Am 14. Juni 2020 jährt sich der Todestag von Max Weber zum 100. Mal. Wie hat er die Soziologie geprägt und was können wir heute noch von ihm lernen? "WortMelder" hat bei PD Dr. Bettina Hollstein vom Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt nachgefragt...
Max Weber wurde am 21. April 1864 in Erfurt geboren. Er wurde auf Professuren für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft in Freiburg und Heidelberg berufen, war ein führendes Mitglied im Verein für Socialpolitik und Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Doch er war nicht nur in der Fachöffentlichkeit und im Gelehrtenmilieu prominent. Der breiten Öffentlichkeit geläufig wurde sein Name ab dem Jahr 1917. Er schrieb für Zeitungen politische Analysen, unterstützte im Wahlkampf die Deutsche Demokratische Partei (DDP, die maßgeblich für die Weimarer Republik eintrat), war im Dezember 1918 sachverständiger Berater bei den Verfassungsberatungen im Reichsamt des Innern und im Mai 1919 bei den Friedensverhandlungen von Versailles. Im Anschluss trat er in München eine Professur für Gesellschaftswissenschaft, Wirtschaftsgeschichte und Nationalökonomie an. Weber starb am 14. Juni 1920.
Bereits anhand dieser Kurzbiografie sieht man, dass Weber im wahrsten Sinne des Wortes interdisziplinär gearbeitet hat Seine Schriften waren daher in unterschiedlichsten Disziplinen einflussreich. Er war einer der Begründer der Soziologie; seinen Ansatz einer verstehenden Soziologie in interdisziplinärer Orientierung hat sich auch das Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Universität Erfurt als Forschungsprogramm gewählt. Dabei hat Max Weber nicht nur die Soziologie wesentlich geprägt, sondern auch wichtige Erkenntnisse für die Religionswissenschaften beigesteuert. Seine vergleichende Perspektive, die versuchte, die verschiedenen ‚Weltreligionen‘ in den Blick zu nehmen und dadurch auch die Entwicklungen in Europa zu relativieren, ist auch heute noch von großem Interesse.
Im Jahr 1904 hat Weber zusammen mit anderen führenden deutschen Gelehrten eine große Reise in die USA unternommen, die wichtige Impulse für sein Denken und Schreiben geliefert hat. Besonders das Phänomen der pluralisierten Massendemokratien hat seine Aufmerksamkeit erregt – ein Thema, das weiterhin von großer Aktualität ist. Die Spannungen und Eigengesetzlichkeiten der modernen Lebenssphären hat Weber in bis heute lehrreicher Weise beschrieben und analysiert.
Man sollte Max Weber aber auch nicht verklären. Er hat das Wissen seiner Zeit für seine Schriften verarbeitet und genutzt, doch heute steht uns deutlich mehr Wissen (auch durch Übersetzungen) zur Verfügung, weshalb es nicht überraschen kann, dass sich manche Aussagen von ihm vor dem Hintergrund der neueren Erkenntnisse als nicht haltbar erwiesen haben. Auch muss man Weber im Kontext seiner Zeit sehen. Er hat umfangreich mit Gelehrten korrespondiert Viele seiner Schriften sind unvollendet geblieben und wurden erst nach seinem Tod publiziert.
Weber hat immer wieder versucht, Ordnung in das Wissen seiner Zeit zu bringen und den Einfluss von Lebensordnungen auf Gruppen sowie auf die individuelle Lebensführung sowie das Verhältnis von Interessen, Institutionen und Ideen untersucht. Dabei hat er sich genauso für die kapitalistische Wirtschaft wie für religiöse Gemeinschaften oder demokratische Herrschaft sowie die Wechselwirkungen zwischen ihnen interessiert. Bestimmte seiner Begriffe sind heute aus den Sozialwissenschaften nicht mehr wegzudenken, z. B. „charismatische Herrschaft“ oder „kapitalistischer Geist“, „Klassenstruktur“ oder „politische Gewalt“, wie Gangolf Hübinger, Mitherausgeber der Max-Weber-Gesamtausgabe und ehemaliger Fellow am Max-Weber-Kolleg, dargelegt hat.
Das historische Prozessdenken, das Weber mit dem Begriff der „Rationalisierung“ geprägt hat, ist zum Gegenstand von Kontroversen geworden. Hans Joas etwa hat auf die Gefährlichkeit der Denkzwänge soziologischer Großtheorien (wie z. B. der Modernisierungstheorien der 1960erJahre) hingewiesen, auf die Webers Denken zum Teil verkürzt wurde. Dabei hat er auch die Ambivalenzen des von Weber geprägten Begriffs der „Entzauberung“ herausgearbeitet (vgl. das Buch von Joas „Die Macht des Heiligen“). Auch die Kontroversen über solche kritischen Einschätzungen Webers zeigen, dass es sich bei Weber um einen Klassiker handelt, dessen Werk lebendig geblieben ist. Daher wird im Todesjahr von Max Weber eine Tagung, organisiert von Prof. Dr. Frank Ettrich in Zusammenarbeit mit dem Max-Weber-Kolleg, stattfinden, die sich der globalen Bedeutung Max Webers im 21. Jahrhundert widmen wird. (Die Tagung musste aufgrund der Corona-Pandemie verschoben werden und wird voraussichtlich Ende Oktober 2020 stattfinden.)
Doch auch wenn man kein eigentlicher Weber-Forscher ist und die Begriffe, die er geprägt hat, nicht so zentral findet, kann man heute noch etwas von Weber für das Forschen und Studieren lernen, was auch für unsere heutigen Studierenden von Interesse ist: Weber hat über den Tellerrand seiner ursprünglichen Studiendisziplin hinausgeschaut. Diese Neugierde jenseits des eigenen Studiums, der eigenen Fachdisziplin, der eigenen Interessen ist wichtig, denn die Konfrontation mit anderen Fächern, mit anderen Paradigmen und Sichtweisen auf die Welt hilft, die eigenen Vorurteile und Sichtweisen zu relativieren und Toleranz zu lernen.
Seine USA-Reise war für Weber ein einschneidendes Erlebnis, er hat aber auch sehr viel über andere Kulturen gelesen. Reisen kann man nämlich auch erst einmal im Kopf, durch die Lektüre von Texten aus anderen Epochen, Regionen und Kontexten. Darüber hinaus ist aber auch das konkrete Sich-Versetzen in eine andere Welt eine gute Übung, um den eigenen Standpunkt zu prüfen, sich mit anderen auseinander zu setzen und neue Einsichten zu gewinnen.
Max Weber hat sich in die Politik seiner Zeit eingemischt, er war ein Demokrat und hat sich für die Weimarer Republik eingesetzt. Er hat nicht nur in Fachzeitschriften, sondern auch in Zeitungen für eine breite Öffentlichkeit publiziert und Vorträge gehalten. Die Auseinandersetzung mit der Gesellschaft ist für ihn wesentlich gewesen. Heute wird dieses Thema unter den Stichworten „third mission“ und „citizen science“ für die Wissenschaft immer bedeutsamer.