Hometrainer haben gerade reißenden Absatz. Zwar sagt die Bundesregierung im Moment noch, dass „individueller Sport und Bewegung an der frischen Luft […] selbstverständlich weiter möglich“ sind, aber wer weiß schon, was in vierzehn Tagen ist? Außerdem ist Outdoor-Sport ja nicht jedermanns und jederfrau Sache. Über elf Millionen Menschen sind in Deutschland Mitglieder in einem von rund 10.000 Fitnessstudios, die seit dem 23. März alle geschlossen haben; vorübergehend, aber das kann eine Zeit lang anhalten. Und wird es mein Studio auch nach Corona noch geben? Also muss ein Hometrainer her. Schließlich hat uns die Körperpolitik der letzten Jahrzehnte gelehrt, dass unser Körper unsere Bioaktie ist und in Form gehalten werden will. Denn das neoliberale Zeitalter ist auch das Zeitalter der Fitness: Ein schlanker Staat braucht schlanke Bürger, der flexible Kapitalismus setzt auf flexible Körper. Beweglich, trainiert und gesund soll unser Körper sein; dann gilt er als Zeichen unserer Fähigkeit und Bereitschaft zu Selbstsorge, Prävention und Leistung. Und das nicht nur im Sport. Wer sich fit hält, und das ist als Versprechen wie auch als Aufforderung über Jahrzehnte an uns herangetragen worden, hat im allgegenwärtigen Wettbewerb Vorteile und kann auf der Leiter des Erfolgs schneller nach oben klettern.
„Corona“ ist zutiefst irritierend für eine solche Gesellschaftsordnung, die zunehmend auf Autonomie und Selbstverantwortung als Prinzipien gesellschaftlicher Organisation gesetzt hat. Als „verstörend “ hat Slavoj Žižek Mitte März in der NZZ die virale „Lektion“ bezeichnet, dass „der Mensch […] viel weniger souverän ist, als er denkt. Er trägt weiter, was ihm zugetragen wird.“ Das Virus stellt die bestehende Gesellschafts- und Körperpolitik in Frage und fordert zu einem Umdenken auf: hin zu einer Politik der Solidarität statt Souveränität; hin zu einer Politik, die nicht dem Hyperindividualismus huldigt, sondern der Offenheit und Verbundenheit aller Körper Rechnung trägt. Paradoxerweise bring dies ausgerechnet die soziale Distanz als beste Strategie gegen das Virus zum Ausdruck. Denn ein Virus braucht genau diese Verbundenheit vieler Körper, um auf Dauer existieren zu können. Die Maxime lautet: Abstand halten, um zugleich sich selber und die anderen zu schützen.
Als neuer Aktant im Feld der Körperpolitik verändert Corona auch das Fitness-Training und dessen Bedeutung. Frei nach Bruno Latour: mit oder ohne Corona zu trainieren, macht einen Unterschied, auch wenn man (noch) nicht selber infiziert ist. Hatten gestern noch der Warrior Workout und andere martialisch anmutende Programme Konjunktur, die maximale Effizienz mit minimalem Zeitaufwand versprechen, so sind wir heute wieder angehalten, auf genau solche hochintensiven Belastungen zu verzichten. Die Anrufung lautet nun, auf dem neuen Hometrainer einen Gang rauszunehmen. Moderat sollen wir trainieren, denn „durch ein regelmäßiges, gut dosiertes Ausdauertraining wird die Immunabwehr gestärkt,“ erklärt die Techniker Krankenkasse in ihrem Video Hometraining statt Homeoffice. Dabei dient die Immunabwehr der Einzelnen der Gesundheit des Kollektivs.
„Laufen ohne zu schnaufen“ war zwar nie ganz verschwunden, stammt aber doch aus den 1970er Jahren, als der neueste Trainingshype „Trimm Trab“ hieß und sich die Bundesrepublik Deutschland noch für ihren Sozialstaat rühmte. Es ist wohl nur wenig visionär zu vermuten, dass diejenigen Gesellschaften am besten durch die Corona-Krise kommen, die sich zumindest noch Spuren eines funktionierenden Sozialstaates und eines nicht nur auf Gewinnmaximierung getrimmten Gesundheitssystems bewahrt haben. Vielleicht wird die Einsicht, dass eine gute Gesellschaft mehr ist, als eine Ansammlung möglichst starker Einzelner und es stattdessen eine neue, stabile Solidarität braucht, ja auf Dauer gestellt. Anders formuliert: Wenn es sich die Küchenhilfe im Billigrestaurant schlichtweg nicht leisten kann, bei Krankheit tatsächlich auch zu Hause zu bleiben, dann geht das uns alle an. Auch nach Corona.