Geld macht nicht glücklich – heißt es. Aber auch: dass es beruhigt, wenn man es hat. Ja, was denn nun? Und wovon ist all das abhängig? Vom individuellen Charakter? Von kultureller Prägung? Tobias F. Rötheli, Professor für Makroökonomie an der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt, hat zu diesem Thema soeben einen Aufsatz veröffentlicht, in dem er verschiedene Bereiche der Ökonomie, der Anthropologie und der Psychologie miteinander vereint. „WortMelder“ hat bei ihm nachgefragt: „Macht ein höheres Einkommen wirklich glücklicher?“
"Warnhinweis: Die Beantwortung dieser Fragen ist nicht einfach!
Glücksforschung ist seit gut 50 Jahren fester Bestandteil der Wirtschaftswissenschaften. Das sogenannte Easterlin Paradox ist dabei ein zentraler Beitrag. Gerade engagierte Studierende stellen dazu immer wieder Fragen. Richard Easterlin arbeitete mit internationalen Daten zur subjektiven Glückseinschätzung, die per Befragung erhobenen wurden. Nach seinen Auswertungen scheint es zweifelhaft, dass höheres Einkommen zu mehr Glück führt. Seine Interpretation für diese Ergebnisse dreht sich wesentlich um die Vorstellung der Sättigung. Weiter sieht Easterlin das Element des sozialen Vergleiches als entscheidend: Nur wer mehr Einkommen als andere hat, so seine Sicht, fühlt sich glücklicher. Die kontrovers geführte wissenschaftliche Diskussion der vergangenen Jahre wirft Fragen sowohl zu Easterlins statistischen Ergebnissen als auch zu seinen Interpretationen auf.
In meiner Untersuchung schlage ich nun den Bogen von dieser Art Forschung zur Anthropologie und einem ihrer Klassiker, dem Amerikaner Franz Boas. Im ausgehenden 19. Jahrhundert revolutionierte Boas die Sicht auf Kulturen, besonders auch auf die Kulturen von indigenen Völkern. Sein Konzept der kulturellen Relativität klärt den aus heutiger Sicht fast trivialen Punkt, dass Kulturen nicht vergleichbar und keinesfalls in Kategorien wie höher entwickelt oder rückständig eingeteilt werden können. Für die ökonomische Glücksforschung ist dabei die Einsicht zentral, dass sich für Menschen bei der Produktion von Gütern und Dienstleistungen neben den Vorteilen in der Form höheren Einkommens auch Nachteile ergeben. Besonders die Produktion von marktfähigen Gütern hoher Qualität führt zu Belastungen wie Stress und in Organisationen zu sozialer Kontrolle. Die leitende Hypothese der Untersuchung ist nun, dass sich Kulturen in der Abwägung dieser Vor- und Nachteile unterscheiden, und dass diese Bewertungen die Entscheidungen über angestrebte Güterqualität und Einkommen beeinflussen. Daraus ergibt sich ein recht komplizierter Zusammenhang zwischen Güterqualität und Einkommen eines Landes einerseits und dem dort erreichten Glücksniveau andererseits.
Um die Resultate einer empirischen Untersuchung überhaupt interpretieren zu können, führe ich dazu als erstes ein Gedankenexperiment in der Form einer theoretischen Simulation im Computer durch. Dazu werden mit Zufallsprozessen viele hypothetische Länder mit unterschiedlichen Bedingungen simuliert. In einer Variante dieser simulierten Welt sind die örtlichen Produktionsverhältnisse optimal auf die kulturell beeinflussten Prioritäten abgestimmt. In einer solchen Welt, so die simulierten Daten, wären sowohl Einkommenswerte als auch Qualitätsniveaus positiv mit dem Glück korreliert. In einer anderen Variante dieser Welt hingegen, in der kulturelle Prioritäten und Produktionsverhältnisse voneinander unabhängig sind, zeigt es sich, dass höhere Qualität in der Güterproduktion negativ mit dem Glück korreliert. Wenn wir nun zu Daten der realen Welt übergehen, dann stellt sich heraus, dass die faktischen Verhältnisse eher mit der ersten als mit der zweiten Variante unserer Simulation übereinstimmen.
Diese Ergebnisse werden zusätzlich gestützt durch statistische Schätzungen zur Frage, wie historische Zahlen über Einkommen und Glück in jedem der insgesamt 122 untersuchten Ländern zusammenhängen. Hier zeigt sich in der Tat, dass für 60 Prozent der Länder ein höheres Einkommen nicht zu mehr Glück führt. Das ist ja auch, was Richard Easterlin behauptet, allerdings ist die in der aktuellen Studie erarbeitete Erklärung eben eine ganz andere. Dieser Unterschied ist keine wissenschaftliche Spitzfindigkeit. Meine Analyse impliziert nämlich, dass Menschen durchaus mehr Einkommen schätzen, wenn diese Verbesserungen beispielsweise durch bessere Technologien ermöglicht werden und nicht mit mehr Druck und Stress erkauft werden müssen."