Im Rahmen des COFUND-Fellow-Programms, das durch die Europäische Union ko-finanziert wird, kommen seit einigen Jahren junge aber auch bereits etablierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an das Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt, um hier an ihren Forschungsprojekten zu arbeiten. In loser Folge stellen wir einige von ihnen im Interview vor. Heute ergeht ein herzliches „Benvenuto“ an Tiziana Faitini…
Frau Faitini, bitte beschreiben Sie doch bitte kurz Ihren akademischen Werdegang.
Ich habe zunächst Telecommunication Engineering studiert und diesen Studiengang auch mit einem Bachelor abgeschlossen. Mathematik und Physik sind immer noch interessant für mich, aber ich habe mich nun der politischen Philosophie zugewandt. Meinen Doktortitel in diesem Fach habe ich 2014 erhalten. Die Begriffsgeschichte und die Philosophie der Arbeit – das sind heute meine Interessensgebiete.
Was hat Sie an das Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt gebracht?
Der Titel meines Projekts in Erfurt ist „Shaping Professionals“. Es geht um eine Genealogie der Philosophie der Arbeit und der Professionalität in der westlichen Welt. Ich stelle Fragen wie: Wann und warum wurden die Arbeit und der Beruf generell so wichtig für unsere gesellschaftliche Definition des Selbst? Wie wirken sie sich auf die Einbeziehung der Menschen in die Gesellschaft und die Politik aus? Im Moment arbeite ich an theologischen Texten aus dem 17. Jahrhundert, die sich mit meinem Thema beschäftigen. Dabei geht es nicht um bestimmte Berufe, die in diesen Texten beschrieben werden, sondern darum, wie sich das religiöse Modell von Beruf und Berufung auf säkulare Berufe ausgewirkt hat. Ich nutze in meiner Arbeit gern die Kategorien von Michel Foucault, wobei der Dialog zwischen Geschichte und Gegenwart für mich besonders interessant ist und ein Werkzeug, um die Gegenwart kritisch zu analysieren. Auch Max Weber ist eine Quelle für mich, besonders dann, wenn er sich mit dem Geist des Kapitalismus auseinandersetzt. Mein Ziel ist es, einen Dialog zwischen meinem eigenen Thema und gesellschaftlich aktuellen Fragen zu entwickeln: Was beeinflusst unsere soziale Identität? Wie hat sich unser Bild von Beruf, Berufung und Professionalität geschichtlich entwickelt? Wie verändert sich das? Ich denke, dass die Geschichte uns weiterhelfen kann, um diese und andere Fragen besser zu verstehen.
Und warum sind Sie mit Ihrem Projekt genau hier?
Eigentlich kam die Inspiration von Kollegen, die der Ansicht waren, dass ich gut in den Kontext des Max-Weber-Kollegs passen würde. Mir ist die Interdisziplinarität hier besonders wichtig. Die Kolloquien, die hier veranstaltet werden, verändern meinen Blick auf das eigene Thema, selbst wenn sie sehr weit von meinem Thema entfernt sind. Es ist für mich besonders faszinierend zu sehen, wie Menschen mit unterschiedlichem akademischen Hintergrund denselben Text oder dasselbe Thema unterschiedlich und manchmal auch ganz ähnlich behandeln. In meiner Arbeit lege ich besonderen Wert auf die Forschung, ich lese und schreibe und trete in den Dialog mit den anderen Forschern, die ich hier treffe.
Intersektoralität ist ein wichtiger Bestandteil des Fellowship-Programms. Wie wollen Sie sich hier einbringen?
Mein Vorhaben ist, an der Willy Brandt School in Kooperation mit dem Max-Weber-Kolleg einen Vortrag zu organisieren, bei dem es um Max Weber und seine Vorstellungen von Politik als Beruf geht. Weber hat bei einer Konferenz 1919, also genau vor 100 Jahren, einen wichtigen Vortrag dazu gehalten, der noch immer rezipiert und diskutiert wird. Ich habe einen italienischen Professor eingeladen, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen und vor allem zu fragen, was es heute heißt, Politiker zu sein. Das ist gerade in der jetzigen Zeit eine wichtige Frage angesichts zunehmender populistischer Kritik an Politik und der Rolle von Politikern. Am 2. Juli 2019 ist es soweit. Dann wird Prof. Dr. Michele Nicoletti, Professor für politische Philosophie und internationale Studien an der Universität Trento (Italien) an der Brandt School seinen Vortrag unter dem Titel „Politics as a Vocation. Reflections on Max Weber’s ‚Politik als Beruf‘ 100 years later“ halten. Nicoletti hat in seinem akademischen Wirken die Verbindung zwischen Ethik, Anthropologie und politischer Theorie u.a. im deutschen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts untersucht und war auch selbst als Politiker aktiv. Seine wissenschaftlichen Forschungen sowie seine Erfahrungen als Politiker in Italien und Europa fließen in den Vortrag ein.
Wie sieht Ihr Alltag als Forscherin in Erfurt aus?
Ich genieße die große Flexibilität, die ich hier habe. Ich arbeite so viel und so intensiv wie ich kann, manchmal bis in den Abend hinein. Und dabei ist es egal, ob ich im Büro oder zuhause oder aber in der Bibliothek tätig bin. Aufgrund meiner persönlichen Geschichte bin ich viel in Europa unterwegs, zurück zu meiner Familie nach Italien und Belgien, zu Konferenzen usw. Diese Fellowship ist eine große Chance für mich. Gleichzeitig ist es eine Herausforderung, Privates und Berufliches miteinander zu vereinbaren, wenn man regelmäßig zwischen verschiedenen Orten und Ländern pendelt. Aber ich glaube, dass das typisch für viele ist, die an einem PostDoc-Projekt mit kurzfristigen Verträgen arbeiten.
Und wie gefällt Ihnen in Erfurt als Stadt?
Ich bin gerne hier und genieße vor allem das mittelalterliche Zentrum. Vieles erinnert mich an Mainz, wo ich vorher gearbeitet habe. Besonders freue ich mich auf und über alles, was mit Johann Sebastian Bach zu tun hat. Ich habe hier die Bach-Wochen miterlebt und war überrascht zu erfahren, dass Erfurt eine persönliche Verbindung zur Bach-Familie hat.
Und was erwartet Sie im Jahr nach Ihrer COFUND-Fellowship?
Unterricht und Forschung! Ich habe schon einen Lehrauftrag im Bereich Politische Philosophie an der Universität Trento und werde an einem neuen Forschungsprojekt über die Philosophie der Arbeit, auch in der gegenwärtigen Gesellschaft, arbeiten. Das Projekt eröffnet für mich eine faszinierende Perspektive und ich hoffe, dass es nützlich und spannend sein wird.