Erleichterung in Thüringen: Bei der Wahl des neuen Ministerpräsidenten fiel die Entscheidung für den Kandidaten der Brombeer-Koalition, Mario Voigt, heute gleich im ersten Wahlgang, in dem der CDU-Chef offenbar auch Stimmen von Abgeordneten der Partei „Die LINKE“ bekommen hat. „WortMelder“ hat bei Prof. Dr. André Brodocz, Politikwissenschaftler an der Universität Erfurt, nachgefragt: Was verheißt die Wahl von Mario Voigt zum neuen Ministerpräsidenten für Thüringen?
Herr Professor Brodocz, wie war die Stimmung im Landtag vor und während der Wahl des Ministerpräsidenten?
Im Vergleich zu 2020 war die Anspannung im Landtag deutlich geringer. Bereits gestern Abend wurde deutlich, dass eine Wahl im ersten Wahlgang realistisch ist. Entscheidend dafür war, dass die Parteien der Brombeer-Koalition noch einmal auf die Linke zugegangen sind, um sich über ein sogenanntes „3+1“-Verfahren für die weitere Zusammenarbeit der Linken mit der designierten Regierung zu einigen. Das hat den Weg frei gemacht, dass Stimmen aus der Linken-Fraktion bereits im ersten Wahlgang für eine absolute Mehrheit für Mario Voigt sorgen können. Das hat die Gemüter wohl sehr beruhigt.
Warum war dies denn bis dahin so ungewiss?
Weil 45 von 88 Stimmen für eine erfolgreiche Wahl im ersten Wahlgang nötig waren, aber nur 44 Stimmen, also genau die Hälfte, brachten die Brombeer-Fraktionen von CDU, BSW und SPD mit. Gewählt wurde Mario Voigt schließlich im ersten Wahlgang mit 51 Stimmen. Die weiteren sieben Stimmen kamen dann wohl tatsächlich von der Linken. Da über die Wahl des Ministerpräsidenten bisher beim „3+1“-Verfahren nur eine Verständigung über einen monatlichen Austausch der Regierungsfraktionen mit der Linken zu anstehenden Themen erzielt wurde, aber keine weiteren Ansprachen vereinbart sind, kann das Agieren der Linken durchaus als einen Vertrauensvorschuss für die neue Landesregierung auf ein konstruktives Miteinander betrachtet werden.
Welchen Eindruck hatten Sie von Mario Voigts Antrittsrede?
Zwei Punkte sind mir aufgefallen, mit denen er in den nächsten Jahren Akzente setzen kann: Erstens sein Hinweis darauf, dass er der erste Ministerpräsident Thüringens ist, der mehr Lebenszeit im wiedervereinigten als im getrennten Deutschland verbracht hat. Gerade mit Blick auf seine Partei, die CDU, bin ich gespannt, ob er genau damit den Unvereinbarkeitsschluss bezüglich einer Zusammenarbeit mit der Linken offensiv in Frage stellen wird. Das politische Gewicht dafür bringt er als Ministerpräsident jetzt auf die Waage und kann es auch authentisch vertreten. Der zweite Punkt ist seine Forderung, dass wir unsere Gesellschaft als „Familie“ begreifen sollen. Hier wird es interessant sein, wie weit er bereit ist, Familien ideologiefrei als soziale Zusammenhänge zu betrachten, in denen Menschen füreinander Verantwortung und Fürsorge übernehmen, also unabhängig von ihrer Herkunft und Abstammung oder von ihren Geschlechtern und sexuellen Orientierungen. Weltoffenheit beginnt, wenn man so will, genau damit, wie wir Familie verstehen.
Trotzdem hat die neue Landesregierung auch weiterhin keine Mehrheit im Landtag. Bleibt Thüringen also weiter instabil?
Hier müssen wir etwas differenzieren: Wie bei der rot-rot-grünen Minderheitsregierung bleibt auch dieser Landesregierung die Herausforderung, weitere Stimmen für die eigene Politik zu gewinnen oder zumindest die Zahl der Gegenstimmen zu verringern. Das Regieren wird also weiterhin von der damit verbundenen Instabilität begleitet sein. Zumindest will man hier mit der Linken ein Verfahren finden, um dies geordnet und kooperativ zu bewältigen. Gegen diese Regierung können allerdings aus der Opposition keine Gesetze beschlossen werden, weil es auch auf Seiten der Opposition keine Mehrheit gibt – weder politisch noch rechnerisch. Das unterscheidet eine Pattregierung von einer Minderheitsregierung. Und genau das sorgt dann auch für Stabilität für die Regierung an sich. Es gibt keine rechnerische Mehrheit unter den Oppositionsparteien, mit der Mario Voigt im Zuge eines konstruktiven Misstrauensvotums abgewählt werden kann.
Gibt es auch Themen und Interessen, die es künftig schwerer haben als bisher?
Schaut man sich an, wie die Ministerien künftig benannt werden, dann fällt auf, „Jugend“ und „Gleichstellung“ nicht mehr eindeutig einem Ministerium zugewiesen werden könnten. Wird beides tatsächlich am Ende in „ressortübergreifender“ Verantwortung gesehen, droht die Verantwortung dafür zwischen den Ressorts weitergereicht zu werden. Schaut man sich zudem an, was im Koalitionsvertrag nur kurz und knapp behandelt wird, dann sieht es so aus, als ob die Herausforderungen der Klimakrise weit unten auf der Agenda stehen. Hoffen wir, dass die Klimakrise dieser Regierung nicht nur hinsichtlich der „Schneesicherheit“ Sorgen bereitet.