Nachgefragt: "Ist die Medienfreiheit in Deutschland in Gefahr?"

Gastbeiträge

Im aktuellen Ranking für Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen rutscht Deutschland das dritte Jahr in Folge weiter nach unten auf den nunmehr 21. Platz von 180 Ländern. Es steht damit nicht nur wie seit jeher hinter skandinavischen Staaten, sondern auch ein südeuropäisches Land wie Portugal (7) oder mittelamerikanische Länder wie Costa Rica (8) oder Jamaika (12) gelten als freiheitlicher. Die relative Abwertung Deutschlands im ROG-Ranking hat ihrerseits viel öffentliche Aufmerksamkeit erregt – zu Recht? Kai Hafez ist an der Universität Erfurt Professor für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Vergleichende Analyse von Mediensystemen / Kommunikationskulturen. Wir haben bei ihm nachgefragt: "Ist unsere Medienfreiheit in Deutschland in Gefahr? Welche Herausforderungen ergeben sich daraus für Staat und Gesellschaft und wie lässt sich die Platzierung im internationalen Vergleich einordnen?“

Generell darf man hier Entwarnung geben. Hauptursache für die Einschränkungen der Pressefreiheit in Deutschland ist die steigende Zahl von Übergriffen auf Journalist*innen vor allem in Ostdeutschland. Diese Tendenz ist besorgniserregend und weist darauf hin, dass Polizei und Behörden gegen rechtsextremistische Gewalttaten zum Teil nicht konsequent genug vorgehen, was ROG zu Recht bemängelt.

Abgesehen von dieser Ordnungskrise, die es deutlich zu kritisieren gilt, genießen die Medien in Deutschland aber noch immer ein hohes Maß an Vertrauen und gelten zwei Dritteln der Deutschen als eine wichtige demokratische Institution.

Diese ist an vielen Stellen reformbedürftig (Auslandsberichterstattung, Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks usw.). Dennoch besteht kein Grund zur Panik vor einem generellen Verfall der Medien- und Pressefreiheit.

Wenn Deutschland (wie auch Österreich) traditionell keine absolute Spitzenposition im Ranking einnimmt, so ist dies vor allem auf eine leicht eingeschränkte gesetzliche Basis der Medien-, Presse- und Meinungsfreiheit zurückzuführen, die in der Geschichte des Landes verwurzelt ist. Das deutsche Verbot der Leugnung des Holocausts beispielsweise existiert in skandinavischen Ländern nicht und gilt dem an absoluten Maßstäben der Pressefreiheit orientierten Team von ROG als eine Einschränkung, die zu Punktabzügen führt. Deutschland besitzt zudem Gesetze gegen sogenannte „Volksverhetzung“ sowie auch ein Gesetz (§166 StGB), das die Beschimpfung religiöser Bekenntnisse unter bestimmten Bedingungen unter Strafe stellt. Diese Regelungen sind aber Mindesteingriffe und geben dem Staat eine Handhabe, den sozialen Frieden sowie andere Grundrechte, die neben der Meinungsfreiheit ebenfalls geschützt werden müssen, effektiv zu verteidigen. Eine leichte Abwertung im Ranking ist daher systembedingt und lässt sich jederzeit sozialethisch verteidigen. 

