch, war in einem Interview zu lesen, das ein bischöflicher Delegierter bereits während der Versammlung gab. Und der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Müller, vergriff sich nicht nur im Ton, sondern in der Sache, als er den geschichtsvergessenen und völlig unangemessenen Vergleich der Synodalversammlung mit dem Reichsermächtigungsgesetz wählte (vgl. dazu den Kommentar eines der beiden Prozessbegleiter des Synodalen Wegs).

Weitaus qualitätsvoller als solche verheerenden Invektiven des einst übermächtigen Kirchenmannes war die reale Debatte in Frankfurt. Was dort zählte, war die Kraft des Arguments, das Gewicht der Erfahrung und die Qualität der Expertise. Pastorale Phrasen und Katechismuswissen fanden entsprechend wenig Beifall; das authentische, klare Wort umso mehr. Dass zwischenzeitlich die Redezeit von drei auf zwei und schließlich eine Minute verkürzt wurde, zeigte den großen Redebedarf und das hohe Engagement der Synodalen. Wer sich traute, frei zu sprechen statt im Vorfeld vorbereitete Vorträge abzulesen, war doppelt im Vorteil: Er stand mitten in der Debatte statt ihr belehrend gegenüber. Er konnte respektvoll auf die Vorredner reagieren und lief nicht Gefahr, über sie hinwegzureden (was es natürlich auch gab). An Stelle vorformulierter Drei-Minuten-Texte spontane 60-Sekunden-Statements zu halten, ist in der Tat herausfordernd – aber es bringt die Dinge auf den Punkt und das Gespräch in Schwung. Dass man dazu kein*e Berufsredner*in sein muss, bewiesen die jungen Leute der Synodalversammlung, die sich engagiert einbrachten – wie auch die Frauen, die, obgleich zahlenmäßig in der Minderheit, in eindrücklichen Redebeiträgen bewiesen, dass in der Kirche nicht nur Männer etwas zu sagen haben.

Wie der Synodale Weg ausgehen, welche strukturellen Wirkungen er zeitigen und welche seiner Deutungen am Ende Recht behalten und womöglich neues Recht setzen werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt offen. Tatsache ist aber, dass bereits die erste Synodalversammlung eine Erfahrung von Partizipation ermöglicht hat, die die formale Reduktion kirchlicher Autorität auf Amtsträger und die künstliche Trennung und hierarchische Zuordnung von Beratung und Entscheidung eines Besseren belehrt.“

Theologie aktuell

Der vorliegende Beitrag ist eine gekürzte Fassung. Der vollständige Bericht erschien zuerst auf „Theologie Aktuell“, dem Blog der Katholisch-Theologischen Fakultät.