Welche Schule ist die richtige für mein Kind? Diese Frage stand im Mittelpunkt einer Studie, die Studierende der Universität Erfurt unter der Leitung von Marcel Helbig, Professor für Bildung und soziale Ungleichheit an der Universität Erfurt, erarbeitet und nun vorgelegt haben. Sie hatten untersucht, wie sich der Schulwahlprozess der Eltern von Erstklässler*innen für das Schuljahr 2020/21 gestaltet hat. Dafür wurden insgesamt 871 Erfurter Eltern von künftigen Erstklässlern im Mai und Juni 2020 schriftlich befragt. Das Besondere an diesem Jahrgang: Erstmals wurden formal die Schuleinzugsgebiete der Erfurter Grundschulen aufgelöst.
"Überaus positiv ist im Ergebnis anzumerken, dass sich die überwiegende Mehrzahl der Eltern, trotz Schulen im Corona-Modus, sehr auf die Einschulung ihres Kindes freut und nur wenige Eltern der Einschulung besorgt entgegenblicken."
Prof. Dr. Marcel Helbig
Informationsquellen
Über das geänderte Schulwahlverfahren fühlten sich laut der Studie die Eltern insgesamt nicht besonders gut informiert, obwohl die überwiegende Mehrheit der befragten Eltern angab, sich intensiv mit der Schulwahl ihres Kindes beschäftigt zu haben. Die wichtigsten Quellen im Schulwahlprozess für die Eltern waren dabei die Websites der Schulen sowie Informationen durch Freund*innen und Bekannte. Aber auch Informationsabende und Tage der offenen Tür wurden jeweils von mehr als der Hälfte der Eltern genutzt und im Allgemeinen als hilfreich beschrieben. Gerade Eltern, die eine private Grundschule gewählt haben, nutzten schulbezogene Informationsquellen wie z.B. Informationsabende, Tage der offenen Tür und Websites, besonders häufig und beschrieben diese auch als überdurchschnittlich hilfreich.
Motive zur Schulwahl
Die wichtigsten Motive für Eltern bei der Grundschulwahl sind die Wohnortnähe und die Sicherheit des Schulweges. Aus dieser Perspektive betrachtet, steht die Auflösung der Schuleinzugsgebiete den Wünschen der meisten Eltern entgegen. Als besonders wichtige Motive für die Grundschulwahl benennen Eltern zudem das pädagogische Schulkonzept sowie den Ruf der Schule. Aspekte wie die ethnische und soziale Zusammensetzung der Schule spielen für Erfurter Eltern keine besondere Rolle für ihre Schulwahl.
Für 63,1 Prozent der befragten Eltern war die ehemalige Einzugsgebietsschule die erste Wahl. 21,4 Prozent der Eltern wählten eine andere öffentliche Schule und 15,6 Prozent gaben eine private Schule als ihre Wunschschule an. Bei der Wahl der Schulen zeigten sich die größten Bildungsunterschiede: Eltern mit höchstens Realschulabschluss wählten häufiger die Einzugsgebietsschule als Eltern mit mindestens Abitur. Akademikereltern entschieden sich darüber hinaus deutlich häufiger für eine Privatschule. "Interessanterweise wurden gerade jene Einzugsgebietsschulen seltener gewählt, die besonders wenige Schulplätze für die Kinder des ehemaligen Einschulungsgebiets aufweisen", sagt Marcel Helbig. Dies gelte vor allem dann, wenn dies auf Schulen zutrifft, die einen geringen Akademikeranteil in der Elternschaft aufweisen. "Dies könnte ein Hinweis dafür sein, dass Eltern beispielsweise durch die Schulleitungen dieser Schulen auf eine angespannte Platzsituation hingewiesen wurden." Darüber hinaus wählten vor allem jene Eltern häufiger die Einzugsgebietsschule, denen die Wohnortnähe und die Sicherheit des Schulweges besonders wichtig sind. Hingegen wählten jene seltener die Einzugsgebietsschule, die angegeben haben, dass sie sich besonders intensiv mit der Schulwahl beschäftigt haben. Helbig: "Dabei ist aber auch denkbar, dass sie sich gerade deshalb stärker mit der Schulwahl beschäftigt haben, weil sie mit der ehemaligen Einzugsgebietsschule unzufrieden waren."
Private vs. staatliche Schule
Ein weiteres Ergebnis der Studie: Erfurter Eltern bewerten private Schulen im Allgemeinen besser als die öffentlichen Schulen. Unter der aktuell angespannten Kapazitätssituation seien die vorhandenen privaten Schulplätze wichtig, damit auch jedes Grundschulkind einen Platz erhält", erklärt das Forscherteam. "Allerdings sind die privaten Grundschulen zunehmend eine Schulwahlalternative für 'höhere' gesellschaftliche Schichten. Die Entlastung des öffentlichen Schulsystems durch die privaten Ersatzschulen erfolgt also vor allem dadurch, dass sie überwiegend von Eltern mit höherer Bildung wahrgenommen werden." Akademikereltern bewarben sich mit ihren Kindern 4,5 mal häufiger für eine private Schule als Eltern mit höchstens Realschulabschluss, was in kleinen Teilen durch die subjektive Bewertung von Privatschulen, unterschiedliche Bildungsmotive und die geografische Lage der privaten Schulen in Erfurt erklärt werden kann. Zudem seien Akademikereltern deutlich erfolgreicher bei der Bewerbung für eine private Schule. Deren Kinder sind im Schuljahr 2020/21 7,5 mal häufiger an diesen zu finden als Kinder von Eltern mit höchstens Realschulabschluss.
Darüber hinaus zeigt sich allerdings, dass Eltern mit höchstens Realschulabschluss private Schulen häufig nicht als Schulwahlalternative in Betracht ziehen und zudem oftmals nicht glauben, selbige finanzieren zu können. Marcel Helbig: "Dies steht allerdings im Widerspruch zu Artikel 7 Abs. 4 des Grundgesetzes, nachdem sinngemäß das Schulgeld privater Schulen so zu gestalten ist, dass sich alle Eltern den Schulbesuch ihrer Kinder leisten können."
Ausblick
Ob und wann die Stadt Erfurt wieder zu kleinteiligen Schuleinzugsgebieten für ihre Grundschulen zurückkehren kann, bleibt für das Forscherteam vorerst offen. "Die Auflösung der Schuleinzugsgebiete als kurzfristige Lösung zur Schülersteuerung sollte dann rückgängig gemacht werden, wenn die mittel- und langfristig angelegten Schulerweiterungs- und Schulneubaupläne des aktuellen Schulnetzplans umgesetzt worden sind", empfiehlt Marcel Helbig. Der Bericht über die Umsetzung der Maßnahmen des Schulnetzplans mach hierbei aber wenig Hoffnung: Fast alle größeren Schulausbau- und –neubauvorhaben des Schulnetzplans könnten nach Auskunft der Stadt Erfurt nicht fristgerecht umgesetzt werden. Das Forscherteam warnt: "Wenn sich daran nichts ändert, wird dies mittel- und langfristig nicht nur dazu führen, dass nicht alle Kinder in Erfurt wohnortnah beschult werden können, sondern dass insgesamt zu wenige Schulplätze vorhanden sein werden."