Gleichwohl gilt es, die rechtsextremen Angriffe auf die Medien in etablierten Demokratien genau im Auge zu behalten. Gerade diese Kräfte, die sich stets auf radikale Meinungsfreiheit berufen, sind es, die durch Angriffe auf Medien die Medien- und Pressefreiheit gefährden. Die USA, das Ursprungsland der modernen Medien und Öffentlichkeit, stehen im ROG-Ranking nur auf Rang 42 und damit weit hinter Deutschland und in der Nähe von jungen Demokratien wie Uruguay und Armenien. Angriffe auf Journalist*innen durch rechte Kreise wurden in diesem Land in der Ära des Präsidenten Donald Trump durch seinen autoritären Feldzug gegen die sogenannten „Fake-News-Medien“ sogar von ganz oben geadelt. Auch hier also ist, ähnlich wie in Deutschland, eine zu passive oder sogar zum Teil destruktive Haltung des politischen Systems zu erkennen, das die Medien nicht hinreichend schützt. Eine weitere wesentliche Ursache der Abwertung der USA liegt in der enormen ökonomischen Krise der US-Medien, die, anders als hierzulande, unter einem massenhaften Vertrauensverlust leiden, was nicht zuletzt der völlig entsicherten und tendenziösen Berichterstattung von Nachrichtensendern wie Fox-News (in den Händen des Milliardärs Rupert Murdoch) zu verdanken ist.
 
Auch in Europa existieren negative Tendenzen. Während Länder wie Tschechien und Nord-Mazedonien sich positiv entwickeln, sind Italien und Ungarn wegen der dortigen Konzentrationstendenzen oder staatlichen Eingriffen schon seit Jahren Sorgenkinder der Medienbeobachter*innen. Vor allem der Journalismus in Griechenland erlebt derzeit einen fulminanten Niedergang (Abstieg um 38 Plätze auf Rang 108!). Griechenlands Ranking-Werte, vor allem in den Bereichen der Sicherheit des Journalismus und des ökonomischen Unterbaus der Medien, sind katastrophal: eine Krise, die als ernsthaft demokratiegefährdend zu bezeichnen ist. Griechenland rückt damit in den Einzugsbereich von sogenennten „defekten Demokratien“ (flawed democracies), in denen zwar noch freie Wahlen abgehalten werden können, Medien- und Pressefreiheit aber strukturell unterwandert werden. 

Schaut man sich die weltweite Entwicklung der Medien- und Pressefreiheit an, so gibt es gerade im globalen Süden auch eine Reihe positiver oder zumindest konsolidierter Entwicklungen (u. a. in Argentinien, Kenia, Nepal). Dennoch sind gerade junge Demokratien erheblich unter Druck geraten und daher im Ranking abgewertet worden (z. B. Tunesien, Libanon). Auch in einer alten Demokratie wie Indien erleidet die Medien- und Pressefreiheit unter dem hindu-fundamentalistischen Regierungschef Narendra Modi einen enormen Verfall. Das Land liegt auf ROG-Rang 150, gar nicht weit entfernt von autoritären Staaten wie Russland. In der Statistik der absoluten Zahlen erkennt man zwar, dass die Ranglistenplätze etwas täuschen, da sich Indien noch immer in einiger Distanz zu totalitären Staaten wie Ägypten, China und Nordkorea befindet. Dennoch ist die Situation der Presse- und Medienfreiheit auch in Indien ein Zeichen dafür, dass Demokratien weltweit unter Druck geraten sind.

Diese Freiheitsrechte sind kein Privileg des Westens oder der Industriestaaten mehr, der globale Süden ist im Auftrieb.

Zugleich sind viele politische Transformationen dort instabil und von Rückschritten bedroht, die einer regelmäßigen Beobachtungen durch Organisationen wie ROG bedürfen. Deren Einstufungen sind wissenschaftlich nicht immer hinreichend transparent, gelegentlich auch kritisierbar. Sie bieten aber auch für die Wissenschaft etwa im Master Global Communication: Politics & Society der Universität Erfurt eine bedeutsame Grundlage als Ausgangspunkt für vertiefte und kritische Analysen.

Inhaber der Professur für Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt Vergleichende Analyse von Mediensystemen / Kommunikationskulturen
(Seminar für Medien- und Kommunikationswissenschaft)
C18 - Lehrgebäude 4 / Raum C18.02.29
Sprechzeiten
Mittwoch 12-13 Uhr
Terminanfrage bitte im Sekretariat
(annett.psurek@uni-erfurt.de)
zur Profilseite