"Man kann viel aus dem Fall Myanmar lernen."

Gastbeiträge

Eine neu verhängte Haftstrafe gegen die myanmarische Freiheitskämpferin und Politikerin Aung San Suu Kyi durch die von der Militärjunta kontrollierte Justiz zeigt einmal mehr, dass sich die Lage in Myanmar zusehends verschlechtert. Begünstigt wurde und wird dieser Prozess auch durch Versäumnisse in der Entwicklungspolitik. So hatte beispielweise auch Deutschland die Entwicklungen in dem südostasiatischen Land nicht genug im Blick, weiß Prof. Dr. Achim Kemmerling, Inhaber der Gerhard Haniel Professur für Public Policy and International Development an der Willy Brandt School of Public Policy der Uni Erfurt. Er betrachtet die dortige Lage mit Sorge – wie auch Aye Aye Htun, Myanmar-Forscherin und Doktorandin an der Brandt School. Gemeinsam beleuchten sie, welche Aspekte der Entwicklungspolitik negative Auswirkungen hatten und was Deutschland nun noch tun kann, um die vor allem durch Aung San Suu Kyi einst vorangebrachten Demokratisierungsprozesse in Myanmar wieder aufleben zu lassen.

Das jüngste Gerichtsurteil[1] für die ehemalige Regierungsführerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi zeigt, dass die Militärregierung in Myanmar zu immer härteren Maßnahmen greifen muss, um ihre Macht zu konsolidieren. Suu Kyi wurde ein geheimer Prozess gemacht, ohne dass sie Zugang zu effektiver Rechtshilfe bekommen hätte. Daher wirkt das Urteil über sechs (zusätzliche) Jahre wegen angeblicher Korruption wie reine Makulatur. Es zeugt auch davon, dass die Junta log, als sie ursprünglich versprach, nur für eine kurze Übergangszeit an der Macht zu bleiben.  

Andere Nachrichten aus Myanmar geben noch mehr Grund zur Sorge. Seit dem Militärputsch im Februar 2021 hat die Regierung 121 Regimekritiker zum Tode verurteilt.[2] Die regionalen Konflikte wie etwa im Rakhine State nehmen an Brutalität zu. Regionale Widerstandsarmeen bekommen dabei Zulauf von Oppositionellen, die von der Regierung mit Hausarresten, Berufs- und Demonstrationsverboten und willkürlichen Verhaftungen und Folterungen terrorisiert werden. Auch wirtschaftlich ruiniert die Junta das Land, das ohnehin von der Pandemie und der Gasknappheit gebeutelt ist, immer weiter. So ist der Wert der Währung seit dem Putsch über 30 Prozent gegenüber den wichtigsten Handelspartnern eingebrochen, was zusätzlich für Inflation und Stagnation sorgt.[3]

Die Optionen, was man von außen tun kann, um der Demokratie und den Menschenrechten in Myanmar zu helfen sind begrenzt, zumal China und Russland das Regime ökonomisch und militärisch unterstützen. Dennoch kann man auch aus deutscher Sicht viel aus dem Fall Myanmar lernen und die Strategie dementsprechend verändern. Das gilt speziell auch für die internationale Entwicklungszusammenarbeit.

Wie wir in einer demnächst erscheinenden Studie zeigen[4], haben westliche Geberländer das Problem regionaler Spannungen zu wenig im Blick behalten. Das Aufheben der Sanktionen gegen das vorangegangene Militärregime im Zuge einer teilweisen politischen und ökonomischen Öffnung des Landes seit 2007 hat zu erheblichen sozioökonomischen Verwerfungen und zu massiver Bereicherung genau derjenigen Militärvertreter geführt, die jetzt wieder die Macht ergriffen haben. Entwicklungshilfe kann in diesem Zusammenhang nur wenig ausrichten, aber sie muss das Thema mehr im Blick haben. Nur wenige internationale Geber haben gezielt ärmere Regionen und politisch und sozial vulnerable Menschen anvisiert. Dort wo, wie im Fall des Vereinigten Königreichs, sie es explizit auch taten, wurden sie von der hybriden Regierung Aung San Suu Kyis, in welcher das Militär immer noch einen großen Einfluss hatte, blockiert. Deutschlands Bilanz ist eher gemischt, da viele Geldflüsse in technokratische Projekte zum Beispiel zur Förderung der Landwirtschaft zwar auch schwächeren Regionen zugutekamen, aber innerhalb der Regionen wiederum nicht unbedingt den ärmsten Menschen.

Ein anderes großes Problem der deutschen Entwicklungszusammenarbeit war die strategische Entscheidung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit, die Anzahl der Empfängerländer zu reduzieren und vor allem solche Partnerländer zu bevorzugen, die sich einem anhaltenden Reformkurs verschreiben. Da Suu Kyis Regierung im Westen immer kritischer beäugt wurde, v.a. wegen der katastrophalen Lage der ethnischen Minderheit der Rohingya, fiel Myanmar wegen unzureichender Reformmaßnahmen von der Förderliste.[5] Das war doppelt tragisch und kurzsichtig. Erstens hatte Deutschland schon vor dem Putsch keinen Verhandlungshebel mehr und das Land driftete weiter in die Arme Chinas. Zweitens kann man jetzt – nach dem Militärputsch – der Militärregierung kaum mehr mit Sanktionen in der Entwicklungszusammenarbeit drohen.  Daher liegt es nun an der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik, zusammen mit internationalen Partnern, wie vor 2007 nach Wegen zu suchen, wie man neben den bestehenden Sanktionen den Oppositionellen in Myanmar helfen kann und es gleichzeitig schafft, diejenigen Kreise in der Militärregierung anzuvisieren, die für neue Verhandlungslösungen empfänglich sind.

[1] Myanmar Now. Aug 15, 2022. Myanmar military sentences Suu Kyi to six more years in prison. https://www.myanmar-now.org/en/news/myanmar-military-sentences-suu-kyi-to-six-more-years-in-prison  

[2] Assistance Association for Political Prisoners (AAPP). Aug 16, 2022. Daily Briefing in Relation to the Military Coup. https://aappb.org/?p=22797

[3] Myanma Foreign Trade Bank. Daily Exchange Rate For The 17-August-2022. https://www.mmftb.gov.mm/en/daily-exchange-rate-17-8-2022

[4] Matteo Fumagalli und Achim Kemmerling (i.E.) Development Aid and Subnational Regional Inequality: The Case of Myanmar, Eurasian Geography and Economics.

[5] Deutsche Welle vom 14.5.2020, Deutschland zieht sich aus Myanmar zurück https://www.dw.com/de/deutschland-zieht-sich-aus-myanmar-zur%C3%BCck/a-53435651

Die Willy Brandt School of Public Policy stellt den Beitrag in ihrem Blog "The Bulletin" auch in englischer Sprache bereit. Anlässlich des zweiten Jahrestags des Militärputsches wurde der Beitrag zudem inhaltlich aktualisiert.

zum Blogbeitrag

Kontakt:

Inhaber der Gerhard Haniel Professor für Public Policy and International Development
(Willy Brandt School of Public Policy)
C19 – Forschungsbau „Weltbeziehungen“ / C19.02.07
Doktorandin
(Willy Brandt School of Public Policy)
C19 – Forschungsbau „Weltbeziehungen“ / C19.02.